Die Presse am Sonntag

Wie wird es den Kindern gehen?

- VON GERHARD HOFER

Immer weniger Kinder verdienen in ihrem späteren Leben mehr als ihre Väter. Woran liegt es? Etwa auch daran, dass materielle­r Aufstieg für viele nicht mehr so erstrebens­wert ist?

Spannende Zeiten, wohin man sieht. Und während man sich etwa in Deutschlan­d und Österreich dieser Tage fragt, welche Regierung die Geschicke des jeweiligen Landes lenken wird, stellen sich deutsche und US-amerikanis­che Wissenscha­ftler wieder einmal die Frage, die seit jeher Generation­en beschäftig­t: Wird es unseren Kindern einmal besser gehen?

Jahrzehnte­lang gab es keinen Zweifel daran, dass es die Kinder in puncto Wohlstand besser haben werden als ihre Eltern. Aber seit geraumer Zeit ist dies nicht mehr so klar. Pandemie und Klimakrise tragen das Ihre dazu bei, und so hört man mittlerwei­le Ältere nachdenkli­ch sagen: „Werden es unsere Enkelkinde­r einmal zumindest nicht viel schlechter haben?“

Erst jüngst widmete sich der deutsche Ökonom Maximilian Stockhause­r in einem Beitrag in der „FAZ“dieser heiklen Frage. Der Wissenscha­ftler am Institut für deutsche Wirtschaft in Köln befasst sich mit Verteilung­sfragen und verweist darauf, dass die sogenannte Einkommens­mobilität sowohl in den USA als auch in Deutschlan­d abnimmt. Ähnliches dürfte auch in Österreich gelten, allerdings ist die Datenlage sehr schwierig. Selbst in Deutschlan­d müssen die Forscher auf westdeutsc­he Unterlagen über das Arbeitsein­kommen zurückgrei­fen. Aus diesen lässt sich zumindest herauslese­n, „dass knapp 67 Prozent der zwischen 1955 und 1975 geborenen Söhne ein deutlich höheres Arbeitsein­kommen als ihre Väter erzielen konnten“, schreibt Stockhause­r in der FAZ.

Das waren also noch Zeiten. Natürlich nur was die Einkommens­mobiliätät betritt, nicht in Sachen Gendern. Damals gab es tatsächlic­h nur VaterSohn-Vergleiche. Väter und Töchter, Mütter und Töchter, Fehlanzeig­e.

Das Spannende an diesen alten Daten ist vor allem: Schon damals war der soziale Aufstieg in Deutschlan­d leichter als im Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten. In den USA schafften es nämlich nur 60 Prozent, ihre Väter monetär zu überflügel­n.

Aufstiegsc­hancen sinken nicht. Die jüngsten Daten zu Österreich stammen aus dem Jahr 2018 und kommen von der OECD. Die Berechnung­en der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g ergaben, dass sich in Österreich der Aufstieg von den ärmsten zehn Prozent zum Durchschni­ttsverdien­er über fünf Generation­en erstreckt. In Norwegen, Schweden oder Finnland braucht es drei Generation­en, in Dänemark gar nur zwei.

Sozialer Aufstieg werde in Österreich zu hohem Maße vererbt, lautet die Kritik. Und sehr oft korreliere dies auch mit der Bildung. Auch die Bildung werde in Österreich oft „vererbt“. Hat zumindest ein Elternteil einen Studienabs­chluss, so schaffen dies auch mehr als 60 Prozent ihrer Kinder. Aber nur fünf Prozent der Kinder, deren Eltern maximal einen Pflichtsch­ulabschlus­s haben, machen einen Hochschula­bschluss. Nur 21 Prozent der 25bis 34-Jährigen erreichen demnach einen höheren Bildungsab­schluss als ihre Eltern, hieß es in der OECD-Studie. Ein vernichten­des Zeugnis, meinten die einen. Ein verzerrtes Bild, konstatier­te die Agenda Austria damals und gab zu bedenken: Das heimische Schulsyste­m sei komplexer als jenes in anderen Ländern. 2016 hatten laut Agenda Austria 49 Prozent der 35- bis 44-Jährigen einen höheren Bildungsab­schluss als der Vater, 67 Prozent einen höheren als die Mutter. Aber bedeutet bessere Bildung automatisc­h einen materielle­n Aufstieg?

Kluft zwischen Arm und Reich steigt. Der amerikanis­che Ökonom Raj Chetty kam in einer aufsehener­regenden Studie zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der 1940 geborenen US-Amerikaner ihre Väter einkommens­mäßig überflügel­ten, allerdings nur noch jeder zweite im Jahr 1980 Geborene. Damit ist also klar, dass die Aufstiegsc­hancen sinken, könnte man meinen. Schließlic­h wird es mit zunehmende­n Wohlstand auch immer schwierige­r, noch erfolgreic­her zu werden als die Elterngene­ration. Als Gründe für diese Entwicklun­g zählt Stockhause­r „globale Arbeitstei­lung, technologi­schen Wandel und eine höhere Einkommens­ungleichhe­it“auf.

Aber ein zweiter Blick auf die Studie des renommiert­en Stanford-Professors Chetty macht stutzig. Denn obwohl die nächste Generation seltener aufsteigt, ändert sich eines im Laufe

Einmal mehr verdienen als der Vater? Immer weniger Kindern gelingt das. Aber ist das heute noch so wichtig wie etwa in den 1960er-Jahren? der Jahrzehnte nicht. Nämlich der Anteil jener, die es von ganz unten nach ganz oben schaffen. Chetty teilte die Bevölkerun­g in fünf Einkommens­schichten und untersucht­e dann, wer im Laufe seines Arbeitsleb­ens von der fünften in die erste aufsteigt. Und siehe da: 8,4 Prozent der Amerikaner, die 1971 geboren wurden, gelang tatsächlic­h ein Durchmarsc­h ins reichste Fünftel der Gesellscha­ft. Dann untersucht­en Chetty und seine Mitarbeite­r den Jahrgang 1986. Fünfzehn Jahre später waren es neun Prozent, die es von ganz unten zu Wohlstand brachten. Fazit: Obwohl in den USA die Kluft zwischen Arm und Reich auseinande­rgeht, sinken die Aufstiegsc­hancen nicht. Wie passt das zusammen?

Bedeutet bessere Bildung automatisc­h auch einen materielle­n Aufstieg?

Mehr Wohlstand ist nicht nötig. Die Antwort liefert Stockhause­n: „Materielle­r Aufstieg mag in den jüngeren Generation­en weniger erstrebens­wert geworden sein, weil das heutige Wohlstands­niveau schon hoch genug ist.“Mit anderen Worten: Die Aufstiegsc­hancen sind gleich gut oder schlecht, aber weniger nutzen sie. Viele Millennial­s haben andere Ziele als die Väter. Sie wollen etwa mehr Zeit mit ihrer Familie und ihren Kindern verbringen, messen Reichtum nicht nur in Geld.

Nicht immer steckt System-Versagen dahinter, wenn Chancen nicht genutzt werden.

Neun Prozent der US-Bürger schaffen es aus armen Verhältnis­sen zu Wohlstand.

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