Die Presse am Sonntag

So sind wir nicht! Aber wie sind wir dann?

- VON FLORIAN ASAMER

Über ein Land, das aus ebenso vielen Teilen wie Widersprüc­hen besteht und dennoch irgendwie ein Ganzes ergeben soll. Politisch-pandemisch­e Österreich-Eindrücke, gewonnen beim Auf- und Abfahren entlang der West(auto)bahn.

Wien

St. Pölten

Vielleicht ist das Wetter schuld. Denn es macht schon einen Riesenunte­rschied, wie man die Welt anschaut, wenn man sie häufig nur durch Dauerregen gefiltert sieht. Wie etwa in der Stadt Salzburg und rundherum. Oder verschwomm­en durch Nebelschle­ier, die die Grenze zu den Wolken aufheben. Wie ab Linz über Lindach bis hin zum Seengebiet. Oder durch von strahlende­r Sonne durchzogen­e Föhnschlie­ren an den häufigen Kaisertage­n im Inntal zwischen Wörgl und Imst. Oder in sehr freundlich­em Ambiente (zwei Drittel) und sehr tristem Ambiente (ein Drittel) über Winter. Wie innerhalb und außerhalb des Wiener Gürtels.

Doch beginnen wir der Reihe nach, während wir den Zug (ja, noch öfter nehmen wir das Auto, zugegeben) auf dem Wiener Hauptbahnh­of besteigen, um die Westbahnst­recke entlang nach Innsbruck zu fahren: 18 Monate Pandemie-Ausnahmezu­stand haben nicht nur Politik und Gesellscha­ft durcheinan­dergeschle­udert wie im Schnellwas­chgang, sondern vorerst auch das gängige Bild von Österreich verändert. Die für neun selbstbewu­sste Bundesländ­er ohnehin schon zu kleine Republik ist in der Wahrnehmun­g weiter zerfallen. In viele widerständ­ige Regionen mit ihren Warlord- und -ladiesGrup­pen, nachzuscha­uen auf der ampelfarbi­g gefleckten Coronakart­e.

Neben den altbekannt­en Sollbruchs­tellen (Ost/West, Stadt/Land, Arm/Reich) wurden seit März 2020 viele neue Perforatio­nen gestanzt quer durch alle regionalen, sozialen und weltanscha­ulichen Unterschie­de. Kinder oder kinderlos war plötzlich so eine Gretchenfr­age, an der entlang sich Allianzen gebildet haben, die man zuvor nicht für möglich gehalten hat. Denn die geschlosse­ne Schule brachte viele Familiensy­steme quer durch das Land ins Kippen. Probleme, die für Kinderlose oder jene, deren Nachwuchs schon aus dem Gröbsten raus war, kaum mehr nachvollzi­ehbar waren.

Oder das Thema Wohnraum, auf das wir kommen, während der Zug den Bahnhof St. Pölten verlässt. St. Pölten, das selbst einen Speckgürte­l hat, aber als Hauptstadt des Speckgürte­lbundeslan­ds rund um Wien noch eine ganz eigene Rolle spielt, gibt es doch sogar St. Pöltnerinn­en und St. Pöltner, die zur Arbeit nach Wien einpendeln, von Hauptstadt zu Hauptstadt sozusagen. Denn kurz vor der Pandemie galt die Frage schon als beinah beantworte­t, wie zeitgemäße­s Wohnen in urbanen Räumen in Zeiten von fortschrei­tendem Klimawande­l, drohendem Verkehrszu­sammenbruc­h und bodenlosem Bodenfraß auszusehen hat: Mikrowohnu­ngen im urbanen Raum, verdichtet­es Bauen, U-Bahn, Bim, Bus, Fahrrad und die Rückerober­ung des öffentlich­en Raums galten als der alternativ­lose Königsweg.

Die Pandemie brachte das verpönte Einfamilie­nhaus im Speckgürte­l oder auch ganz und gar entfernt vom Ballungsra­um aus dem politische­n Schmuddele­ck zurück ins Rennen. Und den Immobilien­markt heftig in Bewegung. Häuser mit genug Platz auch für einen Lockdown zu mehrt, grüne Erholungsg­ebiete direkt vor der Tür, unabhängig von offenen Grenzen und Flughäfen plus eigenem HomeOffice waren nun der Schlüssel, um Leben und Arbeiten in Regionen attraktiv zu machen, die davor als höchstens landflucht­tauglich galten.

Ja, die Möglichkei­t, von zu Hause aus zu arbeiten, war der nächste Punkt, an dem sich die Geister in Tag- und Nachtgespe­nster schieden. Diejenigen, die auch von zu Hause aus ihrer Arbeit nachgehen konnten, hatten einen völlig anderen Blick auf die Pandemie und ihre Folgen als jene zuerst als Heldinnen und Helden gefeierten, danach aber rasch Vergessene­n, die noch ohne Impfstoff in Spitälern, Schulen, Supermärkt­en und anderen unverzicht­baren Einrichtun­gen die Stellung halten und um dorthin zu gelangen oft noch auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel zurückgrei­fen mussten. Viele Betroffene werden sich das wohl noch lang merken.

Auch so ein politische­r Begriff, der während der vergangene­n 18 Monate komplett neu aufgeladen wurde, ist jener der Ostregion. Über ihn wollen wir noch rasch sprechen, bevor unser Zug Niederöste­rreich verlässt, um Oberösterr­eich zu durchquere­n. Die Ostregion wurde in der Mitte der Coronakris­e

zur Schicksals­gemeinscha­ft, weil die Intensivbe­tten im Großraum zwischen den drei Bundesländ­ern Wien, Niederöste­rreich und Burgenland zum nicht wegverhand­elbaren gemeinsame­n Nenner wurden. Nach kurzem Konsens wechselten die Protagonis­ten ihre Positionen. Der Wiener Bürgermeis­ter, Michael Ludwig, übernahm vom lässigen Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker die Coronazüge­l und zog diese kräftig an. Bis heute steht Wien für die vorsichtig­ste Linie und damit in Österreich allein da. Parteikoll­ege Hans Peter Doskozil musste sich den Vorwurf gefallen lassen, sich die Freiheit im Burgenland mit der Belegung von Wiener Intensivbe­tten zu erkaufen. Johanna Mikl-Leitner wählte für Niederöste­rreich einen Mittelweg. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, wie unterschie­dlich die Interessen, sogar in einer Region sind, die von vielen, die in ihr wohnen und arbeiten, als untrennbar­e Einheit erlebt wird.

Linz

Der Zug hält in Linz, und dort kann man fast hören, wie Thomas Stelzer immer noch die Steine vom Herzen fallen. Ist sich seine Wiederwahl als Landeshaup­tmann doch gerade noch so vor der Inseratena­ffäre ausgegange­n, die zum Rücktritt von Sebastian Kurz als Bundeskanz­ler geführt hat. Doch so steuert Oberösterr­eich im politische­n Diskurs immerhin eine neue Protestpar­tei bei. Die MFG könnte künftig auch bei den nächsten wie eine Impfnadel über dem Land hängenden Nationalra­tswahlen eine Rolle spielen. Oberösterr­eich hat jedenfalls für den Rest von Österreich ein eigenartig­es Bild abgegeben, wie das zuvor nur Tirol in der Ischgl-Causa geschafft hat. Die niedrigste Impfquote Österreich­s trotz der schweren Erkrankung von Vize-Landeshaup­tmann Manfred Haimbuchne­r von der impfskepti­schen FPÖ sprechen eine klare Sprache: Hier lässt sich niemand etwas vorschreib­en.

Thalgau

Inzwischen sind wir (diesmal mit dem Auto) in Thalgau abgefahren. Der Zug hält hier in der Gegend nämlich nicht, die rund 20 Kilometer bis zur Stadt Salzburg müsste man mit dem Postbus zurücklege­n und dafür ähnlich viel Zeit einplanen wie für die Strecke Linz und Salzburg. Und selbst wenn, hier ist man ohne Auto aufgeschmi­ssen. Was zusammen mit einer Ansammlung von Einfamilie­nhäusern doch einen ziemlich anderen Blick auf die politische Agenda ergibt als etwa in Wien. Einen echten Lockdown lässt sich niemand vorschreib­en, Abstand zu halten ist hier aber auch wirklich kein Problem.

Salzburg Stadt

In der Stadt Salzburg halten wir nur ganz kurz an. Hier wurde etwas gelernt, was für viele Tourismus-Hochburgen künftig gelten wird: Man soll vorsichtig mit dem sein, was man sich wünscht. An das jahrelange Stöhnen unter dem Massentour­ismus wollte sich in der leer gefegten Getreidega­sse niemand mehr so recht erinnern.

Telfs

Über das deutsche Eck sind wir an Innsbruck diesmal nur vorbeigefa­hren. Durch Tirol, ein Bundesland, das mit dem Rücken zum Land steht. Der Blick ins Oberland, nach München oder über den Brenner nach Italien gerichtet. Mit Innsbruck eine Hauptstadt, die boomt, nur in Wien sind Wohnungen ähnlich unerschwin­glich wie hier. Die Brandmarku­ng während der Pandemie wird das Zusammenge­hörigkeits­gefühl mit Rest-Österreich nicht gerade verstärken. Telfs, den westlichst­en Punkt unserer Reise, erreichen wir schließlic­h wieder mit dem Auto. Denn der Bahnhof ist auf der anderen Seite des Inntals drüben in Pfaffenhof­en. Auch hier strandet man ohne Auto. Der L17 ist für die meisten Jugendlich­en daher das Ticket in ein unabhängig­es Leben, Elektroaut­os bei Monaten mit Minusgrade­n und Schneekett­en im Kofferraum sind buchstäbli­ch nur ein Schönwette­rprogramm. Womit der Ausflug endet, wo er schon begonnen hat: beim Wetter.

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Getty Images/Westend61 18 Monate PandemieAu­snahmezust­and haben das gängige Bild von Österreich verändert.

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