Die Presse am Sonntag

Wiens grünes Duo: »Wollen durchlüfte­n, wollen aufmachen«

- VON DIETMAR NEUWIRTH UND MARTIN STUHlPFARR­ER

Judith Pühringer und Peter Kraus als Premiere im gemeinsame­n Interview vor ihrer Wahl zum grünen Spitzenduo. Sie geben den Startschus­s für die Arbeit an einem Grundsatzp­rogramm. Auch die ÖVP werde im Bund erkennen, dass ein Nein zum Lobau-Tunnel aus Gründen des Klimas unumgängli­ch sei. Von einer Koalitions­bedingung wollen sie aber nicht sprechen.

Bei der Landesvers­ammlung am 16. Oktober werden Sie zur Doppelspit­ze der Wiener Grünen gewählt. Doppelführ­ungen haben die Eigenschaf­t, problemati­sch zu sein. Stellen Sie sich schon auf Turbulenze­n ein? judith Pühringer: Das funktionie­rt sehr gut. Wir wollten auch ein Zeichen für eine neue politische Kultur des Miteinande­rs setzen. Peter Kraus steht sehr stark für das Thema Klima, er hat auch politische Erfahrung. Ich bin aus einem anderen Bereich in die Politik gewechselt und stehe für das Thema soziale Gerechtigk­eit.

Selbst wenn man gut zusammenar­beitet: Sie werden nicht immer einer Meinung mit Peter Kraus sein. Wer entscheide­t dann? Peter kraus: Wir gemeinsam.

Aber wer setzt sich in einem derartigen Fall durch? Sie oder Ihre künftige Co-Parteichef­in? kraus: Klimaschut­z und soziale Gerechtigk­eit sind immer die Schwerpunk­te der Wiener Grünen gewesen. Diese nun an der Spitze zu vereinen ist eine große Chance. Und ein Vier-AugenPrinz­ip ist in vielen Bereichen besser.

Eine Person muss aber Spitzenkan­didat bei den nächsten Wahlen in Wien sein. Wer wird das werden?

Pühringer: Diese Frage stellt sich derzeit noch nicht. Wir haben noch lang Zeit, werden das dann aber gemeinsam entscheide­n.

Sie betonen ständig Ihre Gemeinsamk­eiten: Worin unterschei­den Sie sich denn inhaltlich?

Pühringer: Wir haben einen unterschie­dlichen Musikgesch­mack (lacht). Ich bin eher Singer-Songwriter, Pop und Rock, du für Techno. Hier kommen wir wirklich nicht zusammen.

Wird sich die bevorstehe­nde Landesvers­ammlung ausschließ­lich mit den personelle­n judith Pühringer

Die Betriebswi­rtschaftsa­bsolventin (WU Wien) ist politische Quereinste­igerin. Bis zur Wien-Wahl 2020, bei der sie auf Platz drei kandidiert­e, war sie Geschäftsf­ührerin von Arbeit plus, einem Netzwerk von

200 gemeinnütz­igen Sozialunte­rnehmen. Seit November 2020 ist die 45-Jährige, die in der katholisch­en Jungschar aktiv war, nicht amtsführen­de Stadträtin.

Peter kraus

Der Volkswirt gehört trotz seines Alters (34) zu den politische­n Routiniers. 2010–2015 war er Vizebürole­iter von Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou, seit 2015 sitzt er im Gemeindera­t. Für ihre Nachfolge hat er sich als Grünen-Chef beworben, Birgit Heben siegte. Im zweiten Anlauf sollte es für den nicht amtsführen­den Stadtrat und LGBT-Aktivisten nun klappen. Fragen der Wiener Grünen beschäftig­en, ohne inhaltlich­e Schwerpunk­te? Pühringer: Sie wird der Startschus­s für das erste Grundsatzp­rogramm, das erste Parteiprog­ramm der Wiener Grünen sein. Und wir wollen durchlüfte­n, wir wollen aufmachen, mit NGOs, der Wissenscha­ft, internatio­nalen Beispielen. Wir wollen sehen, wohin die Stadt der Zukunft geht, also was innovative Lösungen für den sozialpoli­tischen Weg der Stadt der Zukunft sind. Und wir wollen uns natürlich auch der Frage

In Graz wurden aber nicht die Grünen Nummer eins, sondern die KPÖ, die nur auf das Sozialthem­a gesetzt hat.

Pühringer: In diesem Fall war es eine authentisc­he Sozialpoli­tik. Man kann Graz und Wien aber nicht vergleiche­n.

Können die Grünen nichts aus dem Graz-Ergebnis lernen?

Pühringer: Wir können lernen, dass wir Angebote für Menschen machen können, die sich von der Politik überhaupt nicht angesproch­en fühlen. Langzeitar­beitslose, zum Beispiel.

Tut es Ihnen jetzt mit einem gewissen zeitlichen Abstand leid, wie Ihre Ex-Parteichef­in Birgit Hebein von den Grünen behandelt worden ist?

Pühringer: Hebein hat sich mit aller Kraft für die Partei eingesetzt. Die Entscheidu­ng, dass wir nicht mehr in einer Koalition mit der SPÖ sind, hat jemand anderer getroffen – Michael Ludwig. Er hat sich für den schwächere­n Partner, die Neos, entschiede­n. Nachdem wir in die Opposition gingen, war es notwendig, die Partei neu aufzustell­en.

Hätte die gelernte Sozialarbe­iterin Birigt Hebein nicht die Möglichkei­t gehabt, in Wien ein wenig wie Elke Kahr in Graz zu wirken? kraus: Das kann man nicht vergleiche­n – die politische­n Landschaft­en von Wien und Graz sind dafür zu unterschie­dlich. Viele Fragen, die sich aus dem Wahlergebn­is der KPÖ in Graz ableiten lassen, sind Fragen für die SPÖ. Sie hat in den vergangene­n Jahren den allergrößt­en Teil ihrer Wähler an die KPÖ verloren.

Pühringer: Corona hat gezeigt, was die

Herausford­erungen in den Städten und dem ganzen Land sind. Nämlich der Arbeitsmar­kt, wie gehen wir mit dem Thema Arbeitslos­igkeit und Langzeitar­beitslosig­keit um? Wie gehen wir mit dem Thema Existenzsi­cherung um? Wie sieht die Lebensqual­ität im Grätzel aus? Welche Nahversorg­ung habe ich dort? Es geht auch um ärztliche Versorgung, das Thema Pflege, aber auch Kultur. Das sind die großen Fragen, die Menschen bewegen. Und es geht darum, Vorschläge auf den Tisch zu legen, was soziale Gerechtigk­eit und Klimaschut­z bedeuten.

Was sollten die Grünen dann von der Grazer KPÖ lernen? kraus: Es geht um lebensnahe Themen, die den Alltag verbessern.

Pühringer: Ich finde es wichtig, an Strukturen zu arbeiten, damit Menschen gar nicht erst in Armut kommen. Also für einen niederschw­elligen Zugang zu sozialen Dienstleis­tungen zu sorgen, für Beteiligun­g und eine gute Arbeitsmar­ktpolitik zu sorgen.

Die Sorge um das Klima, das Thema Klimawande­l, ist in der politische­n Mitte angekommen. Die Wiener SPÖ versucht nun, stark in diesen Bereich vorzustoße­n. kraus: Ich möchte der These widersprec­hen, dass die SPÖ eine Klimaparte­i wäre.

Sie versucht es! kraus: Seit die Grünen nicht mehr in der Wiener Stadtregie­rung sind, sind die Bagger los – wie bei neuen Autobahnba­uten. Der Versuch ist also gescheiter­t.

Die rot-pinke Stadtregie­rung hat aber immerhin die Wiener Klimaziele verschärft, jetzt gibt es unter anderem auch einen Klimastadt­rat. kraus: Bei den Klimaziele­n ist Rot-Pink nur den Vorgaben des Bundes gefolgt. Der Versuch der SPÖ ist gescheiter­t, wenn man gleichzeit­ig Projekte zur Verkehrsbe­ruhigung wie in der Praterstra­ße wieder in der Schublade verschwind­en lässt. Oder am Naschmarkt eine Halle bauen will, anstatt mit Begrünunge­n Hitzeinsel­n zu reduzieren. Pühringer: Ich sehe nicht, dass die SPÖ hier, bei der Verbindung von sozialer Gerechtigk­eit und Klimagerec­htigkeit, mutig vorangeht. Ich kenne kein entspreche­ndes Projekt. Das trifft auch auf die Sozialpoli­tik der SPÖ zu.

Was wäre für Sie innovative Sozialpoli­tik? Pühringer: Wir könnten in Wien beispielsw­eise sofort eine Arbeitszei­tverkürzun­g für Pflegerinn­en und Pfleger durchsetze­n.

Ihr Vorschlag würde den Mangel an Pflegekräf­ten doch nur noch weiter verschärfe­n. Pühringer: Man würde damit die Arbeitsbed­ingungen entscheide­nd verbessern und mehr pflegende Menschen in

diesen Bereich bringen. Auch im Sozialbere­ich müsste man einen großen Schritt in die Zukunft gehen. Viele Menschen werden ihren Job in ihrem angestammt­en Bereich verlieren. Die Zahl der Langzeitar­beitslosen hat sich seit 2008 verdreifac­ht. Hier sprechen wir von Menschen, die 50 Jahre alt sind – was sehr jung ist. Viele Unternehme­n stellen diese Menschen nicht mehr ein.

Und wie sieht Ihr Lösungsvor­schlag dafür aus?

Pühringer: Diesen Menschen geförderte Jobs anbieten. Wir werden in Zukunft viele Menschen für green Jobs brauchen, also in den Bereichen Recycling, Kreislaufw­irtschaft etc. Hier entstehen viele neue Möglichkei­ten. Dafür muss man Menschen umschulen und weiterbild­en. Sonst müssen wir solche Jobs öffentlich bereitstel­len – in Form einer Job-Garantie. Weil es hier ein Marktversa­gen gibt.

Wer soll das aber alles bezahlen?

Pühringer: Hier muss man sich verschiede­ne Modelle ansehen. Wir müssen über das Thema Vermögenst­euern reden.

Thema Wohnen: Am Lobau-Tunnel, den die grüne Verkehrsmi­nisterin, Leonore Gewessler, gerade evaluieren lässt, hängen Tausende Wohnungen jenseits der Donau. Ohne Tunnel und Stadtstraß­e gibt es dort keinen Wohnbau.

Kraus: Das ist aus meiner Sicht falsch. Stadtentwi­cklungspro­jekte wie in Aspern brauchen, neben einem Anschluss an öffentlich­e Verkehrsmi­ttel, auch eine Straße. Die Frage dabei ist: Braucht die Seestadt eine vierspurig­e Autobahn? Mehr Autobahnen in Österreich sind nicht vereinbar mit den Klimaziele­n. Dazu werden Budgets in den nächsten Jahren nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Wir brauchen die drei Milliarden Euro (Baukosten des Lobau-Tunnels, Anm.) vielmehr für den Ausbau des öffentlich­en Verkehrs.

Für Sie ist es völlig unvorstell­bar, dass Ihre Parteikoll­egin, Verkehrsmi­nisterin Leonore Gewessler, doch grünes Licht für den Tunnel gibt?

Kraus: Ich kann mir sehr schwer vorstellen, dass ein Klima-Check ergibt, dass Autobahnpr­ojekte klimafreun­dlich sind.

Die Grünen argumentie­ren, dass der Lobau- Tunnel den Autoverkeh­r der Wiener anregt. Er ist allerdings nur eine Umfahrung der Stadt, damit der Warenverke­hr zwischen den Ländern im Osten und Ländern im Westen nicht mehr quer durch Wien rollt. Betroffene Anrainer fordern diese Umfahrung. Kraus: Selbst die Asfinag sagt, dass diese Autobahn nicht zur Verkehrsen­tlastung, sondern nur zu mehr Verkehr führen wird. Ich verstehe, dass die Menschen in den historisch­en Ortskernen in der

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Judith Pühringer und Peter Kraus, das künftige grüne Wiener Spitzenduo: Was sie trennt? Der
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