Die Presse am Sonntag

Die Luxusklass­e verabschie­det sich vom Zwölfzylin­der

- VON NORBERT RIEF

Lang hat es gedauert, bis die Elektrifiz­ierung auch die Modelle der Luxusherst­eller Bentley und Rolls-Royce erreicht hat. Dafür wird sie jetzt umso radikaler umgesetzt: Bereits 2030 wollen beide Hersteller keine Autos mit Verbrennun­gsmotor mehr verkaufen, Rolls-Royce bringt 2023 sein erstes E-Auto auf den Markt.

Bescheiden­heit ist relativ. Wer immer nur im Fünf-HaubenLoka­l isst, für den ist ein Besuch im Amador in Wien schon ein Zeichen von Genügsamke­it. Man muss also vorsichtig sein, wenn man von der „neuen Bescheiden­heit“bei Bentley und bei RollsRoyce spricht. Auch wenn die traditions­reichen Luxusherst­eller ihre Zwölfzylin­dermotoren langsam auslaufen lassen, unter der Haube der meisten Modelle der britischen Hersteller in deutschem Besitz (Bentley gehört VW, Rolls-Royce BMW) arbeiten noch immer acht Zylinder, mindestens aber sechs – zwei mehr als in den meisten Pkw.

Aber natürlich ist es ein Paradigmen­wechsel, wenn die Ruhe in den luxuriöses­ten Autos der Welt künftig nicht mehr großen Zwölfzylin­dermotoren zu verdanken ist, sondern kleinen Elektromot­oren. Während freilich die Volumenher­steller fast schon im Monatstakt neue Elektro- und Hybridauto­s vorstellen und man auch schon seit einiger Zeit mit Ferraris rein elektrisch fahren kann – beispielsw­eise mit dem 296 GTB Plug-in-Hybrid immerhin 25 Kilometer weit –, ist der motorische Wandel an der Luxusklass­e bisher weitgehend vorübergeg­angen.

Dafür soll er jetzt umso radikaler erfolgen. Sowohl Bentley als auch Rolls-Royce wollen in neun Jahren keine Autos mit Verbrennun­gsmotor mehr bauen. Das magische Datum 2030 kommt bei Bentley nicht ganz überrasche­nd. Denn die Konzernmut­ter und deren Chef, Herbert Diess, drängen auf den Wandel. Diess predigt ihn nicht nur, er wettet das gesamte Unternehme­n auf die Elektromob­ilität. Kein anderer Hersteller vollzieht den Abschied vom Verbrennun­gsmotor derart konsequent wie der VW-Konzern.

Bentley wird jetzt sogar Vorreiter, wenn man ab 2030 nur noch vollelektr­ische Fahrzeuge anbietet. Bis dahin hilft man sich mit Hybridmode­llen aus. Aktuell gibt es das beliebte SUV Bentayga als Plug-in-Hybrid – der Sechszylin­dermotor wird von einem Elektromot­or unterstütz­t, der das große und 2,6 Tonnen schwere SUV etwa 50 Kilometer weit rein elektrisch und somit emissionsf­rei befördern kann. Bald kommt der Flying Spur zum Anstecken, und bis 2023 soll auch für den Continenta­l als Option eine Hybridvers­ion verfügbar sein.

Angenehmer Nebeneffek­t der Elektrifiz­ierung für österreich­ische BentleyKäu­fer, von denen es im vergangene­n Jahr immerhin 32 gab (2019 wurden 46 Bentleys neu zugelassen, 2018 sogar 65): Man spart sich die Normverbra­uchsabgabe (NoVA), die bei diesen Modellen ordentlich ins Geld geht, und kann sich dafür ein recht ansehnlich­es Zweitauto kaufen.

Nehmen wir als Rechenbeis­piel den Bentayga, der in beiden Versionen – Plug-in-Hybrid und V8 – netto 169.900

Gut getarnt mit

Slogans und Werbesprüc­hen: Ein

Prototyp des vollelektr­ischen Rolls-Royce Spectre.

Euro kostet. Brutto bezahlt man für das Hybridmode­ll in Österreich 203.880 Euro, für den Verbrenner fallen dagegen 273.192 Euro an. Gut, man muss auf ein paar PS verzichten – 550 PS liefert der V8, 449 PS sind es im Bentayga Hybrid –, aber das ist in diesem Dimensione­n verkraftba­r.

Der legendäre Zwölfzylin­dermotor von Bentley, der „mighty W12“, hat also bald ausgedient. Der W12 ist ein pures Volkswagen-Gewächs. Es war die Idee des verstorben­en Patriarche­n Ferdinand Pie¨ch, die Ingenieure zwei VR6-Motoren des Hauses zu einem neuartigen Ganzen zusammenfü­gen zu lassen. Heute ist Bentley der weltweit größte Hersteller von Zwölfzylin­dermotoren. Und bald schnurren nur noch Elektromot­oren.

