Mit Tombolas gegen Impfskepsis
In Afrika gibt es weiter zu wenig Vakzine, die Skepsis gegen das Impfen bereitet aber immer mehr Sorge. Eine Südafrikanerin organisiert Verlosungen – nur für Geimpfte.
Die Südafrikanerin Jolene Samuels (35) hatte ungeduldig darauf gewartet, dass in ihrem Land Impfstoffe gegen das Coronavirus für ihre Altersgruppe freigegeben würden. Als im Juli das viel zu langsam gestartete Impfprogramm endlich an Tempo gewann und sie einen Termin bekam, dokumentierte Samuels ihre Impfung auf Facebook. Doch so mancher ihrer Freunde erwiderte, darauf verzichten zu wollen.
Sie habe angesichts dieser sich ausbreitenden Skepsis „nicht einfach herumsitzen“wollen, sagt Samuels am Telefon. Im Schrank, ganz hinten, waren noch vier Flaschen Wein und etwas Parfüm. Sie fotografierte beides und versprach auf Facebook, die Waren unter denjenigen zu verlosen, die sich impfen lassen. „Das hat eigentlich als Witz angefangen“, sagt Samuels. Doch die Idee kam glänzend an: Ein Freund spendete 500 Rand (rund 29 Euro) für die nächste Verlosung, andere Makeup und Bücher, Wein und Gutscheine für Bootstouren.
Und es gibt immer mehr Unterstützung. Zweimal täglich verlost die Agrarwissenschaftlerin inzwischen über ihre Seite auf Facebook die Preise, Hunderte haben mitgemacht, die meisten kennt Samuels nicht. Einzige Teilnahmebedingung: die Zusendung der Impfbescheinigung. „Einige haben mir geschrieben, dass meine Tombola der letzte Anschub für sie war, um sich endlich impfen zu lassen“, sagt sie. „Das ist ein gutes Gefühl.“
Vergleichbare Initiativen gab es in ungleich größerem Stil in mehreren Industrieländern wie Kanada und den USA. Auch in Österreich gibt es eine Corona-Lotterie: Im Burgenland werden unter Geimpften Autos verlost.
In Afrika erscheinen derartige Gedankenspiele zynisch. Schließlich bleibt das vorwiegende Problem in den meisten Ländern dort die Verfügbarkeit des Impfstoffs und der Aufbau der Kapazitäten für die Verabreichung. Gerade einmal rund vier Prozent der afrikanischen Bevölkerung sind vollständig geimpft – in Österreich waren es zuletzt 60 Prozent der Bürger. Nur ein Bruchteil der weltweit verabreichten Impfdosen wurde in Nationen mit niedrigem Einkommen geimpft, zu denen viele Länder Afrikas zählen.
„Das Problem in Afrika ist nicht Impfskepsis, sondern ein Mangel an Impfdosen“, betonte John Nkengasong, der Chef der Gesundheitsbehörde Africa CDC, kürzlich im Interview mit dem Fernsehsender al-Jazeera. Zusagen reicher Länder an Afrika für die Unterstützung von Impfprogrammen seien nicht eingehalten worden. Das Tempo der Auslieferungen sei bisher eine „totale Enttäuschung“.
Bedenkliche Spaltung. Das ist unbestritten, aber auch Impfskepsis bereitet zunehmend Sorge, besonders in Südafrika, dem mit über 86.000 Covid-Toten meistbetroffenen Land des Kontinents. Dort haben inzwischen immerhin 37 Prozent der Bevölkerung die erste Impfdosis erhalten, aber auch das ist deutlich weniger als geplant.
„Seit einigen Wochen sind ausreichend Impfstoffe und Kapazitäten verfügbar“, sagt Wolfgang Preiser, Virologe an der Universität Stellenbosch, „es mangelt aber an Impfwilligen.“Das sei auch nicht mehr auf die anfänglich umständliche Registrierung zurückzuführen, die weniger gebildeten Bürgern den Zugang erschwerte. Auch von einem Mangel an Impfzentren könne derzeit keine Rede mehr sein. „Das ist alles entfallen“, sagt der aus Deutschland stammende Mediziner, „man kann vielerorts einfach hingehen und sich impfen lassen.“
Am Kap gibt es neben der Sorge vor Nebenwirkungen besondere Faktoren, die dazu beitragen. Ausgeprägtes Misstrauen in die Regierung etwa, das so manchen Verschwörungstheorien Aufschwung gibt. Einflussreiche Impfgegner finden sich zum Beispiel in erzkonservativen religiösen Kreisen, auch ein Bündnis traditioneller Anführer hat offiziell von der Impfung abgeraten. Die Skepsis zieht sich aber durch alle Bildungsschichten und ethnischen Gruppen. In der weißen Minderheit ist der Anteil der Impfgegner Umfragen zufolge besonders hoch.
„Diese Spaltung ist schon bedenklich“, sagt Preiser. Er fühlt sich an südafrikanische Versäumnisse bei der Bekämpfung der HIV-Pandemie vor 20 Jahren erinnert. „Damals gelang es zunächst auch nicht, die Beweise zur Wirksamkeit der Medikamente klar genug zu kommunizieren“, sagt der Immunologe. Bisweilen habe er das Gefühl, dass das Land die wirklich wichtigen Herausforderungen nicht geschlossen angehe. Im Gegenteil: „Es zerfällt dann in seine Bestandteile.“
Im August vermeldete eine aufwendige internationale Studie die Impfbereitschaft von 85 Prozent der Befragten in 15 Entwicklungs- und Schwellenländern, also mehr als im globalen Durchschnitt. Doch die meisten der verwendeten Umfragen fanden noch im Jahr 2020 statt. Nicht nur die aktuelle Entwicklung in Südafrika lässt diese Einschätzung übertrieben optimistisch erscheinen. In Ländern wie Kongo, Malawi und dem Südsudan mussten Impfdosen zurückgegeben oder nach dem Verfalldatum zerstört werden – oft wegen Problemen beim Aufbau der Impfprogramme, teilweise jedoch, weil es in den Zielgruppen starke Skepsis gegen den Impfstoff gab.
Impfgegner finden sich in religiösen Kreisen und bei traditionellen Anführern.
» Bei der HIVPandemie vor 20 Jahren gelang es zunächst auch nicht, die Beweise zur Wirksamkeit der Medikamente klar genug zu kommunizieren. «
WOLFGANG PREISER Virologe an der Universität Stellenbosch
Neun Euro für jede Impfung – bei Tetanus-Programmen wurden so Erfolge erzielt.
Rabah Arezki, Chef-Ökonom der African Development Bank, fiel im August mit einem ungewöhnlichen Vorschlag im renommierten Fachmagazin „Nature“auf. Er forderte ergänzend zu einem deutlich beschleunigten Ausbau der notwendigen Logistik eine Zahlung von umgerechnet neun Euro für jeden Impfwilligen in Entwicklungsländern. Das werde die Gesamtkosten für die Covid-Impfungen in Afrika von derzeit 15 Milliarden Dollar auf 24 Milliarden Dollar erhöhen. Eine lohnende Investition aber auch für die Geberländer, so Arezki, schließlich werde das einen „wichtigen globalen Markt“wiederbeleben und die Wahrscheinlichkeit für neue Virusmutationen senken.
Ein entsprechendes Programm habe etwa die Impfquote nigerianischer Frauen gegen Tetanus signifikant erhöht. Er wisse, dass diese Maßnahme kontrovers sei, schrieb der ehemalige Afrika-Experte der Weltbank in dem Gastbeitrag, „aber ich habe gesehen, wie sie sorgfältig und effektiv eingesetzt worden ist.“