Japan hofft auf »coole« Führung
Die LDP-Parteispitze wählt ihren neuen Vorsitzenden und damit den Premier. Vielleicht ist erstmals eine Frau am Zug: Eine Ex-Schlagzeugerin hat gute Chancen.
Er galt als glückloser Politbürokrat: Nur ein Jahr hielt es Yoshihide Suga in seinem Amt. Zwei Monate nach Olympia muss Japans Premier seinen Posten räumen. Der Druck war einfach zu groß. Der bevorstehende Machtwechsel sorgt für Aufbruchstimmung: Das Land, das am liebsten weitgehend mit sich selbst beschäftigt ist, hofft auf einen Generationswechsel. Am 29. September entscheidet die seit Jahrzehnten fast ununterbrochen regierende Liberal-Demokratische Partei (LDP) über die Frau oder den Mann an der Spitze.
Dieses Votum ist spannend wie seit Jahren nicht mehr. Denn die Liste der Bewerber ist hochkarätig besetzt. Wer auch immer die LDP führt, wird aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Reichstag bei der Wahl am 4. Oktober auch Regierungschef. Das illustre Kandidaten-Quartett vertritt eine bisher unter japanischen Top-Politikern unbekannte Breite an Meinungen und Ideen. Dabei geht es um hochbrisante Themen wie das Verhältnis zu China und den USA, die Energiepolitik nach Fukushima, die Pandemie sowie Wege für den Wirtschaftsaufschwung.
Zwei Frauen. Erstmals stehen in der 66-jährigen Parteigeschichte zwei Frauen zur Debatte. LDP-Generalsekretärin Seiko Noda ist eine engagierte Frauenrechtlerin. Die Chancen der früheren Post- und Innenministerin gelten mangels innerparteilichen Rückhalts jedoch als eher gering. Dagegen könnte Sanae Takaichi zum ersten Mal in der Geschichte die männerdominierte Politik aufmischen und Premierministerin werden. Unterstützung dafür erhält sie von einem der prominentesten Ex-Premiers: Shinzo¯ Abe. Sie war zwei Mal Ministerin in dessen Kabinett. Als Jugendliche spielte sie noch Schlagzeug in einer Heavy-MetalBand, heute vertritt sie erzkonservative, nationalistische Ansichten. Takaichi will die Politik ihres Förderers Abe fortsetzen, steht für lockere Geldpolitik, für Wirtschaftswachstum um jeden Preis sowie für eine Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfassung.
„Impf-Kaiser“. Als Darling der Massen gewinnt indes Taro¯ Ko¯no immer mehr Beifall. Er punktete vor allem als „ImpfKaiser“, er konnte das extrem schleppend anlaufende Anti-Corona-Programm auf Tempo bringen. Als ehemaliger Außen- und Verteidigungsminister sowie als Ex-Minister für Verwaltungsreformen bringt Ko¯no auch auf diesen schwierigen Gebieten Erfahrung mit. Der in den USA ausgebildete Spross einer Politikerdynastie hegt seit Langem Ambitionen für das höchste Amt des Staates. Er galt bisher aber in der LDP-Hierarchie als schroff und unangepasst – als unbeliebt. Dazu gehört auch sein für japanische Politiker noch sehr untypisches Faible für soziale Netzwerke. Ko¯no hat auf Twitter über drei Millionen Follower und ist auch auf anderen Internet-Foren präsent.
Beobachter sagen vom ehrgeizigen Ko¯ no, er denke „nachweislich in anderen Bahnen“. So gehört er zu den wenigen Vertretern der politischen Elite, die sich für ein „offenes Japan“einsetzen. Er hält es angesichts der alternden Bevölkerung für notwendig, ausländische Arbeitskräfte ins Land zu holen. Gleichzeitig plädiert Ko¯ no – im Gegensatz zu den anderen Kandidaten – für den Ausbau von erneuerbaren Energien und ist gegen den Bau neuer AKW. Nach jüngsten Umfragen können sich fast 50 Prozent der LiberalDemokraten vorstellen, ihn zu wählen.
Doch die Machtfrage entscheiden die Funktionäre. Das macht Fumio Kishida Hoffnung: Er startet bereits seinen zweiten Anlauf, Parteichef und damit Premier zu werden. Mit seiner diplomatischen wie parteiinternen Karriere verfügt der Ex-Außenminister ebenfalls über eine Menge Erfahrung. Allerdings heißt es in Parteikreisen der LDP in Tokio, er scheue vor schwierigen Entscheidungen zurück.
Fest steht: Diese Wahl ist so offen wie noch nie. Allein deshalb, weil die bisher praktizierten Deals in verrauchten Hinterzimmern nicht mehr entscheidend sein sollen. Die sieben LDPGruppierungen wollen ihren Mitgliedern erstmals wirklich freistellen, wen sie wählen.
Erstmals kämpfen in der 66-jährigen Parteigeschichte zwei Frauen um den Vorsitz.
» Selbst wenn es plötzlich doch mehr Geburten gäbe, würden diese Babys 20 Jahre brauchen, um groß zu werden. «
TARŌ KŌNO
Beliebtester Kandidat für LDP-Führung