Wechsel vom Ökonom zum
Arbeitsminister Martin Kocher über den
Politiker, inwiefern sich dadurch seine Sichtweisen geändert haben, welche Möglichkeiten die Politik hinsichtlich tiefgreifender Reformen überhaupt hat und ob die aktuellen Corona-Regeln aus Sicht der Verhaltensökonomie optimal gestaltet sind.
Sie sind seit neun Monaten Politiker, nachdem Sie zuvor jahrelang als Ökonom tätig waren. Inwieweit unterscheidet sich Ihr heutiges von Ihrem früheren Leben?
Martin Kocher: Die Aufmerksamkeit und die öffentliche Wahrnehmung sind größer. Der Tagesablauf selbst ist nicht so unterschiedlich. Es gibt viele Veranstaltungen, Vorträge, Sitzungen und Medientermine.
Gibt es etwas aus Ihrem früheren Leben, dem Sie nachtrauern?
Ich vermisse natürlich gelegentlich die Studierenden und die Forschung. Und die Zeit zu haben, sich einem Thema ausführlich zu widmen. Nachtrauern wäre aber der falsche Begriff, denn es gibt natürlich auch schöne Seiten am Politikerleben.
Welche?
Man trifft viele Menschen und lernt auch sehr viel. Außerdem bekommt man einen guten Einblick in die Komplexität von vielen Systemen und den Entscheidungen dazu. So war das bei mir etwa beim Arbeitsmarktsystem. Da ist mein Blick darauf jetzt doch noch etwas umfassender, als er es als Wissenschaftler war.
Und wie sieht es mit den Insignien der Macht aus? Diese gefallen ja auch vielen, die in der Politik tätig sind.
Da gibt es gar nicht so viele. Und das finde ich auch gut so. Das Einzige, was es jetzt gibt, ist, dass mich gelegentlich ein Fahrer abholt und von A nach B bringt.
Quereinsteiger leiden ja oft darunter, dass sie weder das politische Handwerk gelernt haben noch über eine Hausmacht in der Partei verfügen. Wie sehen Sie das?
Das politische Handwerk muss man können. Daher ist es auch wichtig, dass es in einer Regierung eine gute Mischung aus Quereinsteigern und jenen gibt, die das von der Pike auf gelernt haben. Man kann das natürlich auch später noch lernen, es dauert aber halt ein bisschen. In dem Bereich bin ich
Arbeitsminister noch Lehrling und nicht Meister. Was die Hausmacht betrifft: Hier gibt es große Unterschiede in der Art, wie man Politik macht. Als Experte, der von außen kommt, geht es vor allem darum, mit guten Argumenten zu überzeugen.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie im Vergleich zu anderen Ministern weniger Macht haben? Das würde ich so nicht sehen. Und ich habe auch einen Vorteil gegenüber jenen, die sehr plötzlich in die Politik gekommen sind, dass ich schon in meiner früheren Tätigkeit viele Berührungspunkte mit der Politik hatte und daher auch viele Menschen kannte.
Inwiefern haben sich durch den Wechsel ihre Positionen inhaltlich verändert: Als Ökonom meinten Sie im Vorjahr, dass die Kurzarbeit maximal ein bis eineinhalb Jahre gelten sollte. Bei Ablauf der aktuellen – von Ihnen eingeführten Periode – werden es etwas mehr als zwei Jahre gewesen sein.
Bei dieser Aussage habe ich mich immer auf die Corona-Kurzarbeit bezogen. Die ist nun bis Ende des Jahres verlängert worden. Da sind es bei Ablauf dann eindreiviertel Jahre. Das ist schon ziemlich lang. Danach gibt es wieder die Kurzarbeitsregelung wie vor der Krise, und die muss es auch weiter geben. Allerdings gibt es für die einzelnen Unternehmen jetzt eine Obergrenze von maximal zwei Jahren. Hier kann man diskutieren, ob eineinhalb Jahre besser wären.
Die Sorge als Ökonom war ja, dass falsche Strukturen konserviert werden.
Diese Gefahr ist jetzt nicht mehr so groß, weil nur mehr ein sehr kleiner Teil aller Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen ist. Derzeit ist es knapp mehr als ein Prozent aller Beschäftigten. Aber es stimmt – es ist wichtig, bald aus der Corona-Kurzarbeit auszusteigen.
Die Kurzarbeit ist noch Teil der Krisenbekämpfung. Nun soll es jedoch auch Reformen geben. So ist für Herbst eine große Arbeitsmarktreform geplant. Die Probleme – etwa mangelnde Mobilität zwischen Ostund
Westösterreich – sind seit Jahren bekannt. Werden diese nun gelöst?
Es gab auch währen der Coronazeit immer wieder Anpassungen wie neue Qualifizierungsmaßnahmen oder verbesserte Mobilitätsförderungen. Nun wäre aber der Plan, einen großen Schritt zu setzen. Dieser Schritt muss aber austariert sein. Ob das gelingt, ist eine spannende Frage. Ich hoffe schon.
Gibt es Widerstand gegen Ihre Vorstellungen?
Es ist kein Widerstand, sondern halt unterschiedliche Betrachtungsweisen. Es haben sich ja schon verschiedenste Seiten zu Wort gemeldet. Hier müssen wir nun stärker ins Detail gehen und ein Gesamtpaket erstellen. Dass nicht alle bei jeder Einzelmaßnahme dafür sein werden, ist aber klar. Die große Frage ist, ob wir von einer ideologischen in eine Sachdiskussion kommen können. Ich hoffe, dass ich als Experte hier besser vermitteln kann als vielleicht ein anderer Politiker.
Neben dem Arbeitsmarkt gibt es ja viele andere Reformthemen. Als IHS-Chef haben Sie beispielsweise immer wieder das Thema Pensionen angesprochen. Hier heißt es im Regierungsprogramm, dass keine „grundlegende Neuausrichtung“notwendig sei. Reicht das?
Das wird die Zeit zeigen. Klar ist jedoch, wenn Leute älter