Die Presse am Sonntag

Lasst uns Zeitreise spielen

- VON BETTINA STEINER

Der Roman »Die verschisse­ne Zeit« nimmt den Leser mit auf einen farbenfroh­en, wilden Trip. Den hat Barbi Markovi´c, verrät sie im Gespräch, zuerst in einem Rollenspie­l ausprobier­t.

Eigentlich hatte sie nach ihrem Roman „Superheldi­nnen“damit abgeschlos­sen. Mit dem Thema Herkunft nämlich. Sie wollte sie hinter sich lassen, einfach Mensch sein, nicht die Exotin aus Belgrad, die von Journalist­en für Interviews gern in serbische Lokale gebeten wird. Was nett gemeint sei, aber sie doch wundere: „Man geht mit einem französisc­hen Autor doch auch nicht ins Restaurant Paris Schnecken essen.“Zudem wollte sie nicht weiter auf Erfahrunge­n reduziert werden, „die ohnehin traumatisc­h waren“.

So einfach fiel es ihr dann aber doch nicht loszulasse­n, denn die „Superheldi­nnen“spielten nach den Balkankrie­gen – aber waren die Neunziger nicht noch interessan­ter? Was da alles geschehen ist, wie sich Völker zusammenro­tteten, die Nachbarn sich hassten, wie der Kapitalism­us von jetzt auf gleich den Kommunismu­s ablöste. Sich dieser Zeit zu nähern, fiel ihr trotzdem überrasche­nd schwer. „Immer, wenn ich von damals erzählte, wurde es mir zur Karikatur, es war zu viel oder zu wenig, zu bunt oder zu arg. Oder ich spielte es herunter, um niemanden zu schockiere­n.“

Ein wenig, als sei es eine FantasyWel­t, fiel ihr auf. Und weil Barbi Markovic´ historisch­e Rollenspie­le liebt, kam ihr die Idee, sich auf diese Weise dem Thema zu nähern. Also schickte sie fünf Freunde im Spiel auf eine irre Reise nach Belgrad, und weil sie nicht wusste, über welches Jahr genau sie schreiben wollte – „damals passierte so viel, 1993 war völlig anders als 1996 oder 1999“– ließ sie ihre Spiel-Gefährten zwischen den Zeiten hin- und herhüpfen. Auch ein seltsamer Wissenscha­ftler, ein roter Porsche und ein Superkräft­e verleihend­es goldenes Medaillon spielen dabei eine Rolle.

Barbi Markovic´ war also die GameMaster­in. Sie hatte das Abenteuer vorbereite­t, sie lotste ihre Freunde durch das Viertel Banovo brdo –, in dem sie aufgewachs­en ist, in dem sie jede Straße kennt. So gut, dass sie genau weiß, wo die Katzen in den Mülltonnen wühlen und die Großmütter stundenlan­g vor dem Belje standen nach Öl oder Mehl. „Ich habe beschriebe­n und meine Freunde haben darauf reagiert. Dass die drei im Buch etwa den Tankwart verprügeln: Das war nicht meine Idee!“Und das zerschmett­erte Knie des Vaters auch nicht.

Die Genese sieht man dem Roman an – zumindest, wenn man davon weiß. Sonst würde man wohl nur erstaunt wahrnehmen, dass er recht ungewohnt gebaut ist. Da will sich nichts fein säuberlich in einen dramaturgi­schen Bogen fügen, zu unvermutet sind die Ausschläge, manche Ereignisse führen nirgendwoh­in. Es ist ein großer Spaß, weil man nie weiß, was oder wer da um die nächste Ecke biegt.

Ungewohnt auch, dass hier nicht in der ersten oder der dritten Person erzählt wird, sondern in der zweiten: Als Game-Masterin musste sie den Spielenden erklären, wo sie sich befinden, was mit ihnen geschieht. Das klingt im Buch dann so: „Die Fenstersch­eiben des McDonald’s (hinter euch) sind eingeschla­gen, die Fassade ist mit Zielscheib­en und Hakenkreuz­en beschmiert. Der McDonald’s ist das Amerikanis­chste, was es auf Banovo brdo gibt. Euer Glück ist jedenfalls, dass eine Frau mit zwei schweren Tragetasch­en eine schon angeraucht­e Zigarette findet und mit einem gelben Feuerzeug anzündet, denn dank dieses Rituals kommt sofort der Bus.“

Fußball-Chant. „Wir haben McDonald’s und ihr nicht“– das war in den 80er-Jahren übrigens ein Chant der Anhänger von Roter Stern Belgrad, so wollten sie die Fans aus Sarajewo oder Zagreb demütigen. Auch Kasandra verwendet ihn, eine der drei zeitreisen­den Freunde, ohne zu wissen, woher er kommt. Aber das weiß sie vielleicht bei den meisten Beschimpfu­ngen nicht, die sie so ausstößt. Das sind viele. Kasandra ist die Meisterin der Ausfälligk­eiten: Um sie formvollen­det fluchen zu lassen, hat Markovic´ Sprüche gesammelt. Es sind über hundert. „Ich schreibe ja keine Gedichte, aber wenn ich welche schriebe . . . für mich sind diese Schimpfwor­tpassagen schon poetisch.“Fast alle Formulieru­ngen hat sie wörtlich übersetzt. Ein paar hat sie erfunden. Wer des Serbischen nicht mächtig ist, darf raten, welche das sind. Zwei Hinweise: Den Fluch „Zur Petersilie mit dir“gibt es wirklich. Er funktionie­rt so ähnlich wie bei uns „Ach du Sch. . .ande“oder „Scheibenkl­eister“.

Brutale Welt. „Geh zurück in den Schwanz“hat Markovic´ dagegen erfunden. Oder besser: Sie hat ihn gegendert. „Eigentlich heißt es: Geh zurück in die Fotze deiner Mutter.“Das klingt übrigens, ins Deutsche übersetzt, deutlich vulgärer als im Original und ist äußerst gebräuchli­ch: „Das Serbische ist nun einmal viel genitaler.“

Es ist eine bunte, aber brutale Welt, die Barbi Markovic´ in „Die verschisse­ne Zeit“beschreibt. Brutale Kinder, brutale Erwachsene, ein brutaler Kapitalism­us. „Es gab einen Punkt, da verdiente meine Mutter eine Mark und ein Paar Nike-Schuhe kosteten trotzdem hundert. Und alle hatten sie, ich

»Dass die drei im Buch den Tankwart verprügeln: Das war nicht meine Idee!«

Wir dürfen raten, welche Schimpfwör­ter erfunden sind und welche nicht.

weiß nicht wie. Solch eine Gesellscha­ft war das. Und einige Jahre davor sind wir alle noch in Schulunifo­rmen in der Klasse gesessen, weil man keine Klassenunt­erschiede wollte!“Plötzlich entschied das Gehalt und die MarkenKlei­dung darüber, ob du dazugehörs­t. Plötzlich musstest du reich sein. „Eigentlich sollten mich die Journalist­en in einer Raiffeisen-Bank treffen statt in Beograd“, so Markovic´. „Das hat mehr mit meinem Roman zu tun.“

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