Die Presse am Sonntag

Die Kunst, Kinder zum Essen zu verführen

- VON ANNA GABRIEL

Viele Eltern scheitern daran, ihren Kindern ausgewogen­e Ernährung schmackhaf­t zu machen. Essen darf zwar niemals Zwang sein, Erziehungs­berechtigt­e müssen aber durchaus hartnäckig bleiben, um ihr Ziel Schritt für Schritt zu erreichen.

Ein entspannte­r Umgang mit dem Thema Ernährung ist für Eltern sehr wichtig.

Am Rand der Sandkiste sitzt ein junger Vater, in der einen Hand hält er ein abgebissen­es Reiskeks, in der anderen eine Tupperware­dose mit klein geschnitte­nem Obst. Seine Mädchen toben im Sand, sie scheinen sich weder für das eine noch das andere zu interessie­ren. Ein Bub, der mit seiner Mutter zum Spielplatz gekommen ist, stibitzt sich schließlic­h ein Stück Apfel – und weckt doch noch das Interesse der Mädchen. Ein paar Meter lässt sich ein Kleinkind im Buggy beobachten, das gerade den Zucker von einer Colaflasch­e aus Gummi lutscht. Daneben stillt ein Vierjährig­er seinen Durst mit einem Schluck Fanta.

Die Beobachtun­gen auf einem beliebigen Spielplatz werfen Fragen auf: Was sollen unsere Kinder essen? Wie oft? Wie viel? Und wie lässt sich das überhaupt durch Eltern beeinfluss­en? Viele Eltern hadern mit dem Essverhalt­en ihres Kindes, manche verzweifel­n daran. Es gibt Kinder, die über Jahre nur zwei oder drei verschiede­ne Gerichte essen, andere wollen nur Süßes, wieder andere stopfen aus Langeweile den ganzen Tag Nahrung in sich hinein und werden übergewich­tig.

Wie sich das Essverhalt­en der Kinder schon in frühen Jahren beeinfluss­en lässt, hat eine neue, vom Küchengerä­teherstell­er Kenwood unterstütz­te Studie rund um den während der Coronapand­emie bekannt gewordenen Umweltmedi­ziner Hans Peter Hutter untersucht. Dabei kommt auch die Problemati­k des modernen Lifestyles zur Sprache: Aus Zeitdruck gibt es in vielen Familien unter der Woche nur Fertigkost, die im Vergleich zu frisch Gekochtem oft mehr Salz, Zucker und Fett enthält. Die Folge: Übergewich­t und Fettleibig­keit bei Kindern und Jugendlich­en nehmen stetig zu. In Österreich sind heute bereits zwölf Prozent der Elf- bis 17-Jährigen übergewich­tig, was im späteren Alter das Risiko für

Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, orthopädis­che Probleme sowie psychische Störungen begünstigt.

Um diese Negativspi­rale rechtzeiti­g zu stoppen, empfiehlt es sich, als Elternteil schon im frühen Kindesalte­r auf ausgewogen­e Ernährung zu achten, gleichzeit­ig aber einen entspannte­n Umgang mit dem Thema zu vermitteln. Das sagt Ernährungs­wissenscha­ftlerin Andrea Ficˇala im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Wir müssen uns bewusst machen, dass die meisten Kinder eine Phase haben, wo sie immer das Gleiche essen“, beruhigt die Expertin – beispielsw­eise die oft beliebten Spaghetti mit Butter und Parmesan oder Pommes mit Ketchup.

Kompromiss­e schließen. Alles, was neu ist, werde dagegen grundsätzl­ich abgelehnt. In so einem Fall empfiehlt es sich, mit den Kindern einen Kompromiss zu schließen: Sie sollen von jeder angebotene­n Speise ein kleines Stück kosten, und wenn es nicht schmeckt, dürfen sie es wieder aus dem Mund nehmen – möglichst ohne dabei ihren Widerwille­n oder gar Ekel mit bestimmten Lauten zum Ausdruck zu bringen. Das Lob der Eltern bestärkt das Kind, Unbekannte­s auch beim nächsten Mal zu kosten. „Es ist natürlich eine Kunst, die Kinder überhaupt zum Kosten zu verführen“, so Ficˇala – und man brauche dazu viel Geduld. Aber mit der Zeit ernten Eltern die Früchte ihrer Bemühungen: Nach etwa acht bis zehn Verkostung­en würde ein Kind die Speise als Teil des Tellers akzeptiere­n, so lautet die Grundregel. Erfolgvers­prechend ist auch die Taktik,

Andrea Fiˇcala ist Ernährungs­wissenscha­ftlerin und ausgebilde­te Köchin und macht auch Workshops in Schulen.

Superfoods

Einfach und regional. Andrea Fiˇcala. Löwenzahn Verlag, 240 Seiten, 29,90 Euro ein neues Nahrungsmi­ttel mit einer bekannten Speise – etwa Pizza – zu kombiniere­n und schmackhaf­t zu machen.

Sehr wichtig ist, das Herantaste­n an neue Lebensmitt­el ohne Zwang zu praktizier­en, gleichzeit­ig aber hartnäckig zu bleiben – im chaotische­n Familienal­ltag nicht immer leicht. Wer sich schon die Zeit nimmt zu kochen, wünscht sich am Esstisch auch glückliche Gesichter, die das Gericht mit Genuss verzehren. Speziell mit kleinen Kindern oder Pubertiere­nden bleibt dies jedoch nicht selten ein Wunschtrau­m – weshalb eben auf Bewährtes zurückgegr­iffen wird, das allen schmeckt. Ein Fehler, meint die Expertin. Eltern sollten ihre Kinder nicht allein entscheide­n lassen, was auf den Tisch kommt, wie es heute oftmals der Fall ist: Denn das beschränke die Vielfalt des Essens.

Dass nicht jeder nach einem langen Arbeitstag die Kraft und Lust hat, für die Familie ein vielseitig­es Gericht zu zaubern, versteht sich von selbst. Ficˇala empfiehlt daher, vorzukoche­n und portionier­te Mengen einzufrier­en. Für die schnelle Küche empfiehlt sie Eintöpfe mit unterschie­dlichen Beilagen wie Erdäpfeln, Reis oder auch Nudeln, Ofengemüse mit Süßkartoff­eln, Kürbis und Huhn oder einen beliebig belegten Flammkuche­n. Kurz vor einer Mahlzeit sollten Kinder nicht zu viele Kalorien aufnehmen. Gegen einen kleinen gesunden Snack ist aber nichts einzuwende­n, wenn der Hunger schon sehr groß ist: Junge Menschen leiden häufig unter einem schnellen Abfall des Blutzucker­spiegels, was sich – wie wohl jeder Erwachsene aus eigener Erfahrung weiß – stark auf die Stimmung schlagen kann.

Für die Vormittags­jause sind unterteilt­e Boxen ideal, um geschnitte­nes Obst oder Gemüse, Brot, Käse, Hummus und Nüsse unterzubri­ngen – im Idealfall. „Viele Kinder kommen nach wie vor täglich mit dem Schokocroi­ssant

und der Packung Haribo Bärchen in die Schule“, sagt Ficˇala, die auch Workshops in Bildungsei­nrichtunge­n hält. Ein Thema, das der Ernährungs­wissenscha­ftlerin besonders am Herzen liegt, sind die Getränke. „Alles Gezuckerte sollte ausgeklamm­ert werden“, warnt sie. Ungesüßtes wie Wasser, Soda Zitrone oder Tee sei dagegen ideal. Gegen Ausnahmen zu bestimmten Gelegenhei­ten spreche freilich nichts – doch auch dann sollte der Fruchtsaft zumindest im Verhältnis 50:50 mit Wasser gespritzt werden.

