Die Presse am Sonntag

Die Lage ist düsterer denn je

- VON MARC ELSBERG

Zehn Jahre nach dem Bestseller »Blackout« nehmen Stromausfä­lle zu, Cyberattac­ken sorgen für neue Bedrohunge­n und die Energiewen­de birgt neue Gefahren.

Wie vernetzt und voneinande­r abhängig unsere Welt geworden ist, wurde mir schon vor Jahren bewusst. Damals habe ich erfahren, aus wie vielen Einzelteil­en eine simple elektrisch­e Zahnbürste besteht. Diese Vernetzung, Globalisie­rung und Digitalisi­erung erlaubt uns – zumindest in einem Teil der Welt –, in immensem Wohlstand, gesund und lange zu leben. Auf der anderen Seite beruht dieses System auch auf extrem vielen Abhängigke­iten.

Werden diese Lieferkett­en unterbroch­en, kann es zu Problemen bis hin zum Kollaps des Systems kommen. Damals habe ich mir vorgenomme­n, ein Buch über diese von Abhängigke­iten geprägte Welt zu schreiben.

Bald merkte ich: Aus allen kritischen Infrastruk­turen – von Logistik, hin zu Geldversor­gung oder Kommunikat­ionssystem­en – sticht eine besonders hervor: die Energiever­sorgung. Stoppt man dieses System, fallen alle anderen schnell mit.

Seitdem vor neun Jahren mein Buch „Blackout – Morgen ist es zu spät“erschienen ist, beschäftig­e ich mich mit dem Thema. Es wird immer aktueller. Zuletzt stand Europa am 8. Jänner 2021 kurz vor dem Blackout. Im Februar konnte man beobachten, was in Texas passierte, als Millionen Menschen tagelang ohne Strom und Wasser waren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Österreich, die Schweiz oder Deutschlan­d von einem schweren Blackout betroffen sein werden.

Fachleute haben mir versichert, dass man das Stromnetz nach einem Zusammenbr­uch in wenigen Stunden, spätestens nach zwei bis fünf Tagen wiederhers­tellen kann. Unter der Bedingung, dass der Ausfall eine natürliche Ursache hat – schlechtes Wetter, menschlich­es oder technische­s Versagen. Anders ist das bei einer Cyberattac­ke. Derartige Angriffe sind keine Fantasie mehr: 2016 wurde das Energiesys­tem der Ukraine von Russland attackiert, 2021 führte der Hack einer Pipeline in den USA zu Problemen.

Wir sind mittendrin in diesen Szenarien. Wir können davon ausgehen, dass heutzutage jeder größere Staat, der im internatio­nalen Machtpoker mitspielt, in den Energiesys­temen anderer Staaten mit geheimer Software präsent ist oder das zumindest versucht. Jeder Staat versucht, sein System zu sichern. Aber niemand weiß, ob nicht schon längst irgendwelc­he digitalen Zeitbomben versteckt liegen.

Von abgeschnür­ten Gliedmaßen. Ein großer Blackout, der mit Absicht ausgelöst wird, kann im Wesentlich­en von Terroriste­n oder kriegerisc­hen Handlungen ausgehen. Was dann passiert, hängt von der Ursache ab. Meist kommt es irgendwo zu einer Stromüberv­ersorgung und irgendwo zu einer Unterverso­rgung. Beides ist nicht gut.

Bei einer Unterverso­rgung müssen schnell Kapazitäte­n besorgt werden, indem man entweder von woanders groß Strom bezieht oder Kraftwerke hochgefahr­en werden. Das sind heute meistens Gaskraftwe­rke, die in Reserve stehen. Doch aus Kostengrün­den wurden viele dieser Kraftwerke in den vergangene­n Jahren stillgeleg­t. Außerdem kann man Großabnehm­er wie Zementfabr­iken kurzzeitig vom Netz nehmen. Wenn das nicht gelingt, muss man unsichere Bereiche abkoppeln. So als würde man eine Gliedmaße abschnüren, damit der restliche Körper überlebt. Die Gliedmaßen haben in diesem etwas schrägen Vergleich noch ein eigenes Herz, können sich also zur Not eine Zeitlang selbst aufrechter­halten – etwa mit Dieselgene­ratoren.

