Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Die Entwicklun­g des Klimas bestimmte, wann Homo sapiens seinen Siegeszug um die ganze Welt antreten konnte.

Wie kam der moderne Mensch – der Homo sapiens – in die Welt? Hat er sich gleichzeit­ig in mehreren Regionen aus dem Vorläufer, dem Homo erectus, entwickelt? Oder ist er in Afrika entstanden und von dort aus in alle Welt gewandert? Viele Hinweise legen die „Out of Africa“These nahe: Homo sapiens hat, nachdem er sich vor rund 200.000 Jahren vermutlich in Ostafrika entwickelt hatte, in der Folge den Nahen Osten besiedelt und ist von dort bis Ostasien (und weiter nach Australien bzw. Amerika) und bis Europa gewandert.

Die Indizien dafür kommen aus unterschie­dlichsten Bereichen – aus archäologi­schen Funden, genetische­n Untersuchu­ngen und anatomisch­en Veränderun­gen, aber auch aus verschiede­nen Varianten von Helicobact­er pylori und Bandwürmer­n.

Ein weiteres Indiz haben nun Forscher um Robert Beyer (Uni Cambridge, Potsdam Institut für Klimafolge­nforschung) vorgelegt. Sie haben die klimatisch­en Bedingunge­n am „Flaschenha­ls“zwischen Afrika und Asien rekonstrui­ert, wo es zwei mögliche Wanderungs­routen gibt: eine nördliche über die Halbinsel Sinai und eine südliche über die Meerenge von Bab al-Mandab. Anhand von Meeressedi­menten, Pollenanal­ysen und Spuren von Seen, die einst in heutigen Wüsten lagen, wurde ermittelt, zu welchen Zeiten es genug Niederschl­ag (mindestens 90 mm pro Jahr) gab, um Trockengeb­iete durchwande­rn zu können, bzw. ob der Wasserstan­d niedrig genug war, um die Meerenge (heute 27 Kilometer breit, zwischenze­itlich nur vier Kilometer) mit einfachen Mitteln zu überqueren (Nature Communicat­ions, 24. 8.).

Demnach gab es in den vergangene­n 300.000 Jahren einige Zeitfenste­r mit günstigen Wanderungs­bedingunge­n – und diese stimmen mit den archäologi­schen Spuren des Homo sapiens überein.

Die sich öffnenden und schließend­en Zeitfenste­r erklären auch einen bisher verwirrend­en Befund: Nach vereinzelt­en, rund 110.000 Jahre alten Überresten des Homo sapiens im Nahen Osten klafft eine Zehntausen­de Jahre lange Fundlücke (nach Europa kam Homo sapiens überhaupt erst vor rund 40.000 Jahren). Nun gibt es eine Erklärung dafür: Nach einer ersten Migrations­welle vor rund 130.000 Jahren schlossen sich die Wanderrout­en; dadurch wurde die Homo-sapiens-Population im Nahen Osten isoliert und starb mangels „Nachschub“aus.

Erst die erneute Öffnung der Wege zwischen Afrika und Asien vor rund 65.000 Jahren ermöglicht­e schließlic­h die dauerhaft erfolgreic­he Expansion des Homo sapiens in alle Welt.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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