Kann Rendi-Wagner Kanzlerin?
Als SPÖ-Vorsitzende wäre Pamela Rendi-Wagner die logische Bundeskanzlerin in einer Mehrparteien-Koalition gegen die ÖVP. Vielleicht ist das ihre letzte Chance, die eigene Partei hinter sich zu vereinen.
Natürlich würde sie nicht Nein sagen. Aber es ist Teil des Spiels, sich in Zurückhaltung zu üben. Wenn sie damit einen Beitrag zu einer stabilen Regierung leisten könne, stehe sie zur Verfügung, sagte Pamela Rendi-Wagner am Freitagabend in der ZiB2. Und ja – „auch als Bundeskanzlerin“.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die SPÖ-Vorsitzende demnächst als Regierungschefin angelobt wird, ist gar nicht so klein. Vorausgesetzt, es gelingt ihr gemeinsam mit Grünen-Chef Werner Kogler, eine Vierparteien-Allianz gegen die ÖVP zu schmieden. Die Neos wären wohl dabei. Doch das Projekt steht und fällt mit der FPÖ, die sich eine Regierungsbeteiligung teuer abkaufen ließe. Parteiobmann Herbert Kickl stellte schon Bedingungen: Freiheitliche Inhalte, unter anderem in Pandemiefragen, müssten übernommen werden.
Samstagnachmittag trafen sich Rendi-Wagner und Kickl zu ersten Sondierungen. Nach außen drang nichts, aber es sieht ganz danach aus, als wäre die SPÖ bereit, die alte Vranitzky-Doktrin (keine Koalition mit der FPÖ) zu opfern, um das „System Kurz“zu stürzen – und dorthin zurückzukehren, wo sie Jahrzehnte lang war: ins Zentrum der Macht. Denn in einer rot-blau-grünpinken Regierung wäre die Vorsitzende der zweitstärksten Parlamentspartei eigentlich die logische Kanzlerwahl.
Europaweit wäre das nach dem SPD-Erfolg vor zwei Wochen die nächste sozialdemokratische Überraschung. Olaf Scholz profitierte vom Ende der Ära Merkel, Pamela Rendi-Wagner könnte zur Nutznießerin der türkisen Hybris werden. Aber kann die 50-Jährige überhaupt Kanzlerin? Scholz ist seit Jahrzehnten Politiker, er war unter anderem Arbeitsminister, Erster Bürgermeister
von Hamburg und zuletzt Finanzminister. Rendi-Wagner dagegen wurde erst 2017 von Christian Kern in die Regierung geholt. Die langjährige Sektionschefin stieg damals zur Gesundheitsministerin auf, blieb es aber nicht lange, weil im Dezember bereits die türkis-blaue Regierung übernahm.
Doch die rote Phalanx aus Wiener SPÖ, führenden Gewerkschaftern und Bundespartei ist überzeugt, dass Pamela Rendi-Wagner ihre Sache als Kanzlerin gut machen würde. Im Parteipräsidium diese Woche ging die Meinungsbildung eindeutig in diese Richtung. Die Neuwahlbefürworter blieben in der Minderheit. Der Gedanke dahinter: Wenn man die Kanzlerin stellt, verbessert das die Ausgangsposition der SPÖ bei der nächsten Nationalratswahl deutlich. In der Partei wittern viele nun die Chance – für Pamela Rendi-Wagner ist es vielleicht sogar die letzte.
Angezweifelt und angezählt. Denn innerparteilich ist die SPÖ-Chefin nach wie vor umstritten. Im Grunde war sie es von Anfang an. 2018 hat Rendi-Wagner die Partei von Christian Kern übernommen, der mit der Übergabe gewartet hatte, bis Hans Peter Doskozil als Kronprinz ins Burgenland heimgekehrt war. Kern wollte seinen einstigen Rivalen als nächsten SPÖ-Chef verhindern. Möglicherweise liegt hier die Wurzel für den anhaltenden Konflikt zwischen Eisenstadt und der Löwelstraße.
Rendi-Wagners Eignung für die Parteispitze wurde aber auch von anderen in der SPÖ angezweifelt. Der Quereinsteiger-Malus ließ viele Genossen an ihrer sozialdemokratischen Authentizität zweifeln. Doch schon bald musste die neue Parteivorsitzende ihren ersten Wahlkampf als Spitzenkandidatin bestreiten. Die Post-Ibiza-Wahl im Herbst 2019 ging nicht gut für sie und die SPÖ aus: 21,2 Prozent waren das schlechteste Ergebnis in der Parteigeschichte.
Im November 2019, als die chronisch klamme Bundespartei Mitarbeiter kündigen musste, bekam es RendiWagner dann auch noch mit einer Revolte
Die SPÖ ist bereit, die alte Vranitzky-Doktrin zu opfern, um Sebastian Kurz zu stürzen.
zu tun. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig eilte ihr zu Hilfe, doch zur Ruhe kam sie nicht. Ablösegerüchte und Spekulationen, wer ihr nachfolgen könnte, machten weiterhin die Runde.
Im Februar 2020 versuchte die SPÖ-Chefin den Befreiungsschlag mit einer Mitgliederbefragung, in der sie auch die Vertrauensfrage stellte. Das Ergebnis wurde im Mai präsentiert und war besser als erwartet: 71,4 Prozent Zustimmung bei einer Wahlbeteiligung von über 40 Prozent sicherten ihr fürs Erste den Job (auch wenn sogleich Manipulationsvorwürfe laut wurden).
In der Pandemie gewann Pamela Rendi-Wagner, im Grundberuf Ärztin bzw. Epidemiologin, an Profil. Die neue Selbstsicherheit ging mit einer verbesserten Rhetorik einher. Ab Herbst 2020 profitierte die SPÖ von der Corona-Müdigkeit der Bevölkerung, türkis-grünen Fehlern im Pandemiemanagement und den Ermittlungen gegen führende ÖVPPolitiker. Der Trend in den Umfragen zeigte allmählich nach oben, und in der