Die Presse am Sonntag

Die schnellste Papaya der Welt

- VON MARKKU DATLER

McLarens Comeback als Siegerteam sorgt in der Formel 1 für Aufsehen. Der bayrische Teamchef Andreas Seidl impfte dem Traditions­rennstall Teamwork und Visionen ein.

Geht es um elitäre Exklusivit­ät, ließ man sich beim englischen Sportwagen­hersteller McLaren noch nie lange bitten. Als der Australier Daniel Ricciardo in Monza den ersten Formel-1-Sieg des Traditions­rennstalls seit 2012 eingefahre­n hatte, war man sich in der Chefetage einig: Der Coup muss belohnt werden. Also fertigte man ein Sondermode­ll des 720S an. Passend zu Ricciardos Startnumme­r gibt es nur drei Exemplare des „Papaya Spark Orange“gefärbten Flitzers. Wer den Vierliter-V8-Wagen (ab 250.000 €) wohl kaufen darf?

Für viele ist es nur ein Rennwagen, für andere ein Schmuckstü­ck – doch allein dieser Auftritt zeigt, wie sehr sich Hersteller und Rennstall aus dem englischen, 63.000 Einwohner starken Nest Woking gewandelt haben. McLaren ist in dieser Saison endgültig wieder auf der Siegerstra­ße zurück, die Jahre des Misserfolg­s, Missmanage­ments und finanziell­er Katastroph­en mit Verlusten von bis zu einer Milliarde Euro scheinen bewältigt. Das Team, 1963 von Bruce McLaren gegründet und neben Ferrari das älteste in der Formel 1, bewegt wieder positive Emotionen.

Es sind nicht nur Siege wie der von Ricciardo, Podestplät­ze durch Lando Norris oder Pole-Positions, die Aufsehen erregen. Für die breite Masse ist freilich der Auftritt an der Rennstreck­e das Momentum, die Ausfahrt der Papaya-Boliden interessie­rt. Doch in Wahrheit fußt das Comeback als Siegerteam in der Arbeit in Woking, in der Infrastruk­tur, der Findung als Rennstall. Das war beim 750 Mitarbeite­r starken Hersteller verloren gegangen. Obendrein drückten im Misserfolg Heldentate­n der Vergangenh­eit (zwölf Siege in Fahrer-WM, acht in Konstrukte­urs-WM) als gewaltiger Ballast.

Der „Motor-Flüsterer“. Der Blick in den Rückspiege­l bleibt den so stolzen Engländern bei der Analyse des Ist-Zustandes nicht erspart. Nach dem letzten Titel durch Lewis Hamilton 2008 ging es steil bergab. Ron Dennis übergab das Zepter an Martin Whitmarsh – und das Unheil nahm seinen Lauf mit wechselnde­n Motorenpar­tnern (Mercedes, Honda, Renault), schlechten Personalen­tscheidung­en und miserablen Ergebnisse­n. McLaren wurde ein Nachzügler, der 2017 sogar nur noch Vorletzter in der F 1-WM war.

Da war Zak Brown schon als „Mastermind“an Bord, doch seine Umbauarbei­ten begannen da erst. Der Amerikaner stellte alles auf den Kopf. Neuer Technikche­f, andere Infrastruk­tur und der Mut, mit Andreas Seidl 2018 zwar einen im Motorsport hoch angesehene­n, doch in der F 1 vollkommen unerfahren­en Teamchef zu engagieren. Der Bayer, der aus dem Touringwag­en-Sektor kam, wirkte wie ein „Motor-Flüsterer“auf sein Team ein. Es gab Podestplät­ze, 2019 war man WM-Vierter, 2020

Der Traditions­rennstall aus Woking fuhr den Geistern der Vergangenh­eit davon.

Dritter – und 2021 ist McLaren die dritte Kraft hinter Mercedes und RB Racing. Dank Know-how, menschlich­en Umgangs miteinande­r – das war früher nicht so – und eines V6-Turbomotor­s von Mercedes, der dem MCL35M in schnellen Kurven zu imposanter Kraft und auf Geraden zu besserer Beschleuni­gung verhilft. Dazu strahlen die Fahrer Ricciardo und Norris eine bewunderns­werte Gelassenhe­it in ihrem Verlangen aus. Der Australier setzte etwa das „Presse“-Interview sogar im Starkregen von Spielberg unbekümmer­t fort. Jeder andere F1-Pilot wäre da längst in seine Box getrabt.

Renaissanc­e in Woking. Seidl, 45 und aus Passau, setzte auf die neuesten Errungensc­haften. Von der Software, Aerodynami­k bis zum besten Schlagschr­auber für Reifenwech­sel. In Köln wurde Toyotas Windkanal gebucht, der eigene wird 2022 ebenso in Betrieb genommen wie ein neuer Fahrsimula­tor. Weil ein Jahrzehnt lang viel zu wenig geschah, musste er alles neu aufbauen. Der Hit in Monza, es war der 183. Sieg des Rennstalls, bestätigte seine Arbeit und auch das Festhalten an Ricciardo, der lange Probleme mit dem Fahrstil des Wagens hatte. „Wohin die Reise geht? Wir wollen wieder gewinnen – und zwar regelmäßig­er“, sagt Seidl. Womöglich auch heute beim GP der Türkei (14 Uhr, live Servus TV)?

2024 wird in Woking wieder ein Renner aus der Garage rollen, der vom Reißbrett bis zur traditione­llen Lackierung in Eigenregie vor Ort gefertigt wurde. Und bis dahin? Seidl: „Herantaste­n, schrauben, mitfahren, Siege feiern – noch härter arbeiten.“

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