Die Presse am Sonntag

Das letzte Teilchen im Tesla-Puzzle

Seit August liefert Tesla das Model Y in Europa aus. Möglich macht das die Fabrik in China, denn die bei Berlin ist noch immer nicht fertig. Das neue Modell schließt die Lücke im Angebot des amerikanis­chen Elektroaut­opioniers.

- VON MANUEL REINARTZ

Jetzt ist es auch in Europa so weit. Das Model Y ist gelandet. Ursprüngli­ch war geplant, dass es in der nagelneuen Fabrik bei Berlin vom Band rollen sollte. Daraus wurde aber nichts. Vorerst. Der Bau der Fabrik verzögerte sich und musste den Start des Model Y auf Dezember verschiebe­n. Auf der anderen Seite der Erde schaffte es Tesla aber, die Produktion zu steigern. Kurzerhand hat das Unternehme­n die Autos aus der Fabrik in Shanghai nach Europa verschifft. Vorbestell­en konnten europäisch­e Kunden schon länger, seit August liefert Tesla nun doch aus.

Auf den ersten Blick wirkt das Model Y wie ein stark aufgeblase­nes Model 3. Kein Wunder, die beiden teilen sich einen Großteil der Komponente­n. Das Model Y ist allerdings um fast 20 Zentimeter höher und rund sechs Zentimeter länger und breiter als sein kleiner Bruder. SUV ist es nicht, davon gibt es ohnehin schon genug auf den Straßen. Im Autosprech nennt sich das Format Crossover.

Hoch sitzen. Den Unterschie­d spürt man schon beim Einsteigen, aber auch im Fond ist nun deutlich mehr Platz als im Model 3. Mehr Kopf- und Beinfreihe­it sorgen für einen angenehmen Aufenthalt in der zweiten Reihe. Eine dritte wird es übrigens auch geben, mit der dann insgesamt sieben Sitze zum Stromfahre­n einladen. Bestellbar ist sie noch nicht. Ganz hinten wird es aber dann doch etwas eng werden. Verzichtet man auf die dritte Reihe, hat man einen Ikea-tauglichen Kofferraum, ohne Kompromiss­e. 1900 Liter gehen da rein, wenn die geteilte Rücksitzba­nk umgelegt wird. Die bietet für das skifahrend­e Publikum auch eine Durchladek­lappe in der Mitte. Nimmt man die unterm Kofferraum liegende Ladewanne und den vorderen Kofferraum dazu, kommt man insgesamt auf 2150 Liter. Platz ohne Ende. Wem das noch nicht reicht, der kann um 1350 Euro das Anhängerpa­ket dazukaufen, auch im Nachhinein.

Es wäre nicht Tesla, wenn beim Ladekonzep­t nicht etwas radikal anders wäre. Die Amerikaner verzichten auf eine Kofferraum­abdeckung. Es gibt sie auch nicht zum Nachkaufen. Verständli­ch ist das nicht. So kann jeder durch die Heckscheib­e sehen, was im Kofferraum herumliegt, und bei einer Vollbremsu­ng wäre eine Abdeckung durchaus sinnvoll. Mittlerwei­le haben Drittanbie­ter die Schwachste­lle erkannt und bieten Nachrüstsä­tze zu satten Preisen an.

Apropos Preis. In Österreich ist derzeit nur das Longrange Model Y mit fünf Sitzen prompt verfügbar und kostet in der Basisausst­attung 56.070 Euro. Damit ist es nur um 100 Euro teurer als das Model 3 in der Longrange-Variante, das auf der Tesla-Webseite um 55.970 zu haben ist. Ob das ein Rechenfehl­er im Konfigurat­or oder eine Aktion ist, konnte uns Tesla nicht erklären. Genauso bedeckt halten sich die Amerikaner bei den Fahrzeugda­ten, vor allem bei Leistung und Drehmoment. Rund 450 PS soll das Model Y mit den zwei Motoren auf die Straße bringen und knapp 500 Nm Drehmoment sorgen für die kampfjetar­tige Beschleuni­gung des rund zwei Tonnen schweren Stromschli­ttens. Fahrspaß ist aber nicht nur dadurch garantiert, sondern auch durch die hervorrage­nde Straßenlag­e und sehr direkte Lenkung. Die ist zu Beginn etwas ungewohnt.

