Die Presse am Sonntag

Das ist doch… äh... Moment

Oft glauben Menschen, dass sie ein besonders schlechtes Namensgedä­chtnis haben. Dabei liegt viel an der Aufmerksam­keit – und an Bildern, die wir entstehen lassen könnten.

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER

I n gewissen Situatione­n ist es besonders peinlich. Man trifft jemanden, mit dem man sich wunderbar unterhalte­n hat, erinnert sich genau an das Gespräch. Aber wie die Person hieß? Gähnende Leere. Unangenehm ist es auch, wenn man überschwän­glich mit Namen begrüßt wird und die Pause nach dem eigenen „Hallo“sich langsam zu einem Bekenntnis dehnt. Und wenn man eine ganze Gruppe von Menschen wiedertrif­ft, beim jährlichen Elternaben­d etwa, wird die eigene Schwachste­lle besonders deutlich.

Auffällig viele Menschen sind der Meinung, dass ihr Namensgedä­chtnis schlecht ist. Sie würden einen Namen hören und quasi in dem selben Moment schon wieder vergessen, erzählen sie. Aber gibt es das überhaupt: ein Namensgedä­chtnis? Denn während im Gehirn eine eigene Region dafür zuständig ist, Gesichter zu verorten, sind Namen ja abstrakt, was der Kern des Problems ist. Und auch noch nicht allzu lang relevant, wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet. Der Begriff Namensgedä­chtnis jedenfalls bezeichnet keine Verortung, sondern eine Fähigkeit. Von der eben viele glauben, dass sie ihnen fehlt. Doch woher kommen die Schwierigk­eiten?

Viele Menschen hätten gar nicht die Erwartung, sich den gehörten Namen zu merken, erklärt Gedächtnis­experte Boris Nikolai Konrad. Oder sie würden es sich auch gar nicht vornehmen. Dadurch werde die Aufmerksam­keit nicht darauf gerichtet.

Fragt sich: Wo ist sie dann, die Aufmerksam­keit? Vielleicht beim Getränk, das man erst abstellen muss. Bei der Sonne, die blendet. Bei dem Hund, der sich nähert. Und derzeit wohl auch oft bei der Frage, was die Etikette zur Begrüßung vorgibt: Ellbogench­eck, Handschlag, Fist Bump oder ein schlichtes Winken?

„Unsere Aufmerksam­keit wird durch das Arbeitsged­ächtnis begrenzt“, erklärt Konrad, „die Kapazität ist da aber wirklich gering.“Er spricht von sieben Informatio­nshappen, die Platz finden. Und weil rundherum ja auch Dinge passieren, verschwind­e die Informatio­n schnell wieder aus dem Arbeitsged­ächtnis. „Darum ist mein erster Tipp immer: sich bewusst vornehmen, auf den Namen zu achten, und ihn einmal selbst ausspreche­n.“Konrad selbst hielt nicht nur acht Jahre lang im Guinnessbu­ch der Rekorde den Meistertit­el im Namenmerke­n, er promoviert­e auch am Max-Planck-Institut für Psychiatri­e zu den neuronalen Grundlagen außergewöh­nlicher Gedächtnis­leistungen. Vor zehn Jahren fuhr er noch viel auf Turniere und Wettbewerb­e, heute macht er das nicht mehr. Er arbeitet zwei Tage die Woche an einer niederländ­ischen Universitä­t, ansonsten ist er vor allem als Vortragsre­dner tätig: Techniken zum Gedächtnis­training sind eine viel gefragte Sache.

Eine Frage des Trainings. Wie kann man sich möglichst viele Namen möglichst gut merken? Konrad setzt auf eine Verknüpfun­g mit Bildern, um sich neue Namen einzupräge­n, denn die lassen sich deutlich leichter abspeicher­n. Er überlegt also, welcher Gegenstand ähnlich klingt, oder denkt an eine Person gleichen Namens, die er dann mit dem jeweiligen Menschen in eine bildhafte Szene setzt. Heißt eine Frau also etwa Violetta Schmidt, könnte er sich einen Schmied vorstellen, der die Bluse eben jener Frau violett bemalt. Mit dieser Technik habe er seinen Weltrekord aufgestell­t, sagt Konrad. Also sich 201 Namen in 15 Minuten gemerkt.

Wer Namen längerfris­tig behalten wolle, sollte sie sich noch am selben und auch am folgenden Tag erneut ins Gedächtnis rufen: „Die ersten Wiederholu­ngen sind die wichtigste­n“, sagt Konrad. Aber auch Wochen oder Monate später solle man die Personen wieder abrufen. Das Memorieren klingt freilich nach viel Arbeit. Zu viel vielleicht sogar? Konrad argumentie­rt mit einer Studie dagegen, für die die Probanden sechs Wochen lang Gedächtnis­training gemacht haben. Danach konnten sie sich in den Aufgaben nicht nur dreimal so viele Informatio­nen merken, sondern brauchten auch weniger Energie: „Das Gehirn lernt, die Aufgabe viel effiziente­r zu erledigen.“

Digitale Rückversic­herung. Wer es sich lieber leicht macht, hat freilich heute mehr Möglichkei­ten als je zuvor. Das meiste, was man braucht, lässt sich googeln, vom Arzt bis zum Schuldirek­tor. Wem der Name eines Politikers oder Schauspi elers nicht einfällt, der tippt ein paar passende Begriffe ein, was Gespräche freilich oft mehr stört als bereichert. Auch zur Pflege der persönlich­en Kontakte notieren sich manche am Handy auch gleich die Namen der Partner oder Kinder. Dazu kommt, beruflich oft nicht unpraktisc­h, dass bei Online-Meetings üblicherwe­ise die Namen der Teilnehmer aufscheine­n. Dass die ständige digitale Rückversic­herung uns te ilweise denkfaul macht, kann man nicht von der Hand weisen. Genauso wenig wie den nicht gerade positiven Einfluss, den das Alter hat? Immerhin stellt sich bei vielen ab 40 Jahren immer öfter das Gefühl ein, sie könnten nur begrenzt auf das zugreifen, was sie sich merken wollten.

Zumindest bei der Aufnahmege­schwindigk­eit spielt das Alter eine Rolle, sagt Konrad dazu. Man kann es aber von einer anderen Seite betrachten: „Man könnte das Gedächtn isa uch als Menge der Namen sehen, die ich schon weiß. Da ist natürlich jeder 70-Jährige besser als ein 20-Jähriger, selbstwenn­ervielverg­essenhat.“

Warum passiert es, dass wir einen Namen hören – und ihn fast zeitgleich vergessen?

Man kann das Gedächtnis auch als Menge der Namen sehen, die man schon kennt.

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Getty Images Wie oft kann man nachfragen, wenn man einen Namen vergessen hat?

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