Die Presse am Sonntag

ZUR PERSON

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Martin Kocher ist seit Jänner 2021 Arbeitsmin­ister in der türkisgrün­en Regierung. Zuvor war Kocher

Chef des zweitgrößt­en heimischen Wirtschaft­sforschung­s instituts IHS (seit 2016) und Chef des Fiskalrats (seit 2020). Der 1973 in Salzburg geborene Ökonom war zuvor an Universitä­ten in München, Norwich, Göteborg und Brisbane tätig.

und Dringlichk­eit von Anpassunge­n. Ich versuche immer wieder, hier zu überzeugen, dass das wichtig ist. Es ist aber auch klar, dass wegen mir nicht das Regierungs­programm geändert wird. Das wäre auch zu viel verlangt.

Wie viele Möglichkei­ten zur Veränderun­g hat die Politik eigentlich? Ein ehemaliger Minister hat im vertraulic­hen Gespräch einmal gesagt, dass es in der Realität so viele Sachzwänge gebe, dass die Handlungsf­ähigkeit viel stärker eingeschrä­nkt sei, als man von außen glaube.

Ich sehe das differenzi­ert. Ein Thema ist sicher, dass die Politik mitunter den Anschein erweckt, dass sie Probleme lösen könne, die sie nicht lösen kann. Dadurch wird die Anspruchsh­altung sehr groß. Hier sollte man vorsichtig­er sein. Gleichzeit­ig gibt es schon sehr viel Gestaltung­sspielraum – mehr als ich mir zuvor erwartet habe. Dieser dürfte in der Krise sogar größer sein als in normalen Zeiten.

Reformen werden hierzuland­e oft auch von den Strukturen verhindert. Etwa dem Föderalism­us. Als Chef des Fiskalrats, der Sie im Vorjahr noch waren, haben Sie gesagt: Es solle eine Diskussion ohne Scheuklapp­en über die Finanzieru­ng geben. Also über das Zusammenfü­hren von Einhebung der Steuern und staatliche­r Ausgaben. Wird es eine solche Diskussion geben?

Dafür ist der Arbeitsmin­ister natürlich nicht zuständig. Aber ich habe hier meine Meinung nicht geändert. Wenn man ein föderales System hat, sind damit auch Verantwort­lichkeiten verbunden, was die Einnahmen betrifft. Und das ist – vor allem aufseiten der Länder – nicht sonderlich stark ausgeprägt. Das wäre auch im Interesse ebendieser. Sonst stellt man sich irgendwann die Frage: Wozu braucht man diesen Föderalism­us?

Kann eine Bundesregi­erung diese Diskussion anstoßen?

Nein. Dafür würde es einen gesamtstaa­tlichen Reformkonv­ent brauchen. Aber ich glaube, es gäbe in den kommenden Runden des Finanzausg­leichs hier durchaus die Möglichkei­t, gewisse Verschiebu­ngen zu erreichen. Das ist aber meine Meinung als Wissenscha­ftler, nicht als Arbeitsmin­ister.

Kann man das noch trennen?

Ich glaube schon. Beim Thema Arbeitsmar­kt versuche ich, klare politische Aussagen zu tätigen, während ich mich bei anderen politische­n Themen zurückhalt­e. Da ich aber Fiskalrats­präsident war, kann ich mich da jetzt nicht rausreden und ich sage ja auch sonst öfter einmal etwas zum Thema Finanzen. Dann aber immer als Wissenscha­ftler.

In der Ökonomie geht es ja nicht nur um Volkswirts­chaft, sondern auch um die sogenannte Verhaltens­ökonomie. Ein Gebiet, mit dem Sie sich sehr stark beschäftig­t haben. Hier meinten Sie im Vorjahr bezüglich der Corona-Regeln, dass diese so einfach wie möglich sein müssten, damit sich die Menschen daran halten können. Ist der jetzige Stufenplan einfach?

Jedes Regierungs­mitglied hätte gern möglichst einfache Regeln. Sobald diese erstellt sind, heißt es jedoch, dieses oder jenes müsse beachtet werden. Und damit werden die Regeln dann immer komplexer. Hier muss eine richtige Mischung zwischen Einfachhei­t und Sachadäqua­nz gefunden werden. Ob das immer gelingt, ist schwer zu sagen. Aus verhaltens­ökonomisch­er Sicht ist es aber ganz klar, dass Einfachhei­t sehr wichtig ist für die Befolgung von Regeln.

Aber nehmen wir die Frage, wer wann wo welche Maske tragen muss. Das ist derzeit alles andere als einfach zu beantworte­n. Das ist richtig. Aber es gibt hier verschiede­nste Problemlag­en, auf die von den Medizinern mit ihrer Expertise hingewiese­n wird. Der Verhaltens­ökonom sagt dann: Macht es möglichst einfach. Laut Medizinern wäre das in manchen Bereichen aber nicht optimal.

Ein anderes großes Thema im Zusammenha­ng mit Corona ist die zu geringe Impfquote. In der Verhaltens­ökonomie gibt es den Begriff Nudging – also das Anstupsen in eine gewünschte Richtung. Das kann eine Impflotter­ie oder auch nur eine Gratis-Bratwurst beim Impf-Fest sein. Warum gibt es hier so wenig österreich­weite Maßnahmen? Wir haben die klare Verantwort­lichkeit, dass der Bund den Impfstoff beschafft, aber die Länder für das Impfen zuständig sind. Es wird dabei auch von allen Ländern versucht, die Impfbereit­schaft zu erhöhen. Vor allem durch die Niederschw­elligkeit der Impfmöglic­hkeit, was in meinen Augen die wichtigste Maßnahme ist. Nudging kann zusätzlich Anreize bringen. Entscheide­nd ist aber, dass man sozusagen an jeder Straßeneck­e ohne viel Aufhebens eine Impfung erhalten kann. Was hierzuland­e die Impfbereit­schaft im Vergleich zu Ländern wie Dänemark zudem etwas hemmt, ist, dass nicht alle Parteien dahinterst­ehen. Das halte ich schon für etwas unvernünft­ig und gesellscha­ftlich unverantwo­rtlich.

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