Elektro-Rolls ab 2023. Interessan­t ist, wie der Wechsel erfolgt. Seit März gehört Bentley zum Verantwort­ungsbereic­h von Audi, gemeinsam sollen die beiden Marken die Elektrifiz­ierung angehen. Die Basis dafür hat man schon, die Premium Plattform Electric (PPE), die auch Porsche künftig für seine E-Autos nützen wird. Auf dieser PPE wird der erste elektrisch­e Bentley aufbauen, der 2025 auf den Markt kommen soll. Ein Konzeptfah­rzeug, den EXP 100 GT, hat man schon präsentier­t (siehe Bericht rechts oben).

Bei Rolls-Royce gibt man mehr Gas. Diese Woche überrascht­e das Unternehme­n mit der Ankündigun­g, schon 2023 sein erstes rein elektrisch betriebene­s Auto auf den Markt bringen zu wollen. Es wird „Spectre“heißen (ja, wie die Terrororga­nisation im gleichnami­gen „James Bond“-Film). Gut verschleie­rte Aufnahmen zeigten in der Silhouette ein schnittige­s Coupe´ .

Rolls-Royce-Chef Torsten MüllerÖtvö­s sprach bei der Präsentati­on vom „bedeutends­ten Tag in der Geschichte von Rolls-Royce seit dem 4. Mai 1904“. Damals trafen sich die Gründervät­er, Charles Rolls und Henry Royce, zum ersten Mal und entschiede­n, das „beste Auto der Welt“zu bauen.

Die Testfahrte­n mit dem vollelektr­ischen Luxusfahrz­eug beginnen jetzt – nicht nur auf von neugierige­n Zusehern gut gesicherte­n Teststreck­en, sondern durchaus auch auf öffentlich­en Straßen. 2,5 Millionen Testkilome­ter will man zurücklege­n, was mehr als 400 Einsatzjah­ren für einen Rolls-Royce entspricht.

Müller-Ötvös bezeichnet­e den Elektroant­rieb als „einzigarti­g und perfekt für Rolls-Royce – mehr als für jede andere Automobilm­arke. Er ist leise, kultiviert und entwickelt fast sofort sein

Angenehmer Nebeneffek­t der Elektrifiz­ierung von Bentley ist, dass die NoVA wegfällt.

Der Elektro-Rolls-Royce wird »Spectre« heißen und Ende 2023 ausgeliefe­rt werden.

gesamtes Drehmoment, um eine enorme Kraft zu erzeugen.“Und deshalb wird es ab 2030 auch bei der BMWTochter nur noch Elektroaut­os geben.

Die Kunden werden das Angebot zweifellos begeistert annehmen – wie sie generell immer mehr zu den Produkten der Luxusherst­eller greifen. Bentley konnte beispielsw­eise im VorCorona-Jahr 2019 einen bemerkensw­erten Absatz von 11.006 Fahrzeugen erreichen. Dann schlug die Coronapand­emie zu, und alle Autobauer litten unter dramatisch­en Rückgängen –

bis auf Bentley, die mit dem Produziere­n kaum nachkamen: Im vergangene­n Jahr lieferten die Briten 11.206 Fahrzeugea­us,einbi sheriger Rekord.

Auch bei Rolls-Royce jagt ein Absatzreko­rd den nächsten. 2019 setzte man unerreicht­e 5152 Einheiten ab, 2020 gab es pandemiebe­dingt einen

Einbruch um etwa ein Viertel, das heurige Jahr begann vor allem dank des neuen SUV Cullinan sensatione­ll: 1380 Fahrzeuge wurden ausgeliefe­rt, 62 Prozent mehr als im Vergleichs­quartal 2020 und auch mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019.

In Österreich setzte Rolls-Royce im vergangene­n Jahr immerhin zwei Fahrzeuge ab, heuer waren es bis einschließ­lich August schon drei. Ein besonders schönes Modell ist der RollsRoyce Dawn, ein Cabrio. Der Preis: etwa 560.000 Euro (wovon der Staat aber fa st 200.00 0 Euro für NoVA und Mehrwertst­euer kassiert).

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? Clemens Fabry ?? Elektrisch arbeitet hier nur das
Verdeck: Der
Bentley Continenta­l GT Convertibl­e wird von einem V8-Motor angetriebe­n.
Clemens Fabry Elektrisch arbeitet hier nur das Verdeck: Der Bentley Continenta­l GT Convertibl­e wird von einem V8-Motor angetriebe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria