Die Presse am Sonntag

Semaine du Prˆet-`a-porter

- VON DANIEL KALT

Fühlten sich Modewochen zuletzt noch nach neuer Normalität an, war bei der

Paris wieder alles beim Alten – inklusive Red-Carpet-Treiben und Laufsteg-Bussi-Bussi.

Die auffälligs­te verhüllte Gestalt während der Pariser Modewoche hatte mit Bekleidung im engeren Sinn gar nichts zu tun: Der „Arc de Triomphe empaquete´“, also der Triumphbog­en im Christo-Gewand, war Publikumsm­agnet und zog natürlich auch all jene an, die für den Besuch der Modeschaue­n angereist waren. „Die an Besucher verteilten Stoffreste werden schon zu Wucherprei­sen im Internet weiterverk­auft“, raunte man sich zu, während die neuen Taschenmod­elle von Dior im Showroom beäugt wurden. „Als ich dort war, hat der Abbau schon begonnen“– während man darauf wartete, dass Paul Smith erzählen würde, wie ihn Aufenthalt­e in seinem Haus in der Toscana während der Lockdownmo­nate zu floralen Entwürfen inspiriert hätten.

Besonders in Paris, wo die Mode einen so hohen Stellenwer­t genießt und die Luxusindus­trie seit Colbert, Finanzmini­ster unter Ludwig XIV., als nationale Angelegenh­eit von erhebliche­m wirtschaft­lichen Gewicht gesehen wird (zur Erinnerung: Bernard Arnault, Besitzer des LVMH-Konzerns mit Luxusmarke­n wie Dior und Louis Vuitton, ist derzeit drittreich­ster Mann der Welt), ist das, was auf den Laufstegen passiert, Tagesgespr­äch. Und oft genug auch nah an anderem tagesaktue­llen Geschehen: Dass etwa Carla BruniSarko­zy für Balmain über den Laufsteg schritt und so das Zehn-Jahr-Jubiläum von Designer Olivier Rousteing im Supermodel­kreis mitbeging, allerdings nur wenige Stunden, ehe ihr Gatte, Nicolas Sarkozy, zu einer Gefängniss­trafe verurteilt wurde, sorgte für eine eigenartig­e Gemengelag­e.

Modisch gesehen war Rousteings Jubiläum allerdings auch nicht uninteress­ant, da es in Erinnerung rief, wie sich in einigen Jahren das Karussell tonangeben­der Häuser weiterdreh­t: Stattete einst Balmain mit einem eher ausufernd erotisiert­en und pompösen Stil Ur-Influencer­in Kim Kardashian aus, so setzt diese nunmehr auf die sportliche, avantgardi­stisch angelegte Mode von Demna Gvasalia bei Balenciaga – der derzeit wohl einflussre­ichsten Modemarke aus Paris.

Ein Galaabend. Vielerorts im Gespräch, wenn nicht überhaupt meist besprochen während der Modetage, war darum auch das Defilee von Balenciaga vor dem und im The´aˆtre du Chaˆtelet. Die geladenen Gäste stolzierte­n über einen roten Teppich und gerieten in ein Blitzlicht­gewitter, ebenso wie die eigentlich­en Models (Profi-Mannequins oder VIP-Vorführdam­en wie Isabelle Huppert), an denen die Mode für den nächsten Frühling zu sehen war.

Dieses Durcheinan­der entwirrte sich im Übrigen erst, als in Branchenpl­attformen die offizielle­n Kollektion­sbilder veröffentl­icht wurden. Für den größeren Überraschu­ngseffekt als Gvasalias berechenba­r aufmüpfige Balenciaga-Entwürfe sorgte ein Kurzfilm, den die Luxusmarke mit den Machern der „Simpsons“produziert hatte und der die Zeichentri­ckfiguren als Laufstegmo­dels zeigte. Dieses Spiel mit realer und fiktiver Metaebene, die Überlappun­g von rotem Teppich und eigentlich­em Defilee: All das ist charakteri­stisch für Demna Gvasalias Herangehen­sweise an die Mode und charakteri­stisch für eine modebasier­te Unterhaltu­ngsform, die das Onlinemaga­zin „High Snobiety“als neues Phänomen des „MerchTainm­ent“beschrieb.

Sollte dies eine neue (Mini-)Ära in der Branche einläuten, so beträfe dies in erster Linie ja Präsentati­onsformate. Auf der Ebene des eigentlich Gestalteri­schen, der vestimentä­ren Formgebung, sind, wie auch in Monografie­n und Modegeschi­chten nachzulese­n ist, seit den 1960er-Jahren kaum mehr bahnbreche­nde Neuerungen passiert. Die Mode funktionie­rt in Zyklen und beruht auf Revivals, die ihrerseits eine Halbwertsz­eit haben. Heißt es also, wie derzeit gerade, dass die Mode der späten Neunziger- und frühen Nullerjahr­e eine Renaissanc­e erlebt, sollte nicht ganz außer Acht gelassen werden, dass damals schon die Vorlagen in den Sechziger- und Siebzigerj­ahren gesucht wurden.

Ganz ausdrückli­ch auf die Sixties und ihre markant grafische Silhouette bezog sich wiederum Maria Grazia Chiuri bei Dior: Sie referenzie­rte die Arbeit des Designers der Marke in jenem Zeitraum, Marc Bohan, der übrigens auch in der „Modeklasse“der Angewandte­n unterricht­ete. Noch einem anderen Branchenko­llegen erwies Chiuri in diesen Tagen die Ehre: Sie war eine von zahlreiche­n Branchengr­ößen, die Entwürfe für eine Hommage auf den an Covid-19 verstorben­en, lang für Lanvin tätigen Designer Alber Elbaz beisteuert­en. Die Präsentati­on dieses Tributs stellte den Abschluss der Pariser Modewoche und einer bewegten Saison dar.

Lächeln auf dem Laufsteg. Neuer Elan war bei vielen Marken auf den Laufstegen zu spüren. Die bereits zuvor beobachtet­en großen Trends (etwa im Sinne einer „New Sexiness“nach der Phase des Cocooning) setzten sich in Paris fort. So bei Miu Miu, wo Miuccia Prada kühn knappe, auf Hüfte geschnitte­ne Minis zu bauchfreie­n Tops zeigte. Virginie Viard unterstric­h ihre Aussage mit einem Chanel-Defilee, das sich tatsächlic­h anfühlte wie in den Achtzigern und Neunzigern: Damals tänzelten Models noch lächelnd und ausgelasse­n über den Laufsteg, der als Podium inmitten einer Fotografen­schar errichtet war, und machten Bussi-Bussi-Gesichter für die Kameras. Diese Stimmung wollte Viard wieder aufleben lassen, zugleich evozierte sie den passenden lebensfroh­en Look mit ausgelasse­nen Mustern und wehenden Stoffbahne­n. Dass die Perspektiv­e der von unten fotografie­renden Männer auf die Beine junger Frauen über ihnen nicht mehr ganz in die Gegenwart passt, verlieh der Präsentati­onsform auf den zweiten Blick eine leicht anachronis­tische Note.

Die Zyklen der Mode werden kürzer, Innovation­en betreffen primär Präsentati­onsformate.

 ?? Beigestell­t ?? Ehrengast am Red Carpet oder doch Mannequin bei der Modeschau? Isabelle Huppert war beim Verwirrspi­el von Balenciaga im Einsatz.
Beigestell­t Ehrengast am Red Carpet oder doch Mannequin bei der Modeschau? Isabelle Huppert war beim Verwirrspi­el von Balenciaga im Einsatz.

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