Semaine du Prˆet-`a-porter
Fühlten sich Modewochen zuletzt noch nach neuer Normalität an, war bei der
Paris wieder alles beim Alten – inklusive Red-Carpet-Treiben und Laufsteg-Bussi-Bussi.
Die auffälligste verhüllte Gestalt während der Pariser Modewoche hatte mit Bekleidung im engeren Sinn gar nichts zu tun: Der „Arc de Triomphe empaquete´“, also der Triumphbogen im Christo-Gewand, war Publikumsmagnet und zog natürlich auch all jene an, die für den Besuch der Modeschauen angereist waren. „Die an Besucher verteilten Stoffreste werden schon zu Wucherpreisen im Internet weiterverkauft“, raunte man sich zu, während die neuen Taschenmodelle von Dior im Showroom beäugt wurden. „Als ich dort war, hat der Abbau schon begonnen“– während man darauf wartete, dass Paul Smith erzählen würde, wie ihn Aufenthalte in seinem Haus in der Toscana während der Lockdownmonate zu floralen Entwürfen inspiriert hätten.
Besonders in Paris, wo die Mode einen so hohen Stellenwert genießt und die Luxusindustrie seit Colbert, Finanzminister unter Ludwig XIV., als nationale Angelegenheit von erheblichem wirtschaftlichen Gewicht gesehen wird (zur Erinnerung: Bernard Arnault, Besitzer des LVMH-Konzerns mit Luxusmarken wie Dior und Louis Vuitton, ist derzeit drittreichster Mann der Welt), ist das, was auf den Laufstegen passiert, Tagesgespräch. Und oft genug auch nah an anderem tagesaktuellen Geschehen: Dass etwa Carla BruniSarkozy für Balmain über den Laufsteg schritt und so das Zehn-Jahr-Jubiläum von Designer Olivier Rousteing im Supermodelkreis mitbeging, allerdings nur wenige Stunden, ehe ihr Gatte, Nicolas Sarkozy, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, sorgte für eine eigenartige Gemengelage.
Modisch gesehen war Rousteings Jubiläum allerdings auch nicht uninteressant, da es in Erinnerung rief, wie sich in einigen Jahren das Karussell tonangebender Häuser weiterdreht: Stattete einst Balmain mit einem eher ausufernd erotisierten und pompösen Stil Ur-Influencerin Kim Kardashian aus, so setzt diese nunmehr auf die sportliche, avantgardistisch angelegte Mode von Demna Gvasalia bei Balenciaga – der derzeit wohl einflussreichsten Modemarke aus Paris.
Ein Galaabend. Vielerorts im Gespräch, wenn nicht überhaupt meist besprochen während der Modetage, war darum auch das Defilee von Balenciaga vor dem und im The´aˆtre du Chaˆtelet. Die geladenen Gäste stolzierten über einen roten Teppich und gerieten in ein Blitzlichtgewitter, ebenso wie die eigentlichen Models (Profi-Mannequins oder VIP-Vorführdamen wie Isabelle Huppert), an denen die Mode für den nächsten Frühling zu sehen war.
Dieses Durcheinander entwirrte sich im Übrigen erst, als in Branchenplattformen die offiziellen Kollektionsbilder veröffentlicht wurden. Für den größeren Überraschungseffekt als Gvasalias berechenbar aufmüpfige Balenciaga-Entwürfe sorgte ein Kurzfilm, den die Luxusmarke mit den Machern der „Simpsons“produziert hatte und der die Zeichentrickfiguren als Laufstegmodels zeigte. Dieses Spiel mit realer und fiktiver Metaebene, die Überlappung von rotem Teppich und eigentlichem Defilee: All das ist charakteristisch für Demna Gvasalias Herangehensweise an die Mode und charakteristisch für eine modebasierte Unterhaltungsform, die das Onlinemagazin „High Snobiety“als neues Phänomen des „MerchTainment“beschrieb.
Sollte dies eine neue (Mini-)Ära in der Branche einläuten, so beträfe dies in erster Linie ja Präsentationsformate. Auf der Ebene des eigentlich Gestalterischen, der vestimentären Formgebung, sind, wie auch in Monografien und Modegeschichten nachzulesen ist, seit den 1960er-Jahren kaum mehr bahnbrechende Neuerungen passiert. Die Mode funktioniert in Zyklen und beruht auf Revivals, die ihrerseits eine Halbwertszeit haben. Heißt es also, wie derzeit gerade, dass die Mode der späten Neunziger- und frühen Nullerjahre eine Renaissance erlebt, sollte nicht ganz außer Acht gelassen werden, dass damals schon die Vorlagen in den Sechziger- und Siebzigerjahren gesucht wurden.
Ganz ausdrücklich auf die Sixties und ihre markant grafische Silhouette bezog sich wiederum Maria Grazia Chiuri bei Dior: Sie referenzierte die Arbeit des Designers der Marke in jenem Zeitraum, Marc Bohan, der übrigens auch in der „Modeklasse“der Angewandten unterrichtete. Noch einem anderen Branchenkollegen erwies Chiuri in diesen Tagen die Ehre: Sie war eine von zahlreichen Branchengrößen, die Entwürfe für eine Hommage auf den an Covid-19 verstorbenen, lang für Lanvin tätigen Designer Alber Elbaz beisteuerten. Die Präsentation dieses Tributs stellte den Abschluss der Pariser Modewoche und einer bewegten Saison dar.
Lächeln auf dem Laufsteg. Neuer Elan war bei vielen Marken auf den Laufstegen zu spüren. Die bereits zuvor beobachteten großen Trends (etwa im Sinne einer „New Sexiness“nach der Phase des Cocooning) setzten sich in Paris fort. So bei Miu Miu, wo Miuccia Prada kühn knappe, auf Hüfte geschnittene Minis zu bauchfreien Tops zeigte. Virginie Viard unterstrich ihre Aussage mit einem Chanel-Defilee, das sich tatsächlich anfühlte wie in den Achtzigern und Neunzigern: Damals tänzelten Models noch lächelnd und ausgelassen über den Laufsteg, der als Podium inmitten einer Fotografenschar errichtet war, und machten Bussi-Bussi-Gesichter für die Kameras. Diese Stimmung wollte Viard wieder aufleben lassen, zugleich evozierte sie den passenden lebensfrohen Look mit ausgelassenen Mustern und wehenden Stoffbahnen. Dass die Perspektive der von unten fotografierenden Männer auf die Beine junger Frauen über ihnen nicht mehr ganz in die Gegenwart passt, verlieh der Präsentationsform auf den zweiten Blick eine leicht anachronistische Note.
Die Zyklen der Mode werden kürzer, Innovationen betreffen primär Präsentationsformate.