Die Kunst, Kinder zum Essen zu verführen
Viele Eltern scheitern daran, ihren Kindern ausgewogene Ernährung schmackhaft zu machen. Essen darf zwar niemals Zwang sein, Erziehungsberechtigte müssen aber durchaus hartnäckig bleiben, um ihr Ziel Schritt für Schritt zu erreichen.
Ein entspannter Umgang mit dem Thema Ernährung ist für Eltern sehr wichtig.
Am Rand der Sandkiste sitzt ein junger Vater, in der einen Hand hält er ein abgebissenes Reiskeks, in der anderen eine Tupperwaredose mit klein geschnittenem Obst. Seine Mädchen toben im Sand, sie scheinen sich weder für das eine noch das andere zu interessieren. Ein Bub, der mit seiner Mutter zum Spielplatz gekommen ist, stibitzt sich schließlich ein Stück Apfel – und weckt doch noch das Interesse der Mädchen. Ein paar Meter lässt sich ein Kleinkind im Buggy beobachten, das gerade den Zucker von einer Colaflasche aus Gummi lutscht. Daneben stillt ein Vierjähriger seinen Durst mit einem Schluck Fanta.
Die Beobachtungen auf einem beliebigen Spielplatz werfen Fragen auf: Was sollen unsere Kinder essen? Wie oft? Wie viel? Und wie lässt sich das überhaupt durch Eltern beeinflussen? Viele Eltern hadern mit dem Essverhalten ihres Kindes, manche verzweifeln daran. Es gibt Kinder, die über Jahre nur zwei oder drei verschiedene Gerichte essen, andere wollen nur Süßes, wieder andere stopfen aus Langeweile den ganzen Tag Nahrung in sich hinein und werden übergewichtig.
Wie sich das Essverhalten der Kinder schon in frühen Jahren beeinflussen lässt, hat eine neue, vom Küchengerätehersteller Kenwood unterstützte Studie rund um den während der Coronapandemie bekannt gewordenen Umweltmediziner Hans Peter Hutter untersucht. Dabei kommt auch die Problematik des modernen Lifestyles zur Sprache: Aus Zeitdruck gibt es in vielen Familien unter der Woche nur Fertigkost, die im Vergleich zu frisch Gekochtem oft mehr Salz, Zucker und Fett enthält. Die Folge: Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen nehmen stetig zu. In Österreich sind heute bereits zwölf Prozent der Elf- bis 17-Jährigen übergewichtig, was im späteren Alter das Risiko für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, orthopädische Probleme sowie psychische Störungen begünstigt.
Um diese Negativspirale rechtzeitig zu stoppen, empfiehlt es sich, als Elternteil schon im frühen Kindesalter auf ausgewogene Ernährung zu achten, gleichzeitig aber einen entspannten Umgang mit dem Thema zu vermitteln. Das sagt Ernährungswissenschaftlerin Andrea Ficˇala im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Wir müssen uns bewusst machen, dass die meisten Kinder eine Phase haben, wo sie immer das Gleiche essen“, beruhigt die Expertin – beispielsweise die oft beliebten Spaghetti mit Butter und Parmesan oder Pommes mit Ketchup.
Kompromisse schließen. Alles, was neu ist, werde dagegen grundsätzlich abgelehnt. In so einem Fall empfiehlt es sich, mit den Kindern einen Kompromiss zu schließen: Sie sollen von jeder angebotenen Speise ein kleines Stück kosten, und wenn es nicht schmeckt, dürfen sie es wieder aus dem Mund nehmen – möglichst ohne dabei ihren Widerwillen oder gar Ekel mit bestimmten Lauten zum Ausdruck zu bringen. Das Lob der Eltern bestärkt das Kind, Unbekanntes auch beim nächsten Mal zu kosten. „Es ist natürlich eine Kunst, die Kinder überhaupt zum Kosten zu verführen“, so Ficˇala – und man brauche dazu viel Geduld. Aber mit der Zeit ernten Eltern die Früchte ihrer Bemühungen: Nach etwa acht bis zehn Verkostungen würde ein Kind die Speise als Teil des Tellers akzeptieren, so lautet die Grundregel. Erfolgversprechend ist auch die Taktik,
Andrea Fiˇcala ist Ernährungswissenschaftlerin und ausgebildete Köchin und macht auch Workshops in Schulen.
Superfoods
Einfach und regional. Andrea Fiˇcala. Löwenzahn Verlag, 240 Seiten, 29,90 Euro ein neues Nahrungsmittel mit einer bekannten Speise – etwa Pizza – zu kombinieren und schmackhaft zu machen.
Sehr wichtig ist, das Herantasten an neue Lebensmittel ohne Zwang zu praktizieren, gleichzeitig aber hartnäckig zu bleiben – im chaotischen Familienalltag nicht immer leicht. Wer sich schon die Zeit nimmt zu kochen, wünscht sich am Esstisch auch glückliche Gesichter, die das Gericht mit Genuss verzehren. Speziell mit kleinen Kindern oder Pubertierenden bleibt dies jedoch nicht selten ein Wunschtraum – weshalb eben auf Bewährtes zurückgegriffen wird, das allen schmeckt. Ein Fehler, meint die Expertin. Eltern sollten ihre Kinder nicht allein entscheiden lassen, was auf den Tisch kommt, wie es heute oftmals der Fall ist: Denn das beschränke die Vielfalt des Essens.