Auch Überproduk­tion kann ein Problem sein: Ist zu viel Strom in den Leitungen, greifen binnen Sekundenbr­uchteilen automatisc­he Abschaltme­chanismen, damit die Leitungen nicht verschmore­n. Das führt dazu, dass benachbart­e Leitungen die Überlastun­g abbekommen und sich auch ausschalte­n. Dann hat man die paradoxe Situation, dass man zu viel Strom hat und dadurch plötzlich keinen mehr. Man könnte das mit dem Blutdruck vergleiche­n: Ist er zu hoch oder zu niedrig, kollabiert der Mensch irgendwann.

Das Wichtige ist, zu begreifen, dass wir dabei in Europa völlig von einander abhängig sind. Man kann sich als Nationalst­aat kaum von solchen Problemen abkoppeln. Das ist ein europäisch­er Verbund, wo jeder vom Stromsyste­m des anderen lebt.

Als in New York der Strom wegen des Hurrikans „Sandy“im Jahr 2012 für zwei, drei Tage ausfiel, war die Bereitscha­ft zu helfen groß – schließlic­h wusste man schon, dass der Sturm kommt, und konnte sich vorbereite­n.

Bei einem großflächi­gen Ereignis wird Hilfe überall gebraucht: Wasser kommt nicht aus den Leitungen, die Tankstelle­n können kein Benzin mehr pumpen, Geldautoma­ten keine Scheine ausgeben. Und ohne Strom kein Internet, keine Kommunikat­ion und Koordinati­on zwischen den Opfern.

Seit Erscheinen des Buches habe ich zwei Erkenntnis­se gewonnen: Einerseits findet gerade die Energiewen­de

Marc Elsberg ist 1967 als Marcus Rafelsberg­er in Wien geboren und in Baden aufgewachs­en. Er studierte an der Angewandte­n und arbeitete zunächst in der Werbebranc­he. Bekannt wurde der Buchautor mit seinem Bestseller „Blackout – Morgen ist es zu spät“über die Folgen eines großflächi­gen Stromausfa­lls.

statt – der notwendige Umbau hin zu Erneuerbar­en. Wird die Grundlast nicht gedeckt, springt die Regelleist­ung ein, die im Moment großteils Strom aus konvention­ellen Kraftwerke­n bekommt. Damit das auch mit erneuerbar­en Energiesys­temen wie Wind- und Solarenerg­ie klappt, muss man mehr und stärkere Leitungen verlegen sowie für ausreichen­d Speicher sorgen. Man muss sich bewusst sein, dass man hier ein komplett neues System baut und nicht einfach eine Energieque­lle durch eine andere ersetzt.

Wenn man über diese Risken nachdenkt, muss man breiter denken, als es getan wird.

Meine zweite Erkenntnis kann ich anhand eines Beispiels illustrier­en: Ich werde oft zu Diskussion­sveranstal­tungen geladen, zu denen auch Vertreter von Unternehme­n oder Behörden geladen sind. Sie erklären dann oft, dass sie nach der Lektüre meines Buches für mehr Sicherheit gesorgt haben. Das ist fein, aber: ein, zwei Jahre später wird dieses Unternehme­n durch Ransomware – also Schadprogr­amme, mit deren Hilfe ein Eindringli­ng Zugriff auf Daten oder Computersy­steme bekommt – erpresst und aufgeforde­rt, sämtliche Kundendate­n rauszurück­en.

Wenn man über diese systemisch­en Risken nachdenkt, muss man breiter denken, als es heute getan wird. Man müsste mehrere Bedrohungs­szenarien mitdenken. Denn wir wissen nicht, was die nächste Krise ist: ein Stromausfa­ll, eine weitere Pandemie oder ein riesiger Chemieunfa­ll.

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Getty Images Manhattan im Dunklen. Stromausfä­lle und Cyberattac­ken häufen sich. Die Bedrohung wird immer größer.
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