E-Mobilität aus der Tiefsee?
Der Inselstaat Nauru will als Erster mit Bergbau am Meeresboden Metalle fördern, die für Batterien gebraucht werden. Unumstritten ist das nicht.
Der Boden der Tiefsee bietet für manche den Schlüssel zur Rettung des Klimas.
Was hat der kleinste Inselstaat der Erde, Nauru im Pazifik auf halbem Weg zwischen Australien und Hawaii, mit der Rettung der Welt zu tun? Er will Schätze zugänglich machen, die für die Umstellung des Straßenverkehrs auf E-Mobilität gebraucht werden. Und zwar in rauen Mengen: Die Umstellung erfordert im Kern einen „Wandel von einem treibstoffintensiven Energiesystem zu einem materialintensiven“, erklärte im Frühjahr die Internationale Energie-Agentur IEA und rechnete die Dimensionen vor: „Ein typisches Elektroauto braucht sechsmal so viele mineralische Ressourcen wie ein konventionelles“(IEA: The Role of Critical Minerals in Clean Energy Transitions).
Mineralische Ressourcen? Eine der gebräuchlichen Lithium-Ionen-Batterien kann acht Kilogramm Lithium enthalten, 35 Kilo Nickel, 20 Kilo Mangan und 14 Kilo Kobalt (Nature 596, S. 336). Und bis 2030 sollen 145 Millionen Autos damit bestückt sein. Wo soll das Material herkommen? Von manchem wird sechsmal so viel gebraucht, wie man heute aus der Erde holt, und das oft problematisch genug: Kobalt wird zu zwei Dritteln im Kongo gefördert, oft von Kindern; Nickel kommt oft aus Minen in Indonesien, die die Umwelt ruinieren, und die Rohstoffe werden schon knapp (Nature Sustainability 4, S. 71).
Am Land. Aber geschätzte dreimal so viel – beim Kobalt gar sechsmal – wie in allen dort bekannten Reserven ruhen an den Böden der Meere, vor allem in „polymetallischen Knollen“. Die sind so groß wie Kartoffeln und stecken in 4000 Metern Tiefe im Sediment einer Region, die sich über 7000 Kilometer von Hawaii nach Mexiko zieht, der Clarion-Clippertone-Zone (CCZ). Sie haben sich über Jahrmillionen gebildet, indem sich Metalle aus dem Meerwasser in hohen Konzentrationen um abgesunkene Fischzähne und Sandkörner herum angelagert haben.
Man kennt sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, Begehrlichkeiten weckten sie, als in den 1960er-Jahren – etwa vom Club of Rome – Warnungen vor einer drohenden Rohstoffknappheit kamen. Die brachten einen Goldrausch der Tiefsee, der US-Milliardär Howard Hughes ließ ein Bergbau-Boot bauen, um vor Hawaii zu schürfen (das war nur die halbe Wahrheit, hinter Hughes standen CIA und US-Navy, denen es um das klandestine Heben eines gesunkenen sowjetischen Atom-U-Boots ging, das gelang auch teilweise).
Aber die Technik war nicht ausgereift, und an Land fanden sich neue Lager, die Bonanza brach in sich zusammen. Ende der 1970er-Jahre keimte sie wieder auf, neue Prototypen wurden entwickelt – Roboter zum Heben der Schätze aus dem Sediment, Rohrsysteme zum Transport nach oben –, auch der rechtliche Rahmen wurde bedacht: Seit 1982 soll eine UNO-Organisation, die International Seabed Authority ISA, Regeln für den Zugang zu Meeresböden erarbeiten und ihre Einhaltung sicherstellen. Fertig sind sie bis heute nicht – die ISA hat bisher nur 19 Genehmigungen für kleinflächige Explorationen des Tiefseebodens erteilt –, Frist um Frist lief ab, die letzte 2020.
