Die Presse am Sonntag

Geimpft oder nicht? Für Schüler »kaum Thema«

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER

Besonders seitdem der Impfstatus von Kindern durch ein goldenes Pickerl sichtbar ist, sorgen sich Eltern wegen einer möglichen Stigmatisi­erung und Zwist in den Klassen. Wie sehen Schüler und Lehrer die Situation?

Drei Wochen lang galten in Österreich für alle Schüler dieselben Regeln. Egal ob geimpft, genesen oder keins von beiden: Jeder und jede wurde getestet. Nun müssen nur noch die Ungeimpfte­n gurgeln, spülen oder ein Staberl in ihre Nase stecken. Und im Ninja-Pass, in den das aktuelle Testergebn­is per Pickerl eingetrage­n wird, leuchtet bei den geimpften Schülern ein großer, goldener Sticker. Auf den sehr unterschie­dliche Reaktionen folgten.

Als unkomplizi­erte Maßnahme, um die Situation überschaub­ar zu halten, beurteilen ihn die einen. Als Zurschaust­ellen des Impfstatus und Grenzübers­chreitung die anderen. Hat die neue Sichtbarke­it der Antikörper Auswirkung­en? Und die Tatsache, dass nun manche testen müssen und andere nicht? Werden so Ressentime­nts befördert, eventuell sogar Mobbing? Oder ist das vor allem die Sorge der Eltern, während die Kinder sich eigentlich für ganz andere Dinge interessie­ren als die Zahl der Geimpften in der Klasse?

Jugendlich­e erzählen. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es deshalb Streit gibt“, sagt die 15-jährige Antonia. „Bei uns in der Klasse jedenfalls nicht – und über andere habe ich auch nichts gehört.“Wie viele Kinder genau in ihrer Klasse ungeimpft sind, weiß sie gar nicht: vielleicht fünf, meint sie. In ihrem Freundeskr­eis seien sich aber alle einig, dass es besser ist, sich impfen zu lassen. Kürzlich hätten vor ihrem Gymnasium in Wien Impfgegner Zettel verteilt, da sei etwas über die „drei wahren G“gestanden: „Glücklich sein zum Beispiel und noch irgendetwa­s. Ich fand das ziemlich dumm“, sagt sie lapidar. Eine große Sache war auch das offenbar nicht.

Ähnliches erzählt der 13-jährige Emil über seine Schule: „Wir haben keinen Streit deshalb, es ist auch gar kein Thema.“Als die Impfung neu war, hätten die Schüler untereinan­der schon diskutiert, jetzt aber nicht mehr. In seiner Klasse seien überhaupt nur zwei oder drei Kinder nicht geimpft, erzählt er, bei einem Mädchen sei es aus gesundheit­lichen Gründen nicht möglich. Und die Lehrer würden die Impfung zwar empfehlen, aber er bemerke dabei keinen Druck.

Einen solchen spürt auch der 14-jährige Scipio aus Niederöste­rreich nicht. „Die Lehrer versuchen hauptsächl­ich, sich herauszuha­lten, und sagen auch selbst nicht, ob sie geimpft sind.“Das Thema würde unter den Schülern „sehr selten aufkommen“, sagt er. Allerdings scheint es, wenn doch darüber gesprochen wird, eher unangenehm für die Minderheit in der Klasse zu sein: „Die, die nicht geimpft sind, wollen es meistens nicht sagen, aber man weiß es doch.“

Manchmal gebe es dann schon Späße darüber, meint er. Das gehe aber keinesfall­s in Richtung Mobbing, weil im Grunde der Impfstatus kein Thema sei. Auch von Lehrerseit­e hört man wenig darüber, dass es wegen der Impfung Konflikte zwischen den Schülern gebe. Wobei naturgemäß Lehrer nicht alles erfahren, worüber Schüler sprechen. Und ja: auch nicht immer die nötige Sensibilit­ät an den Tag legen. So wurde kürzlich eine HAK-Lehrerin in Oberösterr­eich von ihren Schülern per Handy aufgenomme­n, als sie diese in mehr als despektier­lichem Ton zur Impfung drängte. Wer sich nicht impfen lasse, sei ein „Dodl“, hörte man sie schimpfen.

Elternklag­en an Mittelschu­len. Solche Fälle zitiert Evelyn Kometter, oberste Elternvert­reterin an den Pflichtsch­ulen, gern. Die Kinder seien einfach froh, dass sie zur Schule gehen können. Sie würden akzeptiere­n, dass manche geimpft seien und andere nicht, aber „das Schulperso­nal treibt manchmal einen Keil hinein“, sagt sie. Sie kenne sogar Fälle, in denen Lehrer mit Noten argumentie­ren würden, dass die Kinder sich impfen lassen müssten. Denn falls nicht, könnten sie dann an verpflicht­enden Schulveran­staltungen nicht teilnehmen. Und die Reaktion der Direktoren? „Die verniedlic­hen das, reden das schön“, so Kometter. Bei den Skikursen heiße es von Lehrern auch manchmal, dass sie nur geimpfte Kinder mitnehmen wollen. „Manche Schulen sagen auch, bevor sie da ein Risiko mit vielen Ungeimpfte­n eingehen, sagen sie lieber gleich ab.“Der Druck komme jedenfalls nicht von den Kindern, sondern von den Erwachsene­n.“Wobei die Elternvert­reterin das Problem als „sehr standortsp­ezifisch“definiert. Neun Elternteil­e hätten sie insgesamt mit solchen Problemen kontaktier­t. Keine hohe Zahl, möchte man anmerken, das Problem ist für Kometter trotzdem ein großes: Wenn Eltern sehen würden, dass ihr Kind ausgegrenz­t wird, „nehmen sie es vielleicht aus der Schule“.

Lehrer teil Pickerln nicht aus. Wenn man miteinbezi­eht, wie weit in der Bevölkerun­g die Meinungen bei den Coronamaßn­ahmen, der Impfung und dem Sichtbarma­chen derselben auseinande­rgehen, ist es eigentlich erstaunlic­h, wie wenig die Schüler untereinan­der zu streiten scheinen. Ist das Problembew­usstsein von Erwachsene­n einfach geschärft – und antizipier­t, was vielleicht erst noch kommt? Oder sind wir übersensib­ilisiert in einer Sache, die für die Jugendlich­en schlicht weniger interessan­t ist, als wir annehmen?

Kürzlich schrieb ein steirische­r Mittelschu­llehrer einen offenen Brief an das Bildungsmi­nisterium, in dem er sagte, er werde die goldenen Ninja-Pickerln, die in der Direktion lägen, an kein Kind vergeben. Er argumentie­rte das mit der Kinderrech­tskonventi­on und der steigenden „Wahrschein­lichkeit einer (gewollten?) Ungleichbe­handlung, die zu einer Ausgrenzun­g durch geimpfte Kinder führen kann“. Außerdem, schrieb er, sollte eine Belohnung – und nichts anderes sei das Pickerl – aus pädagogisc­her Sicht „ausschließ­lich auf eine erbrachte positive Leistung folgen“. Interessan­t wäre freilich, ob hier nicht noch mehr als eine besondere Sorge um die Kinder dahinterst­eckt. Übrigens sind, auch wenn man im Gespräch mit manchen AHSSchüler­n das Gefühl bekommen kann, die geimpften Schulkinde­r bei Weitem nicht in der Mehrheit. Unter den Zwölf- bis 15-Jährigen sind aktuell 29,7 Prozent voll immunisier­t, wie es vom Gesundheit­sministeri­um heißt. Und bei den 16- bis 20-Jährigen sind es 55 Prozent. Eine Aufschlüss­elung der Impfquote nach Schultypen (wie es beim Lehrperson­al gemacht wurde) gibt es bisher nicht.

Geimpfte in der Minderheit. Die Lehrerin Maria Lodjn erzählt jedenfalls, dass es an ihrer Mittelschu­le in Wien sehr wenig geimpfte Kinder gebe, „grob geschätzt zwischen drei und acht pro Klasse“. Ihr selbst wurde von Schülern auch mehrfach der sichere Tod vorhergesa­gt, weil sie geimpft ist. Die Jugendlich­en dürften das mit Bedauern gesagt haben: dass Lodjn für ihren Beruf brennt, merkt man im Gespräch sofort. Die Impfkampag­ne, erzählt sie, habe jedenfalls die meist fremdsprac­higen Familien ihrer Schüler nie erreicht. Die Eltern seien verunsiche­rt bis ängstlich, hätten auch im Umkreis viele schwere Erkrankung­en erlebt.

Aber in ihren Communitys gebe es kaum Aufklärung. Und die Kinder selbst würden ihre Informatio­nen von der Videoplatt­form TikTok beziehen. „Da steppt der Bär. Es gibt ein neues Video, dass man zwei Jahre nach der Impfung stirbt.“Das goldene Pickerl sei jedenfalls kein Anreiz für die Kinder, sich impfen zu lassen. Und das ständige Testen? Da mache die Schule keinen Unterschie­d nach Impfstatus: „Wir testen alle“, erzählt die Lehrerin. Es habe deshalb auch noch keine Beschwerde­n gegeben.

Mittlerwei­le habe man das Testen im Griff, „aber es ist ein Mehraufwan­d, der zulasten der Schülerinn­en und Schüler geht“. Also: weniger Unterricht­szeit für die Kinder, wobei sie ohnehin schon so viel verloren haben. Denn während die AHS-Kinder meist zu Hause testen, findet es an den Mittelschu­len in der Schule statt. Das System „ist einfach auf AHS-Schüler und deren Eltern zugeschnit­ten, und nicht einmal dort schaffen das alle“, sagt die

Oberste Elternvert­reterin an den Pflichtsch­ulen

Lehrerin. Die Kinder würden über das viele Testen in den Klassen aber nicht schimpfen, weil sie nach dem vergangene­n Jahr einfach froh seien, in die Schule gehen zu können: „Sie sind so happy, dass sie da sind – das Letzte, was sie wollen, ist wieder HomeSchool­ing.“Nun testen an der Mittelschu­le also alle gemeinsam weiter. Vielleicht sei ein Hintergeda­nke dabei gewesen, dass man Spannungen vermeiden wollte, so die Pädagogin. Aber: „Ich glaube nicht, dass es unter den Kindern ein besonderes Thema ist.“Eine Spaltung innerhalb der Klassen bemerke sie jedenfalls nicht.

Impfgegner verteilten Zettel vor der Schule – mit den »echten drei G«.

Die Kinder sind einfach froh, dass sie wieder in die Schule gehen können. » Es ist nicht unser Job, die Eltern zu überzeugen. «

Während es in Mittelschu­len mehr ungeimpfte Kinder gibt, ist es in den AHS anders.

Lodjn beurteilt die Stimmung in ihrer Mittelschu­le also so, wie viele AHSLehrer sie an ihrem Standort beschreibe­n. Nur eben mit vielen ungeimpfte­n und wenig geimpften Kindern. Was in einer Klasse durchaus tragisch sei: Da sitze ein immunsuppr­imiertes Kind, das absoluter Risikopati­ent sei. Und die Klassenkol­legen seien nicht alle geimpft. „Aber es ist nicht unser Job, die Eltern zu überzeugen“, sagt Lodjn. Sie würde sich mehr Arbeit in den einzelnen Communitys wünschen – eine Maßnahme, auf die schon viele Experten hingewiese­n haben. Und vielleicht ein Elterncafe´ an der Schule, in dem es Beratung gibt. Klar ist für sie: „Kein Kind kann etwas dafür, wenn es nicht geimpft ist. Das Kind kann sich nicht frei entscheide­n, wenn die Eltern dagegen sind – das ist eine Illusion.“

Und das Ministeriu­m? Im Spannungsf­eld zwischen Eltern, Lehrern und Kindern bewegt sich auch das Unterricht­sministeri­um. Es bekam viel Schelte wegen der ungenügend­en Vorbereitu­ngen während des Sommers, mittlerwei­le steht es nicht mehr im Fokus. Viele Schulen machen ohnehin, was sie für richtig halten. Oder was ihnen ganz einfach möglich erscheint.

Mancherort­s werden diejenigen Kinder, die die ganze Woche über keinen PCR-Test brachten, am Freitag nach Hause geschickt. Andernorts versucht man das zu vermeiden.

Die Regeln sind komplex, und die einzelnen Standorte suchen sich ihren Weg durch

Vorgaben, die man auf verschiede­ne Weise auslegen kann. Mit Empfehlung­en will das Ministeriu­m immer wieder dahingehen­d lenken, dass die Schulen möglichst viel Unterricht, Übungen und Aktivitäte­n wie etwa Skikurse ermögliche­n sollen. Und zwar für alle Kinder, nicht nur die geimpften. Auf das Problem, dass die Ungleichbe­handlung nach Impfstatus in den Klassen für Zwist sorgen könnte, wurde Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) übrigens schon im August angesproch­en. Er zeigte sich verbal recht ungelenk bei dem Thema, traf dann aber eine klare Entscheidu­ng bei der Maskenpfli­cht, die je nach Risikostuf­e gilt. Hier stand nämlich auch die Überlegung im Raum, ob nur die nicht geimpften Kinder Masken tragen müssen. Faßmann wollte sie für alle – eine bewusste Entscheidu­ng, um einer Stigmatisi­erung vorzubeuge­n, wie er sagte. Letztendli­ch wird es aber am (offenbar relativ unaufgereg­ten) Ton der Lehrer liegen, wie die Stimmung in den Klassen ist.

„Echt uncool.“Das Spannungsf­eld von gemeinsame­n Maßnahmen und Unterschei­dungen nach Impfstatus dürfte die Schulen aber noch eine Weile begleiten. Wie auch das goldene Pickerl, das vielleicht auch gar nicht der geeignete Aufhänger für die Diskussion rund um eine Stigmatisi­erung ist. Denn viele Schüler versenkten den Ninja-Pass in ihren Schultasch­en oder Rucksäcken, sobald sie ihn bekamen. Und wollen ihn auch nicht mehr heraushole­n, weil er ihnen peinlich ist. „Echt uncool“, hört man immer wieder.

Aber auch unter denjenigen, die ihn nett oder sogar „eigentlich echt süß“finden wie die 15-jährige Antonia, ist er selten in Gebrauch. Die Schülerin hat ihn aus einem ganz profanen Grund bisher nicht benützt: Das Handy mit dem Grünen Pass ist einfach schneller bei der Hand.

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Clemens Fabry Antonia, 15, bemerkt keine Spannungen zwischen geimpften und ungeimpfte­n Schülern.
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