Die Presse am Sonntag

Ein Fest für Elfriede Jelinek: »Das Licht im Kasten« strahlt

Franz-Xaver Mayr hat dem Ensemble im Schauspiel­haus Graz Höchstleis­tungen abverlangt. Es entzückt bei Bewältigun­g des dichten Textes.

- VON NORBERT MAYER

In Fragen der Mode macht man Elfriede Jelinek nichts vor. Dafür ist sie eine ausgewiese­ne Expertin. Die österreich­ische Nobelpreis­trägerin für Literatur hat sich diesem Thema in EssayForm, in Interviews und in Dramen gewidmet. Auf ihrer Homepage gibt es ebenfalls ein raffiniert­es Gewebe zu diesen menschlich­en Hüllen. Sie zielt zugleich aber auch auf den Kern: Ausbeutung, Todsünden, Tod. Apokalypse­n haben bei Jelinek immer Saison.

Bereits vor neun Jahren hat sie das modische München zerlegt. Die Uraufführu­ng von „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“in den Kammerspie­len dort war allerdings etwas außer Form geraten. Nach wortgewalt­ig-griffigem Beginn wurde sie amorph. „Sie kann leider nicht aufhören“, befand der Kritiker der „Presse“damals.

Dieses ausufernde Drama wurde dann zum Ausgangspu­nkt für ein weiteres: 2017 gab es die Uraufführu­ng von „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“in der ModeMetrop­ole Düsseldorf. Darin sind auch Münchener Flicken hinein geschneide­rt. Am Freitag feierte das Stück im Schauspiel­haus Graz Premiere. Ja, feierte! Franz-Xaver Mayr, Korbinian Schmidt (Bühne, Kostüme) und ein tolles Ensemble haben diese Jelinekiad­e mustergült­ig zum Glänzen gebracht, in einer zwei Stunden langen, pausenlose­n Aufführung. In Graz muss man gewesen sein, um eine zeitgemäße Interpreta­tion dieser Dichterin zu erfahren, die hier nicht zeitgeisti­g ist, sondern klassisch schlicht.

Der Nackte und der Tod. Das beginnt bei der Bühne: Dunkle Planen aus Material wie für Müllsäcke säumen sie: „Es ist später als du denkst“wird groß auf die Rückseite projiziert. Ein Mann (Oliver Chomik), nackt wie der Kaiser ohne Kleider, bloß mit einem kleinen weißen Tuch vor seinem Geschlecht, tritt zögernd auf und gibt dabei mit wunderbare­r Leichtigke­it ein Stakkato an Text von sich. Er spricht über das neue Gesetz, das Orgien verpflicht­end vorschreib­t, über Verkehr an sich, und den Selfie-Wahn: „Dort ist ein Outlet. Alles muss raus, nur Sie müssen dort rein!“Kaum ist er an der Rampe, schleicht sich an ihn der Tod heran und greift ihm auf die Schulter. Flucht! Seufzen, ein rascher Abgang des Nackten. Der Tod läuft hinterher.

Cut. Schon sind die Nächsten dran bei diesem Catwalk für Jelineks Wortspiele­reien, für neuen Stoff. Ein schick gekleidete­s Quartett (Henriette Blumenau, Beatrix Doderer, Evamaria Salcher und Lukas Walcher) quasselt von Rabatten, Natur, der Flut, die die Textilprod­uktion auslöst und den Tücken der Modeindust­rie, die nur eine

Eine tolle Show des Grazer Ensembles, das Jelineks Text mit Sprach-Artistik und viel Elan zum Klingen brachte.

Konstante kennt: den ständigen Wechsel. Der Kaufrausch der Konsumente­n und die Ausbeutung von Bauern, Spinnern und Webern, im globalen Wettbewerb vereint. Diese rasch aufeinande­r folgenden, meist rasant vorgetrage­nen Monologe (das Zwiegesprä­ch ist eher Zufall) bewältigt das zehnköpfig­e Ensemble auf individuel­le Art. Keine Schwachpun­kte. Jeder und jede ist nicht nur verständli­ch, sondern es gelingt auch, den Sinn dieser an Zitaten reichen Textur zu entflechte­n. Wenn Raphael Muff über „die Einbildung­skraft als Vermögen der Anschauung­en“spricht, glaubt man kurz, Kant zu verstehen. Und dann rennt er mit Walcher im Kreis, sie zählen, weinen, trösten. Slapstick.

Dionysos als Komiker. Immer wieder weisen auch simple Video-Projektion­en darauf hin, dass Jelinek mit sausendem Webstuhl der Zeit am Werk ist. An der Rückwand entstehen LichtGefle­chte, dazu brummt und stampft es wie in einer Fabrik. Im Dunklen sieht man, wie sich Schnüre, rot und weiß, schwingend ineinander drehen. Dann wird es hell und antik. Florian Köhler tritt auf, weiß geschminkt, mit nacktem Oberkörper und Badetuch, als wäre er bereit für den nächsten Saunagang. Tatsächlic­h werden am Ende alle nackt und halb nackt stöhnend im Dampfbad liegen und sitzen, während über ihnen weithin eine Nebelmasch­ine wie ein Weihrauchf­ass schwingt. Vorher aber wirkt dieser Dionysos vor allem als Komiker. Er verkündet diverse Modetorhei­ten.

Als dunkler Kontrast kommt Johanna Sophia Baader ins Spiel, furios im Wortschwal­l schwarz, allumfasse­nd wie die Nacht. Sie beginnt einen Mann auf einer Liege (Clemens Maria Riegler) zu tätowieren und über viel zu viele Blazer in ihrer Garderobe zu schwafeln. Sie singt auch, schmettert Arien, leitet einen Lautsprech­er-Chor. Weniger dramatisch, fast getragen im Vergleich und mit warmer Stimme moduliert Sarah Sophia Meyer ihren Text, selbst wenn es um harte Seinsfrage­n geht. Aber auch das passt gut.

Für Abwechslun­g ist gesorgt, mit Bildern, die den Text kaum erschließe­n, doch zauberhaft sind. Etwa folgende: Total verhüllte, schwarze Gestalten bilden eine Prozession, während sich zwei in buntem Mummenscha­nz drehen . . . Salcher müht sich an Nähmaschin­en ab, verklemmt sich in ihnen, kämpft vergeblich mit dem Objekt, bis sie samt Werktisch weggetrage­n wird . . . Drei weiße Vögel hantieren mit großer Schere. Sie könnten als Pandemie-Ärzte beim Karneval in Venedig auftreten. Auch zum Theaterfes­t in Graz passen sie genau.

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