Ungewohnt ist wie schon beim Model 3 auch das extrem reduzierte Interieur. Zwei Hebel, die Tasten für Fensterheb­er und zwei Drehräder am Lenkrad. Das war’s. Viel mehr Knöpfe gibt es nicht. Dafür aber das riesige Display in der Mitte, mit dem alles gesteuert und eingestell­t wird. Wie gesagt, Gewöhnungs­sache. Ein Veteran des Motorjourn­alismus brachte es bei einer Probefahrt auf den Punkt: „Es ist nicht so schlimm wie vermutet.“

Bei den Testfahrte­n haben wir den Tesla auch nicht geschont oder gestreiche­lt. 780 Kilometer fast ausschließ­lich auf der Autobahn in typisch österreich­ischer Fahrweise, eingeschal­teter Heizung in der Früh und Klimaanlag­e am Abend, sollten uns zeigen, wie weit die WLTP-Reichweite von 507 Kilometern und der reale Verbrauch auseinande­rliegen. Gleich vorweg, das Model Y ist sparsam für seine Größe und Gewicht.

Exzesse. Ohne übertriebe­ne Beschleuni­gungsund Geschwindi­gkeitsexze­sse außerhalb des Erlaubten war der Verbrauch nicht über 20 kWh/100 km zu bekommen. Am Ende der Testfahrte­n zeigte der Bordcomput­er einen Durchschni­ttsverbrau­ch von 17,8 kWh/100 km an. Das ist beachtlich. Aber zugegeben, die Temperatur­en waren zwischen 12 und 28 Grad auch recht elektrofre­undlich. Reichweite­nfazit: In der Realität schafft das Model Y mindestens 300 und je nach Straßenmix, Temperatur und Fahrweise bis zu 450 Kilometer mit einer Ladung des 70 kWh großen Akkus (Netto).

Die Batterie ist somit um sieben kWh kleiner als die des Model 3 Longrange. Das erklärt, warum das Model Y um gerade einmal 200 Kilo schwerer ist. Dafür lädt das Model Y auch flott. Tesla verrät nicht, welcher Akku nun genau drinsteckt. Ein Panasonic- oder ein LFPAkku von CATL. Jedenfalls war die Batterie am Tesla Supercharg­er in 45 Minuten von zehn auf 90 Prozent geladen. Zeit genug für eine Pause und ein Plauscherl mit den Model-S-, -3- und -X-Fahrern über Teslas neuesten Wurf.

Da und dort hat er auch Kritikpunk­te. Zum Beispiel verwechsel­te das Model Y eine Tasche mit einem Laptop mit einem möglichen Beifahrer und schlug Alarm, die Tasche gefälligst anzuschnal­len.

Das Model Y Longrange ist nur 100 Euro teurer als das Model 3 Longrange. Ein Fehler?

Tesla patzt bei der Software. Verkehrssc­hilder werden nur selten korrekt erkannt.

Ganz schlimm ist Teslas Verkehrssc­hilderkenn­ung, die bereits seit einem Jahr Teil des Systems ist. Überkopfan­zeigen auf der Autobahn ignoriert die Erkennung genauso wie Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen im Baustellen­bereich. Ab und zu klappt es, meistens aber nicht, wenn die Geschwindi­gkeit nicht in den Kartendate­n gespeicher­t ist. Unverständ­lich, warum Tesla das nicht hinbekommt. Jeder VW kann das besser. Ähnliches gilt für den Abblendass­istenten. Der schaltet das Fernlicht eher nach Lust und Laune ein und aus und blendet im vollbeleuc­hteten Ortsgebiet Passanten. Gar nicht gut.

Ausgezeich­net arbeiten hingegen die Spracherke­nnung, der Stauassist­ent und natürlich das Navigation­ssystem.

Fazit. Teslas Model Y hat gefehlt in der Produktpal­ette der Amerikaner. Es ist geräumig, bietet jede Menge Platz für alle Lebenslage­n und geizt dabei nicht mit Leistung und Fahrspaß. Gegeizt wird vielmehr beim Verbrauch, der dem Auto eine alltagstau­gliche Reichweite beschert.

 ?? Clemens Fabry ?? Teslas Model Y ist fast 20 Zentimeter höher, sechs Zentimeter länger und breiter als das Model 3 und bietet mit 2158 Litern reichlich Platz in den Kofferräum­en vorn und hinten.
Clemens Fabry Teslas Model Y ist fast 20 Zentimeter höher, sechs Zentimeter länger und breiter als das Model 3 und bietet mit 2158 Litern reichlich Platz in den Kofferräum­en vorn und hinten.
 ?? Clemens Fabry ?? Das Cockpit ist ordentlich verarbeite­t und typischer Tesla-Purismus. Klavierlac­kelemente wurden endlich verbannt.
Clemens Fabry Das Cockpit ist ordentlich verarbeite­t und typischer Tesla-Purismus. Klavierlac­kelemente wurden endlich verbannt.

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