Dass nicht jeder nach einem langen Arbeitstag die Kraft und Lust hat, für die Familie ein vielseitiges Gericht zu zaubern, versteht sich von selbst. Ficˇala empfiehlt daher, vorzukochen und portionierte Mengen einzufrieren. Für die schnelle Küche empfiehlt sie Eintöpfe mit unterschiedlichen Beilagen wie Erdäpfeln, Reis oder auch Nudeln, Ofengemüse mit Süßkartoffeln, Kürbis und Huhn oder einen beliebig belegten Flammkuchen. Kurz vor einer Mahlzeit sollten Kinder nicht zu viele Kalorien aufnehmen. Gegen einen kleinen gesunden Snack ist aber nichts einzuwenden, wenn der Hunger schon sehr groß ist: Junge Menschen leiden häufig unter einem schnellen Abfall des Blutzuckerspiegels, was sich – wie wohl jeder Erwachsene aus eigener Erfahrung weiß – stark auf die Stimmung schlagen kann.
Für die Vormittagsjause sind unterteilte Boxen ideal, um geschnittenes Obst oder Gemüse, Brot, Käse, Hummus und Nüsse unterzubringen – im Idealfall. „Viele Kinder kommen nach wie vor täglich mit dem Schokocroissant
und der Packung Haribo Bärchen in die Schule“, sagt Ficˇala, die auch Workshops in Bildungseinrichtungen hält. Ein Thema, das der Ernährungswissenschaftlerin besonders am Herzen liegt, sind die Getränke. „Alles Gezuckerte sollte ausgeklammert werden“, warnt sie. Ungesüßtes wie Wasser, Soda Zitrone oder Tee sei dagegen ideal. Gegen Ausnahmen zu bestimmten Gelegenheiten spreche freilich nichts – doch auch dann sollte der Fruchtsaft zumindest im Verhältnis 50:50 mit Wasser gespritzt werden.
Dass das Essverhalten der Kleinen am Mittagstisch in Kindergarten und Schule oftmals vielseitiger ist als zu Hause, ist im Übrigen ein leicht erklärbares Phänomen: Andere Kinder werden beim Essen einer bestimmten Speise beobachtet und nachgeahmt. „Kinder wollen gefallen und mitreden können – auch beim Essen“, so die Expertin. Deshalb ist es auch zu Hause ratsam, zumindest einmal am Tag gemeinsam am Tisch zu sitzen und mit Freude und Genuss das Essen zu zelebrieren, um daraus ein positives Erlebnis zu machen.
Selbst kochen. Besonders ideal ist es, wenn Kinder sich schon früh für die Zubereitung interessieren und beim Kochen mithelfen – denn dadurch entstehe eine besondere Beziehung zum Essen, sagt die Expertin. Eltern sollten allerdings nicht verzweifeln, wenn ihre Kinder dieses Interesse nicht haben. Oft entwickelt es sich erst in der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter.
Ganz allgemein sei ein übermäßiger Fokus auf das Thema Essen nie zielführend. Auch der Druck, etwas aufessen zu müssen, sei kontraproduktiv. Stattdessen sollte man Kinder möglichst früh dazu animieren, sich eher kleine Portionen zu nehmen und ihnen so den Wert des Essens näherbringen. Das Argument, dass etwas „gesund“sei, zieht bei Kindern übrigens nicht. Vielmehr entscheiden sie bei vielen Geschmäckern intuitiv: Süßes wird mit der Muttermilch assoziiert und hat daher einen positiven Konnex, Bitteres lehnen die meisten Menschen bis zum Erwachsenenalter ab. Das hat einen ganz praktischen Grund: Weil auch Giftiges häufig bitter schmeckt, haben Kinder den angeborenen Reflex, solche Lebensmittel wieder auszuspucken.
Nicht selten kommt es vor, dass Eltern ob der vielen guten Ratschläge überfordert sind. Ficˇala beruhigt: „Der Körper hält mehr aus, als wir glauben.“Selbst wenn ein Kind einmal über einen bestimmten Zeitraum sehr einseitig isst, sei das noch keine Katastrophe: Der Körper kann das in den meisten Fällen gut über den Stoffwechsel ausgleichen. Wenn etwa ein bestimmtes
Viele kommen mit dem Schokocroissant und einer Packung Haribo in die Schule.
Das Argument, dass etwas gesund sei, zieht bei Kindern ganz und gar nicht.
Vitamin fehlt, erhöht er einfach die Aufnahme aus dem Darm. „Wenn man Kohlenhydrate, Fett und Proteine zu sich nimmt, kann eigentlich nichts schiefgehen“, sagt die Expertin. Deshalb zahlt es sich gar nicht aus, das Thema zu Hause zu einem Machtkampf ausarten zu lassen. Die meisten Probleme lösen sich nach der ein oder anderen schwierigen Phase nämlich ohnehin von selbst.
Das Streben nach Perfektion ist dabei ebenso wenig angebracht wie der ständige Vergleich mit anderen Eltern. Mit dem angemessenen Maß an Kreativität, Lockerheit und Hartnäckigkeit macht abwechslungsreiches Essen der ganzen Familie Spaß.
Bereits zwölf Prozent der Elf- bis 17-Jährigen sind was im späteren Alter das Risiko für HerzKreislauf-Erkrankungen, orthopädische Probleme sowie psychische Störungen begünstigt.
Andrea Fiˇcala empfiehlt, Kinder möglichst viel kosten zu lassen und das Thema entspannt anzugehen.
übergewichtig,
Ernährungswissenschaftlerin
Das „aktive und betreute Altern“ist eine Herausforderung unserer Zeit. Auf der einen Seite wird die Bevölkerung immer älter, auf der anderen Seite wächst der Wunsch vieler Menschen, selbstbestimmt im eigenen Zuhause alt werden zu können.