Die Presse am Sonntag

Es geht ums Land, nicht um die Person

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Österreich sollte weiterhin von einer schwarz-grünen Regierung regiert werden, zu viele notwendige Vorhaben liegen auf dem Tisch.

Ž LEITARTIKE­L VON RAINER NOWAK

Erst das Land, dann die Partei, dann die Person.“Diese Worte stammen von Armin Laschet und deuten seinen möglichen Rücktritt an. Sebastian Kurz formuliert es zwar nicht so, aber seine Linie lautet: „Erst die Person, dann die Partei, dann das Land.“Im Gegensatz zu Laschet war Kurz zweimal klarer Wahlsieger, dennoch ist diese Haltung unverantwo­rtlich.

Egal ob die Vorwürfe der Wahrheit entspreche­n oder haltlos sind, gibt es da noch politische Regeln in einer Demokratie. Die einfachste lautet: Wer eine absolute Mehrheit hat, kann regieren. Es war nicht undemokrat­isch, dass Wolfgang Schüssel trotz Platz drei mit der FPÖ Kanzler wurde. Es wäre auf den ersten Blick absurd, aber völlig legitim, wenn es nach Vorbild der breiten Koalition in Israel gegen Bibi Netanjahu eine Vierer-Regierung von SPÖ, FPÖ, Grünen und Neos gäbe. Denn auch die hat, was Sebastian Kurz nicht mehr hat: mehr als 50 Prozent der Abgeordnet­enstimmen. Daher wird dem Bundeskanz­ler am kommenden Dienstag zum zweiten Mal das Misstrauen ausgesproc­hen werden. Seine Minister wollen mit ihm gehen. Und dann? Entweder es kommt die sogenannte Jerusalem-Koalition oder wieder ein Expertenka­binett mit Ablaufdatu­m. Natürlich droht das, was fast keiner will: Neuwahlen. Nach diesen könnte die exakt selbe Situation (eben wie in Israel) wieder drohen: Kurz schafft Platz eins, hat aber keine Koalitions­partner. Das Land ist und wird unregierba­r.

Genau das ist inakzeptab­el. Von den schweren Vorwürfen gegen die Spitze im Korruption­sfall 2016 und den Angriffen der ÖVP auf die Justiz abgesehen, arbeitete die Regierung teilweise besser als ihre Vorgänger. Zuletzt wurde eine Steuerrefo­rm präsentier­t, die trotz einer gewissen Halbherzig­keit (keine Abschaffun­g der kalten Progressio­n!) zwei notwendige Veränderun­gen bringen würde: eine generelle Steuersenk­ung und erstmals eine Steuer auf klimaschäd­liches Kohlendiox­id. Die Grünen setzten ein Klimaticke­t und ein Pfandsyste­m für Plastikfla­schen durch. All das und viele weitere notwendige Vorhaben sollen nun einfach nicht umgesetzt werden? Das Wiederauff­lackern der Pandemie wird in einer Regierungs­krise oder einem schmutzige­n Wahlkampf einfach ignoriert? Das ist unvorstell­bar. Daher sollte Sebastian Kurz das tun, was für ihn zwar kurzfristi­g eine Niederlage, aber langfristi­g ein Erfolg sein kann: mit dem pragmatisc­hen Alexander Van der Bellen eine Möglichkei­t der De-facto-Karenzieru­ng mit Rückkehrga­rantie im Fall von Freisprüch­en ausschnaps­en. Justizmini­sterin Alma Zadic´ müsste dafür sorgen, dass Ermittlung­en und Prozess zügig vorangehen und nicht Jahre veranschla­gen. Die Volksparte­i unter einem Kanzler Wilfried Haslauer oder einer Kanzlerin Karoline Edtstadler würde die Regierung weiter mit den Grünen bis zur Klärung führen. Für Kurz wäre das kein Rücktritt, sondern ein Beiseitege­hen. Die Grünen sollten das leise begrüßen. Egal ob man der Meinung ist, Kurz würde das Land in Geiselhaft nehmen, oder die Meinung vertritt, seine Gegner würden das eben mit Kurz und dem ganzen Land machen: Österreich hat sich nach eineinhalb Jahren im Corona-Notmodus eine funktionie­rende Regierung verdient. » Die grüntürkis­e Regierung arbeitete teilweise besser als ihre Vorgänger. «

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