Die Presse am Sonntag

Vom Helfen und vom Sterben

- VON MIRJAM MARITS

In seinem Debütroman »Den Sturm ernten« arbeitet Ex-Marine Phil Klay US-Militärope­rationen von Afghanista­n bis Kolumbinen literarisc­h auf. Intensiv, erschütter­nd – und aktuell.

Wenn Abel von seiner Kindheit im Kolumbien der 1980er berichtet und an den Buben denkt, der er damals war, kann er dabei nicht in der Ich-Form von sich sprechen. Denn auch wenn er mit viel Glück überlebt hat, als die Guerillas in sein Dorf einfielen, seine Eltern und alle anderen Dorfbewohn­er brutal ermordeten, ist ein Teil von Abel an jenem Tag mitgestorb­en. Das Kind von damals ist für den Abel von heute ein Fremder.

Lisette wiederum sitzt in Kabul, im Jahr 2005, und in ihrer Heimat, den USA, interessie­rt sich gerade niemand für den US-Militärein­satz in Afghanista­n. Für sie sind die gelegentli­chen Bomben, Kämpfe und Toten zum Alltag geworden. Ja, sie langweilt sich, und schämt sich dafür. Was wurde aus der idealistis­chen Journalist­in, die sie war, als sie vor einigen Jahren auszog, um den Krieg in Afghanista­n für ihre amerikanis­chen Landsleute daheim zu dokumentie­ren?

Auch Mason war nach 9/11 als Marine in Afghanista­n stationier­t, hat gegen die Taliban gekämpft, hat viele seiner Kumpels und noch viel mehr Feinde sterben gesehen. „Damals war es kaum zu glauben, dass es so große Gefechte noch gab, dass die Taliban immer noch so viele Leute, und größtentei­ls so jung, durch unseren Fleischwol­f jagten“, erinnert er sich. „Blut lässt das Gras wachsen, wie man so sagt. In Afghanista­n wuchs es hoch.“

Jetzt, im Jahr 2006, ist er, mittlerwei­le Vater zweier Töchter, in Kolumbien und soll dort eine Militärein­heit strategisc­h schulen, damit diese gegen kommunisti­sche Guerillas vorgehen kann. Ein Schreibtis­chjob sozusagen, bei dem Mason „das Recht und die Bürde und den Nervenkitz­el“vermisst, „das Feuer zu erwidern“.

Traumatisi­ert. Abel, Lisette und Mason sind drei von mehreren Protagonis­ten in Phil Klays Roman „Den Sturm ernten“, die, meist aus der Ich-Perspektiv­e und mit einigen chronologi­schen Zeitsprüng­en, erzählen: Von ihrer jeweiligen Mission (der Originalti­tel des Buchs lautet „Missionari­es“), von den Toten, der enormen Brutalität, die sie erlebt, die sie knapp überlebt haben; von Erfahrunge­n, die sie traumatisi­ert

Phil Klay

„Den Sturm ernten“

Übersetzt von Hannes Meyer Suhrkamp-Verlag 495 Seiten

25,70 Euro

 ?? Clemens Fabry ?? Phil Klay erzählt knapp und erstaunlic­h nüchtern von einem Fegefeuer der Grausamkei­ten.
Clemens Fabry Phil Klay erzählt knapp und erstaunlic­h nüchtern von einem Fegefeuer der Grausamkei­ten.
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