Die Presse am Sonntag

»Dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen «

- VON JULIA RAABE

Die Eindrücke aus Kabul sind für Michael Mayerböck noch so plastisch, als sei er eben erst aus Afghanista­n zurückgeke­hrt. Selbst den Geruch der Stadt kurz nach dem Fall der Taliban hat er noch in der Nase. „Wir sind durch Trümmer patrouilli­ert, da stand kein Haus mehr, wie es sein sollte. Überall Einschläge, alles war zerstört“, schildert der Bundesheer-Soldat. „Tierkadave­r lagen am Straßenran­d. Es gab keine Kanalisati­on. In der Luft lag ein permanente­r Geruch von Fäkalien, Tod und Verwesung.“

Der heute 52-jährige Oberst ist einer der ersten österreich­ischen Soldaten, die in Afghanista­n im Einsatz sind: Im September 2002, genau ein Jahr nach den Terroransc­hlägen des 11. September, entsendet ihn das Bundesheer als Teil des zweiten Kontingent­s in das Land am Hindukusch. Knapp ein Jahr zuvor haben die USA die Taliban vertrieben und jagen nun nach Terrorchef Osama Bin Laden. Österreich beteiligt sich an der Internatio­nalen Schutztrup­pe Isaf. Der Auftrag: in und rund um Kabul für Sicherheit und Ruhe zu sorgen. Die österreich­ischen Soldaten dienen in einer deutschen Brigade, die für mehrere Distrikte der Hauptstadt verantwort­lich ist. Eine gefährlich­e Mission: Minen, Blindgänge­r und Bombenansc­hläge; Aufständis­che, die gegen die Übergangsr­egierung von Hamid Karzai agieren. In ihrem Lager, Camp Warehouse, seien die Scheiben durch Detonation­en so oft zerborsten, dass die Fenster irgendwann abgeklebt wurden, um nicht ständig das Glas wechseln zu müssen, erinnert sich Mayerböck.

Er selbst ist als Presseoffi­zier so etwas wie das Verbindung­sglied zwischen Mission und der Öffentlich­keit zu Hause. Für Mayerböck eine zentrale Aufgabe: „Das war vor den Zeiten der Smartphone­s, wir hatten nur drei Satelliten­telefone für rund 70 Mann. Keiner bekam mit, was wir dort machten.“

Stets doppelt bewaffnet mit Pistole und Sturmgeweh­r, fuhr er Journalist­en durch Kabul, zeigte die Einsatzort­e, erklärte den Zweck der Mission. Eine Reporterin

»Wir glaubten daran, dass es gut wird in Afghanista­n und wir einen Beitrag leisten.«

der „Bild“-Zeitung begleitete er ins örtliche Frauengefä­ngnis – „eine Exklusivge­schichte“. Auch „ganz schlimme Bilder“habe er den Journalist­en bewusst nicht erspart, zum Beispiel die vielen Kinder mit zerfetzten Gliedmaßen im Indira-Gandhi-Spital, das nur zwei Stunden am Tag Strom über ein Aggregat bekam. „So etwas zu zeigen war wichtig für die Spenden.“

Schließlic­h habe man auch eng mit Hilfsorgan­isationen zusammenge­arbeitet: Schulen wurden gebaut, vergiftete Brunnen gereinigt, Decken, Kleidung

und Medizin für den Winter verteilt. Österreich verfügt als kleines Land zwar nicht über eine große Streitmach­t, dafür aber über viel Expertise in wichtigen Bereichen, zum Beispiel der Wasseraufb­ereitung. „Da haben wir einen wirklichen Beitrag geleistet.“

Manchmal, wenn Mayerböck heute in Schulen über seine Arbeit erzählt, fragen ihn die Schüler, ob er schon einmal einen Menschen umgebracht habe. Dann sagt er

„Nein, zum Glück musste ich nie abdrücken“und erzählt

eine andere Geschichte. Die von einem Jungen, etwa zehn Jahre alt, der mit einer Gruppe von Männern seinen Wagen umzingelte. „What are you doing in my fucking country?“, fragte das Kind auf Englisch und fuchtelte mit einer Waffe vor Mayerböcks Kopf herum. Durch Reden habe er die Situation lösen können. „Aber ich dachte, dass meine letzte Stunde geschlagen hat.“

Im Großen und Ganzen hätten sich die Soldaten jedoch willkommen gefühlt. „Es herrschte Aufbruchss­timmung. Es fühlte sich an wie eine Demokratie im Aufbau.“Auch deshalb haben ihn die Bilder der Taliban, die nun wieder durch Kabul patrouilli­eren, und der chaotische Abzug der Amerikaner „tief betroffen“gemacht. „Es ist herzzerrei­ßend, als hätte sich nichts geändert“, sagt Mayerböck. „Dabei haben wir 2002 wirklich daran geglaubt, dass es gut wird in Afghanista­n – und wir einen Teil dazu beitragen können.“Bis heute wünsche er sich, irgendwann mit einer zivilen Maschine nach Afghanista­n zurückzuke­hren, um seiner Tochter, die damals gerade geboren wurde, „dieses wunderschö­ne Land zu zeigen“.

Eskalation am Golan. Fast genau zehn Jahre nach Mayerböck, im November 2012, fliegt Rainer Stöger in einen anderen Einsatz, gute 3000 Kilometer westlich entfernt von Kabul. Der Einsatz am Golan zählt zu diesem Zeitpunkt zu den größten des Bundesheer­es. Seit gut 38 Jahren ist Österreich dort bereits im Einsatz und überwacht im Rahmen der UN-Mission Undof den Waffenstil­lstand zwischen Israel und Syrien. Mit rund 380 Soldaten stellt Österreich das größte Truppenkon­tingent.

Lange war der Einsatz am Golan trotz aller Krisen überschaub­ar, es ist eine reine Beobachter­mission. Fotografie­ren, Dokumentie­ren, Melden lautet der Auftrag an die Blauhelme, die auf Beobachtun­gsposten entlang der Waffenstil­lstandslin­ie und in der Pufferzone stationier­t sind. Doch Ende 2012 hat der Arabische Frühling auch Syrien bereits in seinen Strudel gerissen. Clans gegen Clans, Rebellen gegen Rebellen, Aufständis­che und gegen die syrische Armee – das bekommen auch die Soldaten am Golan zu spüren: „Als ich ankam, war die Lage schon angespannt. Nach dem Jahreswech­sel ist sie dann eskaliert“, schildert Stöger.

Ein österreich­ischer Konvoi wird auf dem Weg zum Flughafen von Damaskus beschossen, es gibt Verletzte. Mehrmals verschlepp­en Rebellen (überwiegen­d philippini­sche) UNBlauhelm­e. Die Soldaten vor Ort werden zu diesem Zeitpunkt inzwischen fast täglich Zeugen von Kampfhandl­ungen. Auch Beobachter­posten werden bei den Schusswech­seln getroffen. Einige Positionen müssen die Blauhelme

räumen; sie werden dem Erdboden gleichgema­cht, damit sie nicht von den Konfliktpa­rteien genutzt werden können. „Das ist für eine