Das ist doch… äh... Moment
Oft glauben Menschen, dass sie ein besonders schlechtes Namensgedächtnis haben. Dabei liegt viel an der Aufmerksamkeit – und an Bildern, die wir entstehen lassen könnten.
I n gewissen Situationen ist es besonders peinlich. Man trifft jemanden, mit dem man sich wunderbar unterhalten hat, erinnert sich genau an das Gespräch. Aber wie die Person hieß? Gähnende Leere. Unangenehm ist es auch, wenn man überschwänglich mit Namen begrüßt wird und die Pause nach dem eigenen „Hallo“sich langsam zu einem Bekenntnis dehnt. Und wenn man eine ganze Gruppe von Menschen wiedertrifft, beim jährlichen Elternabend etwa, wird die eigene Schwachstelle besonders deutlich.
Auffällig viele Menschen sind der Meinung, dass ihr Namensgedächtnis schlecht ist. Sie würden einen Namen hören und quasi in dem selben Moment schon wieder vergessen, erzählen sie. Aber gibt es das überhaupt: ein Namensgedächtnis? Denn während im Gehirn eine eigene Region dafür zuständig ist, Gesichter zu verorten, sind Namen ja abstrakt, was der Kern des Problems ist. Und auch noch nicht allzu lang relevant, wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet. Der Begriff Namensgedächtnis jedenfalls bezeichnet keine Verortung, sondern eine Fähigkeit. Von der eben viele glauben, dass sie ihnen fehlt. Doch woher kommen die Schwierigkeiten?
Viele Menschen hätten gar nicht die Erwartung, sich den gehörten Namen zu merken, erklärt Gedächtnisexperte Boris Nikolai Konrad. Oder sie würden es sich auch gar nicht vornehmen. Dadurch werde die Aufmerksamkeit nicht darauf gerichtet.
Fragt sich: Wo ist sie dann, die Aufmerksamkeit? Vielleicht beim Getränk, das man erst abstellen muss. Bei der Sonne, die blendet. Bei dem Hund, der sich nähert. Und derzeit wohl auch oft bei der Frage, was die Etikette zur Begrüßung vorgibt: Ellbogencheck, Handschlag, Fist Bump oder ein schlichtes Winken?
„Unsere Aufmerksamkeit wird durch das Arbeitsgedächtnis begrenzt“, erklärt Konrad, „die Kapazität ist da aber wirklich gering.“Er spricht von sieben Informationshappen, die Platz finden. Und weil rundherum ja auch Dinge passieren, verschwinde die Information schnell wieder aus dem Arbeitsgedächtnis. „Darum ist mein erster Tipp immer: sich bewusst vornehmen, auf den Namen zu achten, und ihn einmal selbst aussprechen.“Konrad selbst hielt nicht nur acht Jahre lang im Guinnessbuch der Rekorde den Meistertitel im Namenmerken, er promovierte auch am Max-Planck-Institut für Psychiatrie zu den neuronalen Grundlagen außergewöhnlicher Gedächtnisleistungen. Vor zehn Jahren fuhr er noch viel auf Turniere und Wettbewerbe, heute macht er das nicht mehr. Er arbeitet zwei Tage die Woche an einer niederländischen Universität, ansonsten ist er vor allem als Vortragsredner tätig: Techniken zum Gedächtnistraining sind eine viel gefragte Sache.
Eine Frage des Trainings. Wie kann man sich möglichst viele Namen möglichst gut merken? Konrad setzt auf eine Verknüpfung mit Bildern, um sich neue Namen einzuprägen, denn die lassen sich deutlich leichter abspeichern. Er überlegt also, welcher Gegenstand ähnlich klingt, oder denkt an eine Person gleichen Namens, die er dann mit dem jeweiligen Menschen in eine bildhafte Szene setzt. Heißt eine Frau also etwa Violetta Schmidt, könnte er sich einen Schmied vorstellen, der die Bluse eben jener Frau violett bemalt. Mit dieser Technik habe er seinen Weltrekord aufgestellt, sagt Konrad. Also sich 201 Namen in 15 Minuten gemerkt.
Wer Namen längerfristig behalten wolle, sollte sie sich noch am selben und auch am folgenden Tag erneut ins Gedächtnis rufen: „Die ersten Wiederholungen sind die wichtigsten“, sagt Konrad. Aber auch Wochen oder Monate später solle man die Personen wieder abrufen. Das Memorieren klingt freilich nach viel Arbeit. Zu viel vielleicht sogar? Konrad argumentiert mit einer Studie dagegen, für die die Probanden sechs Wochen lang Gedächtnistraining gemacht haben. Danach konnten sie sich in den Aufgaben nicht nur dreimal so viele Informationen merken, sondern brauchten auch weniger Energie: „Das Gehirn lernt, die Aufgabe viel effizienter zu erledigen.“
Digitale Rückversicherung. Wer es sich lieber leicht macht, hat freilich heute mehr Möglichkeiten als je zuvor. Das meiste, was man braucht, lässt sich googeln, vom Arzt bis zum Schuldirektor. Wem der Name eines Politikers oder Schauspi elers nicht einfällt, der tippt ein paar passende Begriffe ein, was Gespräche freilich oft mehr stört als bereichert. Auch zur Pflege der persönlichen Kontakte notieren sich manche am Handy auch gleich die Namen der Partner oder Kinder. Dazu kommt, beruflich oft nicht unpraktisch, dass bei Online-Meetings üblicherweise die Namen der Teilnehmer aufscheinen. Dass die ständige digitale Rückversicherung uns te ilweise denkfaul macht, kann man nicht von der Hand weisen. Genauso wenig wie den nicht gerade positiven Einfluss, den das Alter hat? Immerhin stellt sich bei vielen ab 40 Jahren immer öfter das Gefühl ein, sie könnten nur begrenzt auf das zugreifen, was sie sich merken wollten.
Zumindest bei der Aufnahmegeschwindigkeit spielt das Alter eine Rolle, sagt Konrad dazu. Man kann es aber von einer anderen Seite betrachten: „Man könnte das Gedächtn isa uch als Menge der Namen sehen, die ich schon weiß. Da ist natürlich jeder 70-Jährige besser als ein 20-Jähriger, selbstwennervielvergessenhat.“
Warum passiert es, dass wir einen Namen hören – und ihn fast zeitgleich vergessen?
Man kann das Gedächtnis auch als Menge der Namen sehen, die man schon kennt.