Die vielen Leben des Josefstädter Theaters
Begonnen hat alles mit einer schlichten Bühne im Hinterhof des Gasthofs »Zum goldenen Strauß«. Heute kann das Theater in der Josefstadt auf mehr als 200 Jahre turbulente Theatergeschichte zurückblicken, die von Theaterdirektoren und Künstlern genauso geprägt wurde wie von Politik – und unentwegten Geldnöten.
Kultur gepaart mit Kulinarik ist ein lukratives Geschäftsmodell, diese Erkenntnis ist wahrlich keine neue. Das Konzept bewährte sich in Wien schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: in Margareten etwa, wo im Gasthof „Zur goldenen Sonne“auch ein Theatersaal untergebracht war. Im Prater wiederum florierte das Gasthaus „Zum Hanswurst“gleich neben dem Wursteltheater. Das sollte auch in der Josefstadt möglich sein, dachte sich der Schauspieler Karl Mayer, und begann, seinen Schwiegervater Johann Michael Köck zu bearbeiten. Dieser betrieb nämlich in der Kaiserstraße 93 (heute Josefstädter Straße 26) das Wirtshaus „Zum goldenen Strauß“. „Spätestens Ende 1787 muss es Mayer gelungen sein, seinen Schwiegervater von seinem Geschäftskonzept zu überzeugen“, sagt Robert Stalla, Professor für Kunstgeschichte an der TU Wien. Der Wissenschaftler hat in dem jüngst erschienenen Werk „Theater in der Josefstadt“dessen Kunstgeschichte umfassend aufgearbeitet. Kurzum, am 24. Oktober 1788 eröffnete das „neue Schauspielhaus“. Damit hatten nun auch die Josefstädter ihr eigenes Theater und mussten nicht mehr nach Wieden oder in die Leopoldstadt fahren, wo es schon seit einigen Jahren Vorstadtbühnen gab.
Wobei der Begriff „Theater“für das äußerst kleine, schlichte Logenhaus in der Josefstadt überzogen scheint. Mayers Schwiegervater hatte Josef Allio, einen Baumeister, der mit Theaterarchitektur nichts zu tun hatte, mit der Ausführung beauftragt. Dennoch wurde Mayer 1791 für sein Haus das kaiserliche Privileg gewährt. Das bedeutete nicht nur, dass jedes Programmheft und das Eingangsportal nunmehr mit dem kaiserlichen Doppeladler geschmückt wurden, sondern vor allem die umfangreiche Spielerlaubnis für alle Gattungen von Schauspielen, deutsche und italienische Opern und lukrative Ballette.
Von Geld keine Rede. All das änderte aber nichts daran, dass sich Karl Mayers Traum vom großen Geld nicht erfüllen wollte. Im Gegenteil: Von Anfang an kämpfte das Theater ums wirtschaftliche
„Theater in der Josefstadt, 1788–2030“
Nach fünf Jahren intensivster Recherche entstand der Doppelband des Kunsthistorikers und TUUniversitätsprofessors Robert Stalla im Hirmer-Verlag.
Der Wissenschaftler spannt den Bogen von der Gründung der Bühne bis zur Gegenwart. Beleuchtet wird auch die wechselvolle Architekturgeschichte des Hauses sowie seiner Filial- und Sommerbühnen im theater- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang. Überleben. Das dürfte mit den dürftigen Darbietungen zu tun gehabt haben, wie zahlreiche Kritiken aus den 1790er-Jahren belegen: „Das Theater in der Josefstadt verdient nicht genannt zu werden. Es gehört in die Klasse derjenigen, die in Schwaben, Bayern und Böhmen herumziehen und Garderobe auf Hunden und Eseln nachführen“, schrieb etwa der Dramatiker Carl Freiherr von Reitzenstein. 1802 verlor Mayers Schwiegervater die Geduld, er verkaufte das Theater samt Wirtshaus an einen Bankier. Immerhin, sein Schwiegersohn blieb Direktor des Theaters, war doch das kaiserliche Privileg an seine Person gebunden.
Die Presse lobte 1822 den Neubau von Joseph Kornhäusel euphorisch.
Ruhigere Zeiten brachte der Verkauf allerdings nicht. Im folgenden Jahrzehnt wurde das kleine Haus zum Spekulationsobjekt verschiedenster Investoren, die es durch einen Neubau ersetzen und zum prachtvollsten Theater Wiens machen wollten. Bis es endlich dazu kam, vergingen allerdings 20 turbulente Jahre.
Erst 1822 gaben der neue Theaterdirektor Karl Friedrich Hensler und Wolfgang Reischel, nunmehriger Eigentümer und Wirt des „Goldenen Strauß“, den Auftrag, das neue Haus nach den Plänen von Joseph Kornhäusel zu errichten. „Dieser Neubau ist im Kern noch immer erhalten und prägt trotz aller Veränderungen und Neudekorationen den Spielbetrieb bis heute“, sagt Kunsthistoriker Stalla.
Neueröffnung mit Beethoven. Am 3. Oktober 1822 fand die feierliche Eröffnung statt. Niemand Geringerer als der bereits ertaubte Ludwig van Beethoven komponierte und dirigierte das Stück „Die Weihe des Hauses“zu diesem Anlass. Die Presse rühmte nicht nur die Eröffnung, sondern auch das neue Theater, das von einer erbärmlichen Vorstadtbühne zu einer „Sehenswürdigkeit“der Haupt- und Residenzstadt Wien aufgestiegen war. Konsolidieren konnte sich das Haus dennoch nicht. Nach dem Tod Henslers gab es bis 1899 23 Direktionswechsel. Dann übernahm Josef Jarno für mehr als zwei Dekaden die Leitung und modernisierte das Repertoire, indem er nicht nur mehr Wiener Volksstücke, sondern führende Dramatiker seiner Zeit, wie Henrik Ibsen, Gerhart Hauptmann oder Arthur Schnitzler, aufführte.
Ära Reinhardt. 1923 musste Jarno, der noch gern geblieben wäre, seinen Platz – verbittert und tief gekränkt – für einen Mann räumen, der das Theater während seiner nur zweijährigen Direktionszeit so stark prägte wie kein anderer: Max Reinhardt. „Er hatte die Gabe, immer eine Schar von Leuten um sich zu versammeln, die ihm jeden Wunsch erfüllen wollten. Das war auch hier so. Camillo Castiglioni, der als Kriegsgewinnler zu einem der reichsten Männer Europas aufgestiegen war, versprach Reinhardt die Finanzierung des Umbaus des
Theaters, ganz so wie dieser ihn sich wünschte.“Rein
hardt hatte klare Vorstellungen, bevor er das Haus nach den Plänen von Carl Witzmann umbauen ließ.
Als das Josefstädter Theater am 1. April 1924 wiedereröffnet wurde, fanden sich die Zuschauer in einem Haus wieder, das in seiner Pracht an das neue Teatro La Fenice in Venedig erinnerte. Klotzen statt kleckern war die Devise Reinhardts, der sich ganz bewusst für den opulenten, repräsentativen Stil des Rokoko entschieden hatte. Ein Signal des Theatermachers, sich in diesem Luxusambiente mit purpurnen Damasttapeten, Goldverzierungen und venezianischen Lustern künftig dem Bürgertum zuwenden zu wollen. „Das Burgtheater“, so schrieb die „Kleine Volks-Zeitung“damals, zeige sich der Konkurrenz einer lebendigen Reinhardt-Bühne nicht mehr gewachsen, weshalb Besorgnis zu registrieren sei.
1938 – eine Zäsur. Mit dem „Anschluss“Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich wurden alle jüdischen Schauspieler und unerwünschten Angehörigen des Hauses fristlos entlassen. „Reichspropagandaminister Joseph Goebbels versuchte von da an, das Haus in den Besitz seines Ministeriums zu bekommen, um ein Reichstheater daraus zu machen“, erklärt Kunsthistoriker Stalla. Anlässlich des Geburtstages von Adolf Hitlers gab es am 20. April 1938 eine Festpremiere am Theater. Paula Wessely und Attila Hörbiger spielten die Hauptrollen in „Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück“von Gotthold Ephraim Lessing. Wiewohl, ein Reichstheater wurde das Josefstädter Theater während der Direktion von Hans Hilpert, der dem NS-Regime ambivalent gegenüberstand, nicht.
„Nach dem Krieg stand Direktor Rudolf Steinböck vor der schwierigen Aufgabe, ehemalige Nazis, Mitläufer, Juden, Immigranten zu einem Ensemble zu vereinen. Ein Beispiel: Paula Wessely spielte bereits 1946 wieder in Bertolt Brechts ,Der gute Mensch von Sezuan‘, obwohl sich dieser vehement dagegen ausgesprochen hatte“, so Stalla.
Steinböck folgten unter anderem Franz Stoß, Ernst Haeussermann, Otto Schenk und Helmut Lohner nach. Gemein ist ihnen allen, dass sie unter schwierigsten finanziellen Rahmenbedingungen zu arbeiten und unter der Einmischung ihrer Subventionsgeber – Bund und Stadt – zu leiden hatten. 1999/2000 konnte nur in letzter Minute ein Konkurs verhindert werden. Diese existenzielle Krise führte letztlich dazu, das Haus strukturell auf neue Beine zu stellen. 2005 wurde das Theater in der Josefstadt in eine Privatstiftung eingebracht, ein Jahr später der Schauspieler Herbert Föttinger zum neuen Intendanten ernannt.
Sein Vertrag läuft bis 2026. Zu früh, um sein Wirken jetzt schon mit der notwendigen Distanz zu beurteilen. Eines steht aber heute schon fest: Herbert Föttinger zählt zu jenen Direktoren, die das Haus in der Josefstadt am längsten geleitet haben.
Nazis, Mitläufer, Immigranten und Juden – alle bilden das neue, alte Ensemble.