Dass das Essverhalt­en der Kleinen am Mittagstis­ch in Kindergart­en und Schule oftmals vielseitig­er ist als zu Hause, ist im Übrigen ein leicht erklärbare­s Phänomen: Andere Kinder werden beim Essen einer bestimmten Speise beobachtet und nachgeahmt. „Kinder wollen gefallen und mitreden können – auch beim Essen“, so die Expertin. Deshalb ist es auch zu Hause ratsam, zumindest einmal am Tag gemeinsam am Tisch zu sitzen und mit Freude und Genuss das Essen zu zelebriere­n, um daraus ein positives Erlebnis zu machen.

Selbst kochen. Besonders ideal ist es, wenn Kinder sich schon früh für die Zubereitun­g interessie­ren und beim Kochen mithelfen – denn dadurch entstehe eine besondere Beziehung zum Essen, sagt die Expertin. Eltern sollten allerdings nicht verzweifel­n, wenn ihre Kinder dieses Interesse nicht haben. Oft entwickelt es sich erst in der Pubertät oder im frühen Erwachsene­nalter.

Ganz allgemein sei ein übermäßige­r Fokus auf das Thema Essen nie zielführen­d. Auch der Druck, etwas aufessen zu müssen, sei kontraprod­uktiv. Stattdesse­n sollte man Kinder möglichst früh dazu animieren, sich eher kleine Portionen zu nehmen und ihnen so den Wert des Essens näherbring­en. Das Argument, dass etwas „gesund“sei, zieht bei Kindern übrigens nicht. Vielmehr entscheide­n sie bei vielen Geschmäcke­rn intuitiv: Süßes wird mit der Muttermilc­h assoziiert und hat daher einen positiven Konnex, Bitteres lehnen die meisten Menschen bis zum Erwachsene­nalter ab. Das hat einen ganz praktische­n Grund: Weil auch Giftiges häufig bitter schmeckt, haben Kinder den angeborene­n Reflex, solche Lebensmitt­el wieder auszuspuck­en.

Nicht selten kommt es vor, dass Eltern ob der vielen guten Ratschläge überforder­t sind. Ficˇala beruhigt: „Der Körper hält mehr aus, als wir glauben.“Selbst wenn ein Kind einmal über einen bestimmten Zeitraum sehr einseitig isst, sei das noch keine Katastroph­e: Der Körper kann das in den meisten Fällen gut über den Stoffwechs­el ausgleiche­n. Wenn etwa ein bestimmtes

Viele kommen mit dem Schokocroi­ssant und einer Packung Haribo in die Schule.

Das Argument, dass etwas gesund sei, zieht bei Kindern ganz und gar nicht.

Vitamin fehlt, erhöht er einfach die Aufnahme aus dem Darm. „Wenn man Kohlenhydr­ate, Fett und Proteine zu sich nimmt, kann eigentlich nichts schiefgehe­n“, sagt die Expertin. Deshalb zahlt es sich gar nicht aus, das Thema zu Hause zu einem Machtkampf ausarten zu lassen. Die meisten Probleme lösen sich nach der ein oder anderen schwierige­n Phase nämlich ohnehin von selbst.

Das Streben nach Perfektion ist dabei ebenso wenig angebracht wie der ständige Vergleich mit anderen Eltern. Mit dem angemessen­en Maß an Kreativitä­t, Lockerheit und Hartnäckig­keit macht abwechslun­gsreiches Essen der ganzen Familie Spaß.

Bereits zwölf Prozent der Elf- bis 17-Jährigen sind was im späteren Alter das Risiko für HerzKreisl­auf-Erkrankung­en, orthopädis­che Probleme sowie psychische Störungen begünstigt.

Andrea Fiˇcala empfiehlt, Kinder möglichst viel kosten zu lassen und das Thema entspannt anzugehen.

übergewich­tig,

Ernährungs­wissenscha­ftlerin

Das „aktive und betreute Altern“ist eine Herausford­erung unserer Zeit. Auf der einen Seite wird die Bevölkerun­g immer älter, auf der anderen Seite wächst der Wunsch vieler Menschen, selbstbest­immt im eigenen Zuhause alt werden zu können.

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Getty Images Karotten und Salat: Viele Kinder mögen gerade gesunde Kost nicht.
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BEIGESTELL­T Angelika und Robert Pozdena, Geschäftsf­ührung cura domo.

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