UNO unter Zugzwang. Nun ist Nauru die Geduld gerissen, einer bitterarmen Insel, die mit Bodenschätzen gesegnet war, Phosphaten. Die wurden von Kolonialmächten abgeräumt, sie hinterließen eine Mondlandschaft. Aber Nauru liegt in der CCZ, und an deren Segen will es nun selbst teilhaben. Deshalb hat es die ISA in Zugzwang gebracht und einen Passus im Regelwerk aktiviert, demzufolge die Organisation binnen zweier Jahre über Abbauanträge entscheiden muss. Gestellt hat den Antrag der Staat für die Firma Nauru Ocean Ressources. Die ist eine Tochter der kanadischen The Metals Company, mit ihr ist Nauru unter Vertrag – und von deren Chef ließ es sich bei der Sitzung der ISA repräsentieren –, zu nach außen nicht bekannten Konditionen (auch zwei weitere Inseln in der CCZ sind es, Kiribati und Tonga).
Im Gegenzug haben 559 Meeresforscher in einem offenen Brief eine „Pause“für den Tiefseebergbau verlangt, da sie „einen Verlust an Biodiversität und Funktionieren des Ökosystems“befürchten, der „über Generationen nicht wieder gutzumachen“wäre. Ähnliches wird seit Längerem von Umweltund Naturschutz-NGOs gefordert, auch von manchen Staaten und der EU, und im März haben mehrere Firmen – Google und Samsung, BMW und Volvo –, verlautbart, sie würden für ihre Batterien bzw. E-Autos keine Materialien aus der Tiefsee verwenden.
Hintergrund ist das höchst rudimentäre Wissen über dieses Ökosystem, das letzte vom Menschen noch nicht angetastete: Über den Boden der Tiefsee weiß man gerade, dass es dort auch Leben gibt (Scientific Reports 6:30492), dass es oft an die Knollen selbst gebunden ist (Scientific Reports 11:12238) und dass es sich von einem – experimentellen – Aufwühlen der Sedimente auch nach 30 Jahren noch nicht erholt hat (Nature 571, S. 465).
Zum Unterstreichen der Moratoriumsforderung ist heuer ein Boot von Greenpeace – der „Rainbow-Warrior“– in der CZZ mit einem der Metals Company aneinandergeraten, aber die Firma fühlt sich zu Unrecht attackiert: Vor Kurzem hieß sie noch programmatisch Deep Green und twitterte 2019: „We are with @Greenpeace – we must protect the oceans.“Geschützt werden sollen sie vor der Erwärmung, deshalb müsse man die Schätze von ihrem nur karg belebten Boden heben, und das nur so lang, bis genug oben ist, um den Bedarf durch Recycling zu decken. In diesem Punkt, dem Gewicht auf Wiederverwertung, treffen sich alle, auch die politischen Akteure: In China hat der Staat dafür gesorgt, dass die riesigen Batterieindustrien Kapazitäten aufgebaut haben, die EU hat für 2023 eine Recycling-Richtlinie angekündigt.
NGOs und einzelne Firmen gehen weiter, sie halten manche Materialien für verzichtbar, Kobalt vor allem. Dafür stehen in Labors Lösungen bereit (Nature 596, S. 336), auch Tesla arbeitet daran. In diesem Detail steckt allerdings ein ökonomischer Teufel – das teure Kobalt macht Recycling rentabel –, und im Wiederverwerten selbst stecken technische Tücken: Die Bestandteile der Batterien sind oft so miteinander verklebt, dass sie nur mit Einschmelzen oder Baden in Säuren getrennt werden können (Science 372, S. 780). Das belastet die Umwelt, das belastet die Kassen. Man arbeitet an besserem Design und zieht Hoffnung daraus, dass Bleibatterien für konventionell betriebene Autos trotz niederer Bleipreise zu 98 Prozent dem Recycling zugeführt werden.
Der Boden der Tiefsee ist für andere ein Ökosystem, das nicht angetastet werden sollte.