Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
„Liquidierung des Privaten“. Chat-Leaks braucht es für eine effiziente Strafverfolgung nicht. Warum spricht niemand laut über den Schaden, den sie am Rechtsstaat anrichten?
Das Recht auf Privatsphäre ist elementar. Milan Kundera, Opfer des Kommunismus, lässt im Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“die Protagonistin Sabina sinnieren: „Wer seine Intimität verliert, der hat alles verloren. Und wer freiwillig darauf verzichtet, der ist ein Monstrum.“Und Teresa, deren schreckliche Mutter einst „der lachenden Familie aus ihrem Tagebuch vorlas“, wendet sogar den stärksten Begriff darauf an: „Wenn ein Privatgespräch bei einem Glas Wein öffentlich im Radio gesendet wird, was heißt das anderes, als dass die Welt sich in ein Konzentrationslager verwandelt hat?“Denn „Konzentrationslager bedeutet: Liquidierung des Privaten.“
Die Wortwahl mag zu drastisch sein. Aber mich hat als einfachen Bürger an den innenpolitischen Vorgängen der vergangenen Monate nicht nur beunruhigt, dass der Bundeskanzler an der Bestellung des Verstaatlichtenchefs beteiligt gewesen sein könnte oder dass Politiker Steuergelder für ihre Karriere eingesetzt haben könnten (gilt dafür noch die Unschuldsvermutung?). Sondern auch, wie leicht man öffentlich entblößt werden kann. Auch wenn es vorerst nur Politiker trifft, deren Privatsphäre man durch das Leaken und ausführliche Zitieren von Chatprotokollen liquidiert.
Der Rechtsstaat ist für uns Normalbürger der Garant unserer Freiheit. Er verhilft uns auch gegen die Mächtigen zu unserem Recht. Was aber, wenn wir erleben, dass einzelne Protagonisten des Rechtsstaates im Umfeld von Staatsanwaltschaften und Untersuchungsausschüssen selbst zu den Mächtigen gehören? Die das Gesetz ungestraft in die eigene Hand nehmen, wenn es um die Weitergabe vertraulicher Untersuchungsfunde geht? Auf wie viel Respekt kann ein Rechtssystem hoffen, das beginnt, den Unterworfenen gegenüber respektlos zu sein?
Im Frühling gab es noch nachdenkliche Kommentare in den Medien. Mittlerweile nimmt man die Praxis für selbstverständlich. Das Burgtheater inszeniert sogar eine szenische Lesung von Chatprotokollen. Hier geht es nicht mehr um Kontrolle der Macht oder Strafverfolgung. Die funktionieren auch ohne Enthüllung von Persönlichem. Es geht wohl darum, der Öffentlichkeit die Würdelosigkeit eines „Systems“zu dokumentieren. Aber muss das sein, indem man die Beteiligten würdelos macht? Und sagen Sie bitte nicht: Politiker müssten sich so etwas eben gefallen lassen. Erstens haben wir keine Garantie, dass es nur Politiker treffen wird. Und zweitens graut mir vor einer Politik, die nur noch von Menschen betrieben wird, die freiwillig auf ihre Intimität verzichten, von Monstern.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.