Parlamentswahl in Tschechien
Die Enthüllungen um den Kauf eines teuren Anwesens scheinen Premier Andrej Babiˇs bei der wirklich geschadet zu haben. Doch die Bildung einer neuen Regierung dürfte nun schwierig werden.
Der Kampf um die 200 Mandate des tschechischen Abgeordnetenhauses dauerte bis zur letzten Sekunde. Noch bei ihrer Stimmabgabe versuchten die tschechischen Spitzenpolitiker, die Wähler für sich zu gewinnen. Der amtierende Premierminister Andrej Babisˇ warnte davor, die von ihm geführte Regierung abzuwählen: „In diesen unruhigen Zeiten benötigen wir Kontinuität und Stabilität.“Er nannte den Urnengang den „wichtigsten in der Geschichte der Tschechischen Republik“. Ihn zu wählen, sei „die letzte Chance, unsere nationalen Interessen, unseren Lebensstandard, unsere Kultur und unsere Identität zu schützen“, sagte Babisˇ. Kämen die beiden bürgerlichen oppositionellen Vorwahl-Koalitionen zum Zuge, würde Tschechien in alte Zeiten zurückfallen.
Am Samstagnachmittag, nach dem Schließen der Wahllokale, deutete schließlich alles darauf hin, dass Babisˇ’ Partei ANO als erste durchs Ziel geht. Zugleich wurde klar, wie schwierig nun eine Regierungsbildung werden würde. Nach Auszählung von einem Fünftel der Wahlkreise ergab sich ein knappes Ergebnis: ANO führte mit 30,1 Prozent der Stimmen vor den beiden Oppositionsbündnissen Spolu (23,8 Prozent) und Piraten/Stan (13,4 Prozent). Dann folgten die Rechtsextremen mit 10,9 und die Sozialdemokraten mit 5,2 Prozent. ANO würde demnach über 77 Sitze verfügen, Spolu und Piraten/Stan zusammen über 91 Sitze. Die absolute Mehrheit liegt bei 101 Stimmen.
Auf der Suche nach Koalitionspartnern. Babisˇ könnte erneut mit den Sozialdemokraten koalieren. Aber zur Mehrheit bräuchte er einen dritten Partner, zumindest zur Tolerierung seines Kabinetts. Dafür böten sich bislang nur die Rechtsextremen an, die aus EU und Nato rauswollen. Das wäre kein gutes Signal aus Sicht der EU, wo Tschechien im 2. Halbjahr 2022 die Ratspräsidentschaft übernehmen wird.
Kein Problem mit einer solchen Regierung hätte Präsident Milosˇ Zeman, der bereits angekündigt hat, unabhängig vom Wahlausgang erneut Babisˇ mit der Kabinettsbildung zu beauftragen. Die beiden oppositionellen bürgerlichen Wahlbündnisse sind aus Sicht des Staatsoberhauptes lediglich „betrügerische Konstruktionen“.
Doch welche Rolle Zeman wegen seiner Erkrankung tatsächlich spielen kann, ist derzeit offen. Erstmals konnte er seine Stimme nicht wie sonst in einem Prager Wahllokal abgeben. Er hatte kürzlich acht Tage im Militärkrankenhaus zubringen müssen. Er sei dehydriert gewesen, hieß es. Da sich die Kanzlei des Präsidenten mit weiteren konkreten Aussagen zurückhielt, machten zunehmend Gerüchte die Runde. Danach sei Zeman deutlich ernster erkrankt. Die Rede ist unter anderem von einer Leberzirrhose, die mit Wasseransammlungen im Bauchraum verbunden sei.
Zemans Amtsvorgänger Va´clav Klaus, der selbst ebenfalls in der Klinik behandelt wurde und den Präsidenten dort besucht hatte, sprach von „Leberproblemen in der Folge des ungesunden Zemanschen Lebenswandels“. „Jedes Kind bei uns weiß, dass der Präsident gern das eine oder andere Gläschen trinkt und zudem raucht“, sagte Klaus.
Der Chef der Piratenpartei, Ivan Bartosˇ, einer der Herausforderer des Premiers, hatte im Vorfeld die Wahlen als eine „wunderbare Chance, das Land für die Zukunft auszurichten“bezeichnet. „Es geht um den Kompass für das nächste Jahrzehnt.“Die Piraten, die eine Mischung aus Liberalen und Grünen sind, kandidierten gemeinsam mit der liberalen Partei der Bürgermeister in einem Bündnis.
Vor einem drohenden „Abdriften Tschechiens nach Osten“, falls die Chance für eine Veränderung verpasst werde, sprach Petr Fiala, Spitzenkandidat der Bürgerpartei ODS und des Vorwahlbündnisses Spolu (Gemeinsam), zu dem auch die Christdemokraten und die konservative Partei TOP 09 gehören. Die TOP-09-Vorsitzende Marke´ta Pekarova´ Adamova´ sagte, Tschechien müsse sich auch künftig klar zu EU und Nato bekennen. Und schließlich stehe das Land vor der Frage, ob es weiter „von einem Oligarchen mit der Hilfe von Populisten und Extremisten regiert“werde oder von Leuten, die eine „anständige Politik im Interesse der Menschen machen“wollten.
Glasklar auch die Ansage von der anderen Seite der Barrikade: Der Tschecho-Japaner Tomio Okamura, Chef der rechtsextremen SPD, wiederholte sein Mantra, Tschechien aus EU und Nato rausholen zu wollen. Das Land laufe Gefahr, in Brüssel seine Selbstständigkeit zu verlieren. „Wir müssen die Tschechische Republik so erhalten, wie man sie kennt.“
Dubiose Offshore-Praktiken. Selten war der Ausgang einer Wahl in Tschechien mit so viel Spannung erwartet worden. In den letzten Umfragen hatten zwar Premier Babisˇ und seine Bewegung ANO vorn gelegen. Aber diese Umfragen waren gemacht worden, ehe die Verstrickung des Regierungschefs in dubiose Offshore-Praktiken beim Erwerb eines Anwesens in Südfrankreich ans Licht gekommen war. Der Skandal bestimmte maßgeblich die diversen Runden der Spitzenpolitiker auf den verschiedenen Fernsehkanälen. Die Opposition zitierte dabei genüsslich frühere Aussagen des Premiers, in denen er namentlich Offshore-Geschäfte als unethisch verurteilt hatte.
Babisˇ wies die Vorwürfe zurück: Sie bezögen sich auf das Jahr 2009 und damit auf die Zeit, als er noch nicht einmal daran gedacht habe, irgendwann in die Politik zu gehen. Immerhin räumte er ein, dass solche Geschäfte für einen aktiven Politiker einen schlechten Beigeschmack hätten. „Ich war damals aber kein aktiver Politiker“, wiederholte er dabei jedoch immer und immer wieder.
Nun scheint klar, dass die Bildung einer Koalition lang dauern könnte. Präsident Zeman, der mit der Regierungsbildung beauftragen muss, hält sich derzeit auf seinem Landsitz unweit von Prag auf. Dort gab er am Freitag auch seine Stimme ab, in eine Wahlurne, die der örtliche Wahlvorstand zu ihm brachte. Der behandelnde Arzt hatte dem Präsidenten empfohlen, auf dem Landsitz zu bleiben. Der Präsident wird nicht wie geplant im Fernsehen den Wahlausgang kommentieren. Zemans Sprecher versuchte aber zu beruhigen: „Der Zustand des Präsidenten beeinträchtigt keineswegs die Ausübung seines Amtes.“
»Jedes Kind weiß, dass der Präsident gern das eine oder andere Gläschen trinkt.«
Die Weltausstellung, die schon im Vorjahr hätte stattfinden sollen, läuft nun in Dubai – weiterhin unter dem Titel Expo2020. Ein Besucher-Highlight der sieben Milliarden Dollar teuren Veranstaltung ist der Wasserfall, der eine gebogene Steinwand herunterrinnt und zu Orchesterklängen zu tanzen scheint.