DIE KANZLERIN AN DER KIPPE
Angela Merkel holte sich ihre Macht zurück, indem sie ein Stück davon abgab: Am 29. Oktober 2018 informierte die Kanzlerin im Konrad-Adenauer-Haus darüber, dass sie im Dezember nicht mehr als CDU-Chefin kandidieren werde. Zuerst überraschte sie das Parteipräsidium damit. Dann die Öffentlichkeit. Von den oberen Stockwerken sah man Jens Spahn und Annegret KrampKarrenbauer auf den Medienraum hinunterblicken. Er scheiterte später als Kandidat, sie als Parteichefin.
Das stabile Gerüst, von dem aus Merkel ihr politisches Werk ausbaute, war zuvor heftig ins Schwanken geraten. Die Große Koalition musste regelmäßig in abendlichen Krisensitzungen gerettet werden. Selbst die Union drohte sich zu spalten. Grund war ein Asylstreit, Mitschuld trugen die „bösen Buben“in Bayern: Horst Seehofer, damals CSU-Chef, und Ministerpräsident Markus Söder stellten Merkel ein Ultimatum. Am Ende siegte der Kompromiss. Und Merkel blieb bekanntlich noch lang im Kanzleramt. Ab dem Zeitpunkt, an dem sie ihren Abschied offiziell ankündigte, fiel er ihrer Union schwer.