DIE UNNAHBARE
Eine sonderlich volksnahe Kanzlerin war Angela Merkel nie. Auf die Stammtischmeinung gab sie nicht viel. Und in die Niederungen des Wahlkampfs begibt sie sich bis heute äußerst ungern. Im Spätsommer 2016 schien die Kluft zwischen den Deutschen und ihrer Kanzlerin jedoch noch größer geworden zu sein. Bei jeder Gelegenheit rächten sich nun kritische Wähler für Merkels liberale Politik während der Flüchtlingskrise. Die AfD wurde immer stärker – und die Union immer nervöser.
Der CDU-Parteitag Anfang Dezember 2016 in Essen, eine für österreichische Verhältnisse unvorstellbar große Veranstaltung, stand für die Kanzlerin also unter keinen guten Vorzeichen. Am Vorabend gab es einen Empfang für Journalisten. Angela Merkel saß an einer langen Tafel mit den Vertretern der wichtigsten deutschen Medien, die an den Lippen der Kanzlerin hingen. Alle anderen wurden mit einer Kordel, die um den Tisch gespannt war, auf Abstand gehalten. Den österreichischen Bundeskanzler trifft man hin und wieder, man kann ihn in ein Gespräch verwickeln, manchmal bekommt man sogar ein Interview. Bei Angela Merkel ist das unmöglich. Näher als zehn Meter kommen ihr nur die wenigsten (Journalisten).
Am nächsten Tag stimmten 89,5 Prozent der Delegierten für Angela Merkel. Es war ein Denkzettel, aber nur ein kleiner. Ihre Popularität war, trotz allem, nach wie vor groß. Und die Union brauchte sie für die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Allerdings musste die Kanzlerin Zugeständnisse machen: In der Asylpolitik wurden von nun an andere Töne angeschlagen. Erst recht nach dem 19. Dezember, als ein islamistisch verblendeter Flüchtling mit einem Lkw in einen Berliner Weihnachtsmarkt raste, zwölf Menschen tötete und Dutzende zum Teil schwer verletzte.
Im Jänner machte der ungeliebte Sigmar Gabriel den Weg in der SPD für Martin Schulz frei. Der langjährige Präsident des EU-Parlaments wurde mit 100 Prozent zum Parteichef und Kanzlerkandidaten gewählt. In den Umfragen war bald ein Schulz-Effekt zu beobachten. Die Sozialdemokraten glaubten nun ernsthaft, Angela Merkel schlagen zu können. Näher sollten sie ihr nie mehr kommen.