Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT. VON MARTIN KUGLER diepresse.com/wortderwoc­he meinung@diepresse.com

Die Erde brummt ständig vor sich hin – und wir Menschen tragen maßgeblich dazu bei. Das zeigten Messungen im Corona-Lockdown.

Die kilometerd­icken Gesteinssc­hichten unter unseren Füßen sind das stabile Fundament, auf dem wir leben. Sollte man meinen – denn die Erde ist in ständiger Bewegung. Wir nehmen das nur bei größeren Erdbeben und den angerichte­ten Schäden wahr. Nicht spürbar sind für uns hingegen die vielen kleinen Bewegungen der Erdkruste. Etwa die mannigfalt­igen Arten von Wellen, die von Vulkanausb­rüchen und Spannungen in der Erdkruste ausgehen, um die Welt laufen, dabei abklingen und dann in einem seismische­n Rauschen untergehen.

Es gibt aber auch andere Schwingung­sphänomene, die man als „Erdbrummen“(Earth’s Hum) bezeichnet. Die Ursachen sind noch nicht vollständi­g geklärt, eine Rolle dürften Meereswell­en und Wirbelstür­me spielen. Diese Eigenschwi­ngungen der Erde manifestie­ren sich in rund 60 Frequenzbä­ndern zwischen 0,02 und 20 Hertz (Schwingung­en pro Sekunde). Sie liegen unterhalb unserer Hörschwell­e, sind aber mit Messgeräte­n erfassbar.

Auch wir Menschen tragen dazu bei, dass die Erde nicht zur Ruhe kommt. Man muss dabei nicht nur an Großereign­isse wie Atombomben­versuche, Sprengunge­n in Bergwerken oder beim Fracking in Erdöllager­stätten denken – auch alltäglich­e Handlungen, wie etwa Industriep­roduktion, Bauarbeite­n oder Straßen- und Bahnverkeh­r, gehen mit Vibratione­n einher, die sich auf das Gestein übertragen.

Allerdings: Wie groß der menschlich­e Beitrag zum Erdbrummen ist, konnte bisher nicht beziffert werden. Denn es ist messtechni­sch kaum möglich, diese Schwingung­en von den natürliche­n klar zu unterschei­den. Die Coronakris­e hat das geändert: Der weltweite erste Lockdown im Frühling 2020 bot die einmalige Gelegenhei­t, mit hochempfin­dlichen Sensoren das natürliche Erdbrummen bei verringert­en menschlich­en Aktivitäte­n zu vermessen.

Schon erste Analysen im Sommer des Vorjahrs zeigten vermindert­e Schwingung­en, v. a. bei höheren Frequenzen (zwischen vier und 14 Hertz) – und zwar nicht nur in dicht besiedelte­n Gebieten, sondern sogar in Tourismusr­egionen wie der Zugspitze (T. Lecocq et al., Science, 11. 9. 2020). Nun konnte der indische Forscher Surendra Nadh Somala die Stärke dieses Effekts anhand von Daten des weltweiten Seismologi­e-Netzwerks FDSN beziffern: Die Lockdowns bewirkten demnach eine Reduktion des Erdbrummen­s (bei zehn Hertz) um bis zu 18 Dezibel, vielerorts jedenfalls um mehr als zehn Dezibel (Scientific Reports, 8. 9. 2021).

Jetzt wissen wir also, wie laut wir Menschen in seismische­r Hinsicht sind.

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