DIE FUSSBALL-KANZLERIN
Im April 2005 stieg über dem Vatikan weißer Rauch auf. Die Kardinäle hatten einen Deutschen zum Papst gekürt, und die „Bild“Schlagzeile „Wir sind Papst“wurde zum geflügelten Wort. Es sollte die erste Zäsur sein im Jahr einer überraschenden Neuwahl, in der die Union unter Angela Merkel nur knapp siegte. Viel hätte nicht gefehlt, und die Karriere der 51-Jährigen wäre zu Ende gewesen.
Just ein Testosteron-Auftritt Gerhard Schröders am Wahlabend in der TV-Elefantenrunde zementierte ihre Position. Mit Müh und Not schmiedete sie eine Große Koalition. Bei der Angelobung im Bundestag präsentierte sich die erste Regierungschefin des Landes als „Kanzlerin der kleinen Schritte“. Ihre Rede fiel angesichts des historischen Moments merkwürdig verhalten aus – „merkelig“, ohne große Geste und Pathos.
„Sommermärchen“. Ihre eigentliche Ära begann dann erst ein halbes Jahr später unter Regentschaft von „Kaiser Franz“, dem damals unantastbaren Nationalhelden Franz Beckenbauer.
Gleichsam mit dem Eröffnungsspiel der Fußball-WM 2006 im Münchner Stadion und dem ersten Tor Philipp Lahms hatte sich das Land verwandelt. Es brach Euphorie aus, das Sportereignis geriet zu einem Fest der Völker und Nationen, Deutschland durchlebte vier Wochen ein „Sommermärchen“, und Angela Merkel, die nüchterne Pastorentochter, avancierte zum obersten Aficionado des Nationalteams von Jürgen Klinsmann. Eine Ola-Welle rollte von Rügen bis zur Zugspitze.
Die Welt staunte über das neue, lockere, leichtfüßige Deutschland. Und die Deutschen erkannten ihre spröde Kanzlerin nicht wieder, die Gefallen fand an „Klinsi“, „Jogi“, „Poldi“und „Schweini“. Sie lud die Kicker ins Kanzleramt und hielt ihnen 15 Jahre lang die Treue durch alle Höhen und Tiefen. Auf der Tribüne fieberte Merkel bei den Deutschland-Spielen mit den „Klinsmännern“mit, bei den Toren riss es sie mitunter vom Sitz – freilich mit zaghafter Jubelpose. Die Fußballleidenschaft verlieh ihr eine volkstümliche Facette.
Als sich 2008 neuerlich eine globale Euphorie – die Obamania – ausbreitete, ließ sie sich indes nicht anstecken: Sie behielt kühlen Kopf und verweigerte Barack Obama das Brandenburger Tor als Wahlkampfbühne.