Wie die tote Grenze wieder zum Leben fand
1956, 1989 und 2015: Europa schaute auf die östliche Grenze des Burgenlands.
„Wenn es nach mir ginge – das Wort Grenze müsste abgeschafft werden. Warum können Menschen nicht nebeneinander ohne Grenze leben? Ich weiß, das ist sicher ein Ideal, aber wenn Sie wüssten, was man aufgrund einer Grenze leiden kann, wie die Grenze der Grund dafür war, dass viele Menschen ihr Leben verloren haben, wie viel Leid und Kummer diese Grenze gebracht hat.“Derjenige, der sich das Ideal eines
Landes ohne Grenze wünschte, war der 1938 geborene Ungar Miha´lyi
Horva´th. Sein Geburtsort,
Felso˝csata´r, liegt einen Kilometer östlich der Staatsgrenze an der Pinka. Heute kann man hier grenzenlos Rad fahren, ein Museum des Eisernen Vorhangs besuchen und sich über die Reste der alten ungarischen Wachtürme wundern. Die Zeit, als das Burgenland an einer toten Grenze gelegen ist, scheint fern.
Wie ein Fokus europäischer Geschichte mutet dieser Landstreifen an. Sein Schicksal weist seit hundert Jahren fast immer Parallelen
zu den großen Entwicklungen in Europa auf. Die wichtigsten Zäsuren des Bundeslands hängen zusammen mit dieser östlichen Grenze, ihrer Qualität und ihrer Durchlässigkeit. Hier war in der Monarchie eine Binnengrenze, die kaum als Grenze empfunden wurde, und nach 1918 eine Staatsgrenze. Die war aber durchlässig, ganz selbstverständlich gingen die Burgenländer auf ihre Äcker oder auf die Kirtage in den Nachbardörfern.
Eine rein ethnische Abgrenzung war bei dem mehrsprachigen Gemisch ohnehin nicht zu machen. Die Identitäten hier waren fließend. Diese Diskrepanz zwischen Zugehörigkeitsgefühl und realer staatlicher Grenzziehung: Das zog sich quer durch Europa. Was nach 1945 passierte, die Zerstörung des jahrhundertealten Miteinanders, war ein Schock für die Bevölkerung. Nun lebte sie an einer geschlossenen, ideologischen Grenze, einem Teil des Eisernen Vorhangs, 41 Jahre lang. Ein großes Aufflackern von Freiheitsgefühlen,
die Ungarische Revolution von 1956, führte zu einer Massenflucht nach Österreich. Die Brücke von Andau wurde zum Symbolort.
1989 war aus der ungarischen KP eine andere Partei geworden. Stacheldraht und freie Marktwirtschaft – das ging nicht mehr. Am 2. Mai 1989 begann der Abriss, die offizielle Durchtrennung des Zauns – ein internationales Medienereignis. Bei der Flucht von DDR-Bürgern bewährte sich wie 1956 das große Herz der Burgenländer. Nach dem Fall der toten Grenze stellte sich bald ein anderes Problem: Wie bekommt man die grüne Grenze in den Griff? Die Zahl illegaler Übertritte führt zu stark emotionalisierten Debatten über die Flüchtlingsströme. Fehlerlos soll die Politik agieren, das Sicherheitsbedürfnis stärken, schützen und abweisen können, aber doch mit Herz das alles. Ein souverän agierender Landespolizeidirektor wurde durch sein Krisenmanagement 2015 plötzlich im Land populär und Landeshauptmann. Hans Peter Doskozils Karriere ist gemacht von der Grenze.