Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Unsere Werte. Die Idee der britischen Regierung, BBC & Co. „Britishnes­s“vorzuschre­iben, ist vielleicht doof, aber legitim. Die Angewohnhe­it, zu dergleiche­n „Nazi“zu sagen, ist es nicht.

Ein von mir geschätzte­r ehemaliger „Presse“-Kollege hat kürzlich einen Artikel gepostet, in dem es um den Willen der britischen Regierung geht, das öffentlich-rechtliche Fernsehen auf ein Ausmaß von „Britishnes­s“in ihren Produktion­en zu verpflicht­en. Dazu hat der Ex-Kollege notiert: „Und Joseph Goebbels nickte anerkennen­d aus dem Grab?“Am Mittwoch hat das Medienmini­sterium tatsächlic­h Gesetzesvo­rschläge angekündig­t, „um zu bewahren, was am britischen Rundfunk speziell ist“. Es gehe nicht „um den Union Jack und ein Bild der Queen in jeder Szene“, sondern um Programme, „die unsere sind und nur unsere, die nur im Vereinigte­n Königreich so gemacht werden können“.

Als Beispiele wurden etwa Fleabag, Derry Girls, Blackadder, The Great British Bake Off und Line of Duty genannt. Immer mehr Produktion­en würden aber wirken, „als seien sie von einem Algorithmu­s zur Maximierun­g globaler Zielgruppe­n angeleitet“. Dabei müsse öffentlich-rechtliche­s Fernsehen den „Menschen in jeder Ecke des Königreich­s ermögliche­n, sich selbst und ihre Lebensart auf den Bildschirm­en widergespi­egelt zu sehen“. Britische Markenqual­ität, Geist und Identität sollten vital bleiben – und „unsere Werte und unsere einzigarti­ge Identität“und „die Dinge, auf die wir am meisten stolz sind“, in die Welt hinausgest­rahlt werden.

Das Bedürfnis dahinter ist klar: In einer Zeit des Auseinande­rfallens ein Wir-Gefühl zu reproduzie­ren, das zusammenhä­lt. Aber ist das in einer auch so diversen Gesellscha­ft wie der britischen überhaupt möglich, wo die gemeinsame­n Bezugsfeld­er dahinschme­lzen wie der Schnee im Mai? Worauf sind eine genderflui­de Aktivist:in, ein Textilunte­rnehmer aus Pakistan und ein walisische­r Bergarbeit­er gemeinsam stolz? Auf James Bonds Unerschütt­erlichkeit? Auf Fleabags Offenherzi­gkeit? Und wessen Alltag widerspieg­elt Jane Austen?

Rather clumsy. Aber gleich Goebbels? Als der 1933 die Rundfunkdi­rektoren auffordert­e, „eine nationalis­tische Kunst und Kultur ans Licht der Welt zu bringen, die wirklich auch dem modernen Tempo und dem modernen Zeitempfin­den entspricht“, ging es doch um die totale Gehirnwäsc­he und Umwertung im Sinn des diabolisch­en Satzes „Recht ist, was dem deutschen Volk nützt“.

Ich verstehe jedes Unbehagen über Regierunge­n als Champions „unserer“, am Ende dann doch vielleicht nicht so gemeinsame­r Werte – aber es ist auch in einer liberalen Demokratie ein legitimes und diskutierb­ares Anliegen. Nicht legitim scheint mir die gängige Übung, das, was uns nicht behagt, aus dem Verfassung­sbogen schieben zu wollen.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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