»Manche Apotheke steht mit dem Rücken zur Wand«
Apotheken in Schieflage: Was viele für unmöglich hielten, wurde in der Pandemie bitterer Ernst. Es gab Umsatzeinbrüche von 80 Prozent, einige Apotheker mussten sogar Insolvenz anmelden. Mit den Corona-Tests kamen Glück und Geld zurück. Jetzt wollen die Apotheker auch impfen dürfen. Eine Momentaufnahme.
Schreiben S’ kan Blödsinn, der Herr Kaiser is nämlich ein Super-Bursch, genauso wie sein Vater“, tönt es aus dem Hintergrund. Dominik Kaiser steht vor seiner Ludwigs-Apotheke an der Simmeringer Hauptstraße. Der 47-Jährige ist hier eine Institution, ähnlich wie der ältere Herr, der im breiten Dialekt ein Loblied auf seinen Apotheker anstimmt. Hier kennt jeder jeden. Zumindest die, die schon immer da gelebt haben, halten zusammen. Kaiser ist Apotheker in dritter Generation. Seine Großeltern haben in den 1950er-Jahren angefangen. Seit neun Jahren ist er der „Herr Apotheker“. Und seit zwei Jahren erlebt er Sachen, die seine Vorgänger wohl nicht für möglich gehalten haben.
„Am Anfang war das ein Schock“, erzählt Kaiser. Denn mit 24 Mitarbeitern, die Hälfte davon Pharmazeuten, zählt die Ludwigs-Apotheke zu den größeren ihrer Zunft. „An normalen Tagen kommen 700 Leute zu uns, plötzlich waren es nicht einmal die
Hälfte“, erinnert er sich an das vergangene Frühjahr zurück. Wie andere Unternehmer auch schickte Kaiser seine Leute in Kurzarbeit.
Anderen Apotheken erging es noch schlimmer. Jene in Einkaufszentren und Tourismusgebieten, normalerweise wahre Cashcows, erlitten Umsatzeinbrüche von bis zu 80 Prozent. Plötzlich gerieten sie in Schieflage. Apotheken meldeten Insolvenz an. Erst jüngst erwischte es eine in der Steiermark.
Andreas Kreutzer hat die Branche seit vielen Jahren auf dem Radar. Aufgrund seiner Marktanalysen weiß er: „Die Umsatzentwicklung ist durchaus überschaubar.“Im Vorjahr setzten die knapp 1400 Apotheken im Land 4,6 Milliarden Euro um. Das waren um 3,7 Prozent mehr als 2019. Die einzigen, die in der Krise richtig zugelegt haben, sind die Online-Apotheken. Deren Zuwächse schätzt Kreutzer auf 40 Prozent. Online wurden im Vorjahr 175 Millionen Euro umgesetzt. Damit entgehen den österreichischen Apotheken
mehr als zehn Prozent ihrer Einnahmen mit rezeptfreien Produkten.
Doch die Rettung kam in Form der Corona-Tests. Sie sorgten dafür, dass das Geschäftsjahr für die meisten doch noch positiv endete, für so manche Apotheke wurde es sogar ein wahrer Goldregen. Denn eine inhomogenere Branche als die Apotheken findet man schwer. „Es gibt Produkte, die sich bei mir gut verkaufen, und bei der nächsten Apotheke gar nicht“, erzählt Apotheker Kaiser.
Ob eine Apotheke gut läuft oder gerade überlebensfähig ist, hängt von vielen Faktoren ab. „Im ländlichen Raum greift der Gebietsschutz noch besser“, sagt Kreutzer. Aber auch der beste Gebietsschutz hilft wenig, wenn man von vier praktischen Ärzten mit Hausapotheke umzingelt ist.
Ärzte und Apotheker, das ist eine spezielle Beziehung. Aus Sicht der Apotheker sieht es so aus: Seit Tag und Jahr dringen die Ärzte immer mehr in die Phalanx der Apotheker ein. Gemeindeärzte sind immer schwerer zu finden auf dem weiten Land. Hausapotheken sind ein bewährtes Rezept, die
Ärzte und Apotheker: Das ist eine spezielle Beziehung – vor allem auch in der Pandemie.
Doktores in die Peripherie zu locken. Die haben natürlich nur die Bestseller auf Lager, jene Medikamente, die sie selbst oft verschreiben und bei denen die Marge passt. Die Ladenhüter darf dann die Apotheke beisteuern.
Die Ärzte sehen das natürlich anders. Viele alte Leute gerade auf dem Land seien nicht so mobil, dass man sie permanent zwischen Hausarzt und Apotheke hin und her schicken kann. Am Ende geht es nämlich immer um die Versorgungssicherheit. Und jeder nimmt natürlich für sich in Anspruch, diese zu garantieren.
Planwirtschaft und Markt. Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer sieht aber genau diese Versorgungssicherheit in Gefahr. Ärzte und Apotheker hätten das gleiche Problem: Sie müssen öffentliche Aufgaben in einem planwirtschaftlichen Gesundheitssystem erfüllen, sollen dabei aber wie Unternehmer
agieren. Sowohl Kassenverträge als auch Aufschläge bei den Rezepten werden immer mickriger. Um als Apotheker richtig gut leben zu können, brauche es ein riesiges Einzugsgebiet, ein Monopol und gute Beziehungen, die einem Hausapotheken und neue Apotheken vom Leib halten, sagt Pichlbauer.
Tatsächlich gibt es in Österreich Jahr für Jahr immer ein paar Apotheken mehr. Denn die Bevölkerung nimmt zu und deshalb schaffen es ein paar Handvoll Unentwegte tatsächlich, eine Apotheke neu zu gründen. Es braucht lediglich Geduld, Beziehungen und noch mehr Beziehungen. Ein niederösterreichischer Apotheker erzählt, dass es vom Ansuchen bis zur Genehmigung seiner Apotheke sieben Jahre gedauert hat. Der Kammerstaat entscheidet, wo wer wann einen neuen Standort zugeteilt erhält. Er muss mehr als 500 Meter von der nächsten Apotheke entfernt sein, die umliegenden Apotheken müssen jeweils mehr als 5500 Kunden haben. Der Rest sei ein intransparentes Gemauschel, meinen selbst Apotheker.
„Bei mir hat es einst nur ein Jahr gedauert, bis ich meine Apotheke aufsperren konnte“, erzählt Ulrike Mursch-Edlmayr. Sie ist die Präsidentin der Apothekerkammer. Und sie steht tatsächlich für Tempo. Etwa wenn es darum geht, flächendeckend Corona-Tests in den Apotheken anzubieten. Da holte die Kammer bisher das Maximum heraus. Der Test ist für die Apotheken ein wahrer Gamechanger. 25 Euro zahlt die öffentliche Hand pro Test. Und je nach Standort waren die PCR- und Antigentests ein Rettungsanker oder viel mehr.
„Natürlich hat man auch Ausgaben“, sagt Apotheker Dominik Kaiser. Equipment, Räumlichkeiten, zusätzliches Personal. Das kostet Geld. In Spitzenzeiten hat Kaiser in seiner LudwigsApotheke acht zusätzliche Mitarbeiter nur für die Tests beschäftigt. 10.000 Tests haben sie noch im Juli durchgeführt, im September werden es etwa 8000 sein, schätzt Kaiser. Zum Höhepunkt im Mai wurden in den Apotheken bis zu 200.000 Tests pro Tag absolviert. Im August waren es immerhin noch 80.000 täglich.
Und viele, die sich testen ließen, kauften auch ein. Antibabypille, Viagra, Bio
Staat verpflichtet dort die Anbieter nämlich, die Medikamente direkt an die Kunden zuzustellen. Es gibt also mobile Apotheken, ob dahinter ein zentraler Vertrieb, eine Kette oder Einzelunternehmer stecken, tut nichts zur Sache, solange die richtigen Medikamente bei den richtigen Leuten ankommen – und zwar täglich.
„In der Diskussion dreht sich alles um das Wohl des Patienten, in Wirklichkeit kommt er aber an letzter Stelle“, kritisiert Pichlbauer. Tatsächlich gebe es in Österreich bei chronischen Erkrankungen „eine Unterversorgung, die gruselig ist“. Das gelte vor allem für ältere
Bei chronisch Kranken gebe es eine »Unterversorgung, die gruselig ist«.
Menschen mit Diabetes, Atemwegsund Herzerkrankungen.
Apotheker Dominik Kaiser bot während des Lockdowns ein Zustellservice an. Aber die Reaktionen waren nicht immer positiv. „Die Leute wollten keine Hauszustellung“, erzählt er. Sie wollten raus aus ihren vier Wänden. „Wenn Sie mich beliefern, hab ich ja einen Grund weniger, auf die Straße zu gehen“, bekam er zu hören.
Manchmal hilft auch das beste Rezept nicht.