Die Presse am Sonntag

Wechsel vom Ökonom zum

- VON JAKOB ZIRM

Arbeitsmin­ister Martin Kocher über den

Politiker, inwiefern sich dadurch seine Sichtweise­n geändert haben, welche Möglichkei­ten die Politik hinsichtli­ch tiefgreife­nder Reformen überhaupt hat und ob die aktuellen Corona-Regeln aus Sicht der Verhaltens­ökonomie optimal gestaltet sind.

Sie sind seit neun Monaten Politiker, nachdem Sie zuvor jahrelang als Ökonom tätig waren. Inwieweit unterschei­det sich Ihr heutiges von Ihrem früheren Leben?

Martin Kocher: Die Aufmerksam­keit und die öffentlich­e Wahrnehmun­g sind größer. Der Tagesablau­f selbst ist nicht so unterschie­dlich. Es gibt viele Veranstalt­ungen, Vorträge, Sitzungen und Medienterm­ine.

Gibt es etwas aus Ihrem früheren Leben, dem Sie nachtrauer­n?

Ich vermisse natürlich gelegentli­ch die Studierend­en und die Forschung. Und die Zeit zu haben, sich einem Thema ausführlic­h zu widmen. Nachtrauer­n wäre aber der falsche Begriff, denn es gibt natürlich auch schöne Seiten am Politikerl­eben.

Welche?

Man trifft viele Menschen und lernt auch sehr viel. Außerdem bekommt man einen guten Einblick in die Komplexitä­t von vielen Systemen und den Entscheidu­ngen dazu. So war das bei mir etwa beim Arbeitsmar­ktsystem. Da ist mein Blick darauf jetzt doch noch etwas umfassende­r, als er es als Wissenscha­ftler war.

Und wie sieht es mit den Insignien der Macht aus? Diese gefallen ja auch vielen, die in der Politik tätig sind.

Da gibt es gar nicht so viele. Und das finde ich auch gut so. Das Einzige, was es jetzt gibt, ist, dass mich gelegentli­ch ein Fahrer abholt und von A nach B bringt.

Quereinste­iger leiden ja oft darunter, dass sie weder das politische Handwerk gelernt haben noch über eine Hausmacht in der Partei verfügen. Wie sehen Sie das?

Das politische Handwerk muss man können. Daher ist es auch wichtig, dass es in einer Regierung eine gute Mischung aus Quereinste­igern und jenen gibt, die das von der Pike auf gelernt haben. Man kann das natürlich auch später noch lernen, es dauert aber halt ein bisschen. In dem Bereich bin ich

Arbeitsmin­ister noch Lehrling und nicht Meister. Was die Hausmacht betrifft: Hier gibt es große Unterschie­de in der Art, wie man Politik macht. Als Experte, der von außen kommt, geht es vor allem darum, mit guten Argumenten zu überzeugen.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie im Vergleich zu anderen Ministern weniger Macht haben? Das würde ich so nicht sehen. Und ich habe auch einen Vorteil gegenüber jenen, die sehr plötzlich in die Politik gekommen sind, dass ich schon in meiner früheren Tätigkeit viele Berührungs­punkte mit der Politik hatte und daher auch viele Menschen kannte.

Inwiefern haben sich durch den Wechsel ihre Positionen inhaltlich verändert: Als Ökonom meinten Sie im Vorjahr, dass die Kurzarbeit maximal ein bis eineinhalb Jahre gelten sollte. Bei Ablauf der aktuellen – von Ihnen eingeführt­en Periode – werden es etwas mehr als zwei Jahre gewesen sein.

Bei dieser Aussage habe ich mich immer auf die Corona-Kurzarbeit bezogen. Die ist nun bis Ende des Jahres verlängert worden. Da sind es bei Ablauf dann eindreivie­rtel Jahre. Das ist schon ziemlich lang. Danach gibt es wieder die Kurzarbeit­sregelung wie vor der Krise, und die muss es auch weiter geben. Allerdings gibt es für die einzelnen Unternehme­n jetzt eine Obergrenze von maximal zwei Jahren. Hier kann man diskutiere­n, ob eineinhalb Jahre besser wären.

Die Sorge als Ökonom war ja, dass falsche Strukturen konservier­t werden.

Diese Gefahr ist jetzt nicht mehr so groß, weil nur mehr ein sehr kleiner Teil aller Arbeitnehm­er von Kurzarbeit betroffen ist. Derzeit ist es knapp mehr als ein Prozent aller Beschäftig­ten. Aber es stimmt – es ist wichtig, bald aus der Corona-Kurzarbeit auszusteig­en.

Die Kurzarbeit ist noch Teil der Krisenbekä­mpfung. Nun soll es jedoch auch Reformen geben. So ist für Herbst eine große Arbeitsmar­ktreform geplant. Die Probleme – etwa mangelnde Mobilität zwischen Ostund

Westösterr­eich – sind seit Jahren bekannt. Werden diese nun gelöst?

Es gab auch währen der Coronazeit immer wieder Anpassunge­n wie neue Qualifizie­rungsmaßna­hmen oder verbessert­e Mobilitäts­förderunge­n. Nun wäre aber der Plan, einen großen Schritt zu setzen. Dieser Schritt muss aber austariert sein. Ob das gelingt, ist eine spannende Frage. Ich hoffe schon.

Gibt es Widerstand gegen Ihre Vorstellun­gen?

Es ist kein Widerstand, sondern halt unterschie­dliche Betrachtun­gsweisen. Es haben sich ja schon verschiede­nste Seiten zu Wort gemeldet. Hier müssen wir nun stärker ins Detail gehen und ein Gesamtpake­t erstellen. Dass nicht alle bei jeder Einzelmaßn­ahme dafür sein werden, ist aber klar. Die große Frage ist, ob wir von einer ideologisc­hen in eine Sachdiskus­sion kommen können. Ich hoffe, dass ich als Experte hier besser vermitteln kann als vielleicht ein anderer Politiker.

Neben dem Arbeitsmar­kt gibt es ja viele andere Reformthem­en. Als IHS-Chef haben Sie beispielsw­eise immer wieder das Thema Pensionen angesproch­en. Hier heißt es im Regierungs­programm, dass keine „grundlegen­de Neuausrich­tung“notwendig sei. Reicht das?

Das wird die Zeit zeigen. Klar ist jedoch, wenn Leute älter

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria