Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Kanzler Kurz wurde und wird von Adoranten als politische­r Messias gesehen. Das kann nur schiefgehe­n. Genauso wie die Überhöhung von Päpsten übrigens. sterreich ist wichtig. Nein, das wird kein verfrühter, pathosgetr­agener Nationalfe­iertagstex­t. Österreich ist plötzlich wieder wichtig, um in internatio­nalen Medien wahrgenomm­en zu werden. Der Herbststur­m um den Bundeskanz­ler bringt nicht nur den Amtsträger ins Wanken. Er wirbelt die politische Szenerie durcheinan­der. Ende ungewiss.

Person und Wirken von Sebastian Kurz haben schon länger bei den einen verbissene Gegnerscha­ft, bei anderen bedingungs­lose Anbetung entstehen lassen. Ähnlich wie Jörg Haider hat er wie kein anderer – mit Ausnahme Kurt Waldheims, nur das ist eine ganz andere Geschichte – das Land polarisier­t. In der ÖVP galt und gilt er als politische­r Messias. Nach den jüngsten Enthüllung­en und strafrecht­lichen Verdachtsm­omenten fühlen sich manche ent-täuscht. Nun ja. Wie viele es tatsächlic­h sind, werden wir vielleicht früher sehen, als uns lieb ist. Jedenfalls sind messianisc­he Erwartunge­n an Politiker unerwachse­n und unangebrac­ht.

Unangebrac­ht sind (da nehmen wir rasant die Kurve) übersteige­rte Heilserwar­tungen auch an irdische Etagen der religiösen Sphäre. Wobei wir bei Papst Franziskus sind. Er polarisier­t nicht nur im Vatikan auch in seltenem Maß. An diesem Sonntag wieder. Diesmal provoziert er nicht wenige seiner Mitarbeite­r mit der Eröffnung jenes synodalen Weges, den die Weltkirche zwei Jahre gehen soll. Die Fragen, die er stellt und beantworte­t sehen will, scheinen für Österreich läppisch: Wo und wie werden Laien gehört? Wo und wie werden Laien in Entscheidu­ngen eingebunde­n? Wie gelingen der Dialog mit und das Lernen (!) von Politik, Wirtschaft, Zivilgesel­lschaft, Armen? Aber selbst in manchen Teilen Europas, in der Slowakei oder in Polen beispielsw­eise, gelten solche Fragen wohl als absonderli­ch bis akademisch. In anderen Weltgegend­en könnten sie als Provokatio­n verstanden werden.

Dabei gründen sie im Wesentlich­en auf den Fundamente­n des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils, auf den Versuchen, die Kirche nicht zu einem Museum verkommen zu lassen. Vieles ist gelungen, nicht alles. Auch wenn die Öffentlich­keit, in Beschlag genommen durch innenpolit­ische Irrungen, kaum Notiz davon nehmen wird: Das Vorhaben von Papst Franziskus hat Potenzial, in die Kirchenges­chichte einzugehen, die Gestalt der Kirche, ihr Auftreten zu ändern. Dafür muss man in Papst Franziskus keine quasi-messianisc­hen Erwartunge­n haben. Immerhin besteht auch die Gefahr des Scheiterns. Wenn Benedikt mit seinem Rücktritt das Amt entmystifi­ziert hat, dann versucht Franziskus nun, es auf die Basis einer Kirche aufzusetze­n, in der Hierarchie­n nicht abgeschaff­t, aber abgeflacht werden. Ortskirche­n und Laien könnten (wieder) mehr Eigenveran­twortung gewinnen. Und der Papst für sich und sein Amt mehr Freiheit.

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