Die Lage ist düsterer denn je
Zehn Jahre nach dem Bestseller »Blackout« nehmen Stromausfälle zu, Cyberattacken sorgen für neue Bedrohungen und die Energiewende birgt neue Gefahren.
Wie vernetzt und voneinander abhängig unsere Welt geworden ist, wurde mir schon vor Jahren bewusst. Damals habe ich erfahren, aus wie vielen Einzelteilen eine simple elektrische Zahnbürste besteht. Diese Vernetzung, Globalisierung und Digitalisierung erlaubt uns – zumindest in einem Teil der Welt –, in immensem Wohlstand, gesund und lange zu leben. Auf der anderen Seite beruht dieses System auch auf extrem vielen Abhängigkeiten.
Werden diese Lieferketten unterbrochen, kann es zu Problemen bis hin zum Kollaps des Systems kommen. Damals habe ich mir vorgenommen, ein Buch über diese von Abhängigkeiten geprägte Welt zu schreiben.
Bald merkte ich: Aus allen kritischen Infrastrukturen – von Logistik, hin zu Geldversorgung oder Kommunikationssystemen – sticht eine besonders hervor: die Energieversorgung. Stoppt man dieses System, fallen alle anderen schnell mit.
Seitdem vor neun Jahren mein Buch „Blackout – Morgen ist es zu spät“erschienen ist, beschäftige ich mich mit dem Thema. Es wird immer aktueller. Zuletzt stand Europa am 8. Jänner 2021 kurz vor dem Blackout. Im Februar konnte man beobachten, was in Texas passierte, als Millionen Menschen tagelang ohne Strom und Wasser waren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Österreich, die Schweiz oder Deutschland von einem schweren Blackout betroffen sein werden.
Fachleute haben mir versichert, dass man das Stromnetz nach einem Zusammenbruch in wenigen Stunden, spätestens nach zwei bis fünf Tagen wiederherstellen kann. Unter der Bedingung, dass der Ausfall eine natürliche Ursache hat – schlechtes Wetter, menschliches oder technisches Versagen. Anders ist das bei einer Cyberattacke. Derartige Angriffe sind keine Fantasie mehr: 2016 wurde das Energiesystem der Ukraine von Russland attackiert, 2021 führte der Hack einer Pipeline in den USA zu Problemen.
Wir sind mittendrin in diesen Szenarien. Wir können davon ausgehen, dass heutzutage jeder größere Staat, der im internationalen Machtpoker mitspielt, in den Energiesystemen anderer Staaten mit geheimer Software präsent ist oder das zumindest versucht. Jeder Staat versucht, sein System zu sichern. Aber niemand weiß, ob nicht schon längst irgendwelche digitalen Zeitbomben versteckt liegen.
Von abgeschnürten Gliedmaßen. Ein großer Blackout, der mit Absicht ausgelöst wird, kann im Wesentlichen von Terroristen oder kriegerischen Handlungen ausgehen. Was dann passiert, hängt von der Ursache ab. Meist kommt es irgendwo zu einer Stromüberversorgung und irgendwo zu einer Unterversorgung. Beides ist nicht gut.
Bei einer Unterversorgung müssen schnell Kapazitäten besorgt werden, indem man entweder von woanders groß Strom bezieht oder Kraftwerke hochgefahren werden. Das sind heute meistens Gaskraftwerke, die in Reserve stehen. Doch aus Kostengründen wurden viele dieser Kraftwerke in den vergangenen Jahren stillgelegt. Außerdem kann man Großabnehmer wie Zementfabriken kurzzeitig vom Netz nehmen. Wenn das nicht gelingt, muss man unsichere Bereiche abkoppeln. So als würde man eine Gliedmaße abschnüren, damit der restliche Körper überlebt. Die Gliedmaßen haben in diesem etwas schrägen Vergleich noch ein eigenes Herz, können sich also zur Not eine Zeitlang selbst aufrechterhalten – etwa mit Dieselgeneratoren.
Auch Überproduktion kann ein Problem sein: Ist zu viel Strom in den Leitungen, greifen binnen Sekundenbruchteilen automatische Abschaltmechanismen, damit die Leitungen nicht verschmoren. Das führt dazu, dass benachbarte Leitungen die Überlastung abbekommen und sich auch ausschalten. Dann hat man die paradoxe Situation, dass man zu viel Strom hat und dadurch plötzlich keinen mehr. Man könnte das mit dem Blutdruck vergleichen: Ist er zu hoch oder zu niedrig, kollabiert der Mensch irgendwann.
Das Wichtige ist, zu begreifen, dass wir dabei in Europa völlig von einander abhängig sind. Man kann sich als Nationalstaat kaum von solchen Problemen abkoppeln. Das ist ein europäischer Verbund, wo jeder vom Stromsystem des anderen lebt.
Als in New York der Strom wegen des Hurrikans „Sandy“im Jahr 2012 für zwei, drei Tage ausfiel, war die Bereitschaft zu helfen groß – schließlich wusste man schon, dass der Sturm kommt, und konnte sich vorbereiten.
Bei einem großflächigen Ereignis wird Hilfe überall gebraucht: Wasser kommt nicht aus den Leitungen, die Tankstellen können kein Benzin mehr pumpen, Geldautomaten keine Scheine ausgeben. Und ohne Strom kein Internet, keine Kommunikation und Koordination zwischen den Opfern.
Seit Erscheinen des Buches habe ich zwei Erkenntnisse gewonnen: Einerseits findet gerade die Energiewende
Marc Elsberg ist 1967 als Marcus Rafelsberger in Wien geboren und in Baden aufgewachsen. Er studierte an der Angewandten und arbeitete zunächst in der Werbebranche. Bekannt wurde der Buchautor mit seinem Bestseller „Blackout – Morgen ist es zu spät“über die Folgen eines großflächigen Stromausfalls.
statt – der notwendige Umbau hin zu Erneuerbaren. Wird die Grundlast nicht gedeckt, springt die Regelleistung ein, die im Moment großteils Strom aus konventionellen Kraftwerken bekommt. Damit das auch mit erneuerbaren Energiesystemen wie Wind- und Solarenergie klappt, muss man mehr und stärkere Leitungen verlegen sowie für ausreichend Speicher sorgen. Man muss sich bewusst sein, dass man hier ein komplett neues System baut und nicht einfach eine Energiequelle durch eine andere ersetzt.
Wenn man über diese Risken nachdenkt, muss man breiter denken, als es getan wird.
Meine zweite Erkenntnis kann ich anhand eines Beispiels illustrieren: Ich werde oft zu Diskussionsveranstaltungen geladen, zu denen auch Vertreter von Unternehmen oder Behörden geladen sind. Sie erklären dann oft, dass sie nach der Lektüre meines Buches für mehr Sicherheit gesorgt haben. Das ist fein, aber: ein, zwei Jahre später wird dieses Unternehmen durch Ransomware – also Schadprogramme, mit deren Hilfe ein Eindringling Zugriff auf Daten oder Computersysteme bekommt – erpresst und aufgefordert, sämtliche Kundendaten rauszurücken.
Wenn man über diese systemischen Risken nachdenkt, muss man breiter denken, als es heute getan wird. Man müsste mehrere Bedrohungsszenarien mitdenken. Denn wir wissen nicht, was die nächste Krise ist: ein Stromausfall, eine weitere Pandemie oder ein riesiger Chemieunfall.