»Feiern ist ein Synonym für
Die Berlinerinnen Isabella Steiner und Katja Kauf bieten alkoholfreie Alternativen an und plädieren für einen bewussten Umgang mit Alkohol. Isabella Steiner im Gespräch über das Trinken.
Sie betreiben den ersten alkoholfreien Späti Berlins mit dazugehörigem Onlineshop. Welche Getränke gehen besonders gut? Isabella Steiner: Wir verkaufen viel alkoholfreien Weißwein, vor allem Riesling, oder Schaumwein. Im Sommer haben wir sehr viel alkoholfreien Aperol Spritz verkauft, der war die letzten drei Monate der Dauerbrenner.
Wie sieht es denn mit dem alkoholfreien Sortiment aus? Gibt es schon viele Getränke in einer alkoholfreien Variante? Grundsätzlich ist die Branche noch sehr klein und überschaubar. Es gibt noch sehr viel Luft nach oben. Aber für den Anfang sind echte Perlen darunter, sehr gute Produkte. Unser Aperol Spritz ist eins zu eins, das funktioniert alkoholfrei. Wir haben sehr guten Schaumwein, eine Gin-Alternative, die bei einer Blindverkostung standhalten kann.
Es gibt Produkte, die bei einer Blindverkostung nicht als alkoholfrei erkannt werden? Ja, die gibt es, beispielsweise die GinAlternative von Laori. Damit sind die Leute sehr glücklich.
Sie sagen, der Markt ist noch sehr klein. Woher kommen denn die meisten Produkte? Welche Länder sind besonders innovativ? Innovativ sind sicherlich UK und die Niederlande. Wir haben 65 Prozent unseres Sortiments aus Deutschland und 35 Prozent aus dem Ausland. Wir schauen natürlich auch, was Frankreich macht, haben viel aus UK, den Niederlanden, Slowenien. In Summe haben wir 200 Alternativen, in der Wintersaison kommen wieder neue dazu.
Gibt es Länder, die Vorreiter bei alkoholfreien
Mindful Drinking.
Nüchtern, happy, katerfrei – mit Genuss zum gesunden Maß. Isabella Steiner und Katja Kauf, Knesebeck, 240 Seiten, € 25,70 Die Autorinnen plädieren für einen reflektierten Umgang mit Alkohol und zeigen Alternativen auf, mit Cocktailrezepten. www.nuechtern.berlin Produkten sind?
Der Trend Mindful Drinking kommt definitiv aus den USA und UK, die waren bei Health-&-Beauty-Trends schon immer früher dran. Allerdings ist der Trend in den USA und UK aus der Suchtproblematik heraus entstanden. Wir schließen das nicht aus, können und wollen das auch gar nicht. Aber unser Ziel ist es, alkoholfrei in der Gesellschaft salonfähig zu machen. Wir haben uns überlegt: Wie würden wir denn alkoholfrei kaufen und trinken wollen? Denn alkoholfrei wird ja heute gleichgesetzt mit langweilig, Rhabarberschorle oder Wasser. Das hat ja relativ wenig mit Genuss zu tun, es ist eher in der kindlichen Sparte drinnen. Wir wollen alkoholfrei cool machen.
Wer ist die Zielgruppe? Wer fragt alkoholfreie Getränke besonders stark nach?
Wir dachten immer, dass wir selber die Zielgruppe sind – und merkten nach drei Monaten, dass das ein Trugschluss war. Die Zielgruppe startet bei 18 Jahren und hört bei 90 auf. Es gibt viele gute Gründe, nicht zu trinken. Es geht ja auch nicht darum, abstinent zu leben, es geht darum, seine Alternativen zu kennen. Wir hören oft: „Jetzt haben endlich die Mütter was zu saufen.“Aber das ist nur ein Teil unserer Zielgruppe. Viele Leute, besonders seit Corona, haben ein Gesundheitsbewusstsein entwickelt. Mindfulness, Yoga, gesunde Ernährung, all das ist schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber es hört ab 18 Uhr auf. Und genau da setzen wir an.
Wie ist es mit dem Generationenunterschied? Sind die Jungen aufgeschlossener? Unser Kern ist 40 bis 65 Jahre alt. Wir dachten auch immer, es sind die 30-Jährigen und darunter, aber es ist de facto nicht so. Wir haben zwar auch viele junge Leute da, aber grundsätzlich sind die meisten 40 bis 65.
Was sind deren Motive?
Viele können nicht mehr trinken, viele wollen nicht mehr trinken, viele suchen eine Alternative für unter der Woche. Häufig kommt auch: „Es schmeckt einfach nicht“, dazu kommen Schwangerschaft und Stillzeit. Oder auch aus Genussgründen, das ist ja auch interessant. Zum Beispiel bei einer Sterneküche, wo es viele Gänge mit Weinbegleitung gibt, da sind dann nach dem siebten Gang alle schon betrunken, und es ist eigentlich egal, was auf dem Teller landet. Viele wollen dann eine alkoholfreie Begleitung oder eine Mischung aus Alkohol und alkoholfrei.
Nochmal zu den Produkten: Wird meist das alkoholische Original nachgemacht, oder existieren auch eigene neue Getränke, die es mit Alkohol so nicht gibt?
Das Ziel ist häufig schon, dass es schmeckt wie das Original. Das ist auch oft der Wunsch, was ich absolut nachvollziehen kann. Es gibt mittlerweile eigene Sparten, die nennen sich Botanicals. Das ist eine neue Kategorie. Es ist kein Wodka, kein Gin, kein
Rum, sondern einfach Botanicals, Destillate mit Kräutern, Gewürzen, Wurzeln, mit
eichwertiges Getränk, meint Isabella Steiner. verschiedenen Aromen. Das sind aber keine Einsteigerprodukte, weil die Leute häufig eine Idee haben, wie etwa zu schmecken hat. Die Botanicals sind eher etwas für den erfahrenen Mindful Drinker, anstatt für Leute, die das einmal testen wollen. Da ist die Enttäuschung relativ groß, weil es nicht zuordenbar ist. Wir sind ja auch im Premiumsegment, die Produkte sind nicht günstig. Wenn man ein Botanical um 30 Euro kauft, dann hat man eine Erwartungshaltung, und die sollte erfüllt werden. Bei Botanicals ist es schwierig, wenn erwartet wird, dass es wie Gin schmeckt, das verstehen viele nicht.
Alkohol ist ja auch ein Geschmacksträger. Ist es schwieriger, solche Produkte zu produzieren?
Definitiv, das ist wahnsinnig schwierig, und viele fragen sich, warum es denn so teuer ist, da ist ja kein Alkohol drinnen. Viele vergessen, dass im Prinzip davor ein Designprozess stattfindet. Man muss das ja erst kreieren, dass es geschmacklich in die Nähe des Originals kommt. Oder man muss im Nachhinein Alkohol entziehen. Es sind ein paar Schritte mehr als sonst. Es braucht auch Zeit, das zu entwickeln.
Ja, natürlich, der Rausch fällt weg. Aber ich muss sagen, dass ich mich nach dem dritten Glas alkoholfreien Weins auch ein bisschen betüdelt fühle. Vielen Leuten geht es auch darum, ein hochwertiges und gleichwertiges Getränk im Glas zu haben, und das funktioniert schon.
Das Drumherum ist ja auch wichtig.
Ja, das ist ja das Wichtige. Trinken ist die eine Sache, aber dadurch wertet man ja auch einen Moment auf. Man kann ja auch so weit gehen, zu sagen, Feiern ist ein Synonym für Alkohol. Es geht ja gar nicht mehr ohne. Und da dann etwas Gleichwertiges im Glas zu haben ist Gold wert. Es gibt ja in Berlin schon die eine oder andere Sober Party, auch in Städten wie New York. Aber es ist noch ein langer Weg.
Alkohol ist ja auch Teil unserer Kultur.
Das ist definitiv ein Kulturthema. Trinken ist fest verankert in unserer Kultur. Es gibt fast keine Situation, in der man nicht trinkt, schon gar nicht in Berlin.
Ändert sich das schön langsam?
Daran arbeiten wir. Ich denke, alkoholfrei ist das neue vegan. Ich hoffe nur nicht, dass das so lang dauert. Aber es ist definitiv ein Prozess.
Vegan ist aber auch schon länger da.
Bei uns in Berlin ist das Standard, aber geht man 100 Kilometer weiter, kräht kein Hahn danach. Aber vegan hat auch seine acht, neun Jahre gebraucht, bis es angekommen ist, auch im Lebensmittelhandel.
Was war eigentlich ausschlaggebend für die Gründung des Spätis, die ja während der Pandemie erfolgte?
Ich habe Soziologie studiert und mich immer für gesellschaftliche Trends interessiert. Man konnte das 2015 schon am Horizont sehen. Damals habe ich festgestellt, dass das eben mit diesem Suchtbackground gehandhabt wurde. Das war ein unglückliches Thema, davon wollte keiner was hören. Und wenn man darüber spricht, heißt es: Ja, ich trinke ja nur ein Glas am Abend. Aber das ist eigentlich nicht die Wahrheit, wenn man ehrlich zu sich selbst ist. Ich bin 2015 nach Berlin gekommen und habe statt Kalorien Kater gezählt. Und ich war fasziniert, dass es so viele sind, in den unterschiedlichsten Bereichen, privat oder beruflich. In Berlin ist trinken zu jeder Tageszeit die absolute Norm. Alkohol ist die Norm geworden, und alkoholfrei ist so unnormal. Die Leute trauen sich gar nicht, einen Drink abzulehnen, was eigentlich verrückt ist. Ich hab dann meine Geschäftspartnerin kennengelernt und gemeint: Alkoholfrei ist eigentlich wie ein weißes Blatt Papier, da können wir drauf schreiben. Wir selbst haben immer gern getrunken und auch viel. Und die Frage war: Was trinken wir eigentlich, wenn wir nicht trinken? Das ist die Leitfrage, die uns begleitet, und wir beantworten die in Form eines Spätis, eines Buchs und eines Onlineshops.
Wie hat sich Ihr Trinkverhalten verändert? Ich kann mich noch gut an den epischen Kater vor zwei Wochen erinnern, den muss ich nicht mehr wiederholen, der reicht dann auch für dieses Jahr. Katja und ich sind mittlerweile Mindful Drinker geworden. Wir haben fünf Fragen: Was, mit wem, warum, wann und wie viel trinken wir? Das hilft im Prinzip, seinen Alkoholkonsum zu verstehen. Wir trinken schon deutlich weniger, und wenn wir trinken, ist uns bewusst, welche Konsequenzen das hat. Ein Kater wird ja sehr oft glorifiziert, viele geben damit an. Das klingt jetzt vielleicht radikal, aber es ist leider so, dass wir uns freiwillig krank machen. Kater ist eigentlich krank sein. Kopfschmerzen, Erbrechen, das sind klare Symptome fürs Kranksein. Wir sind da wie in einem Autopilot drinnen, es ist da auch wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten und diesen Autopiloten zu hinterfragen.
Wie hat sich das gesellschaftliche Bewusstsein seit 2015 gewandelt?
Am 11. November haben wir unser EinJahr-Jubiläum, wir wachsen jeden Monat, und die Nachfrage steigt. Es gibt durch die Bank positives Feedback, auch von denen, die gern trinken. Wir trinken ja auch noch gern, wir sind nicht dogmatisch. Aber wir kennen die Alternative, und uns ist bewusst, wie wir trinken. Wir werden auch in München und in Hamburg demnächst ein Geschäft aufmachen, vorerst mit einem Pop-up und nächstes Jahr dann richtig.
Ist in Österreich auch etwas geplant?
Ja, das ist aber noch nicht in trockenen Tüchern, aber Wien haben wir auf dem Schirm. Wir starten mit der Investorensuche, wenn wir das geregelt haben, ist Wien nur noch eine Frage der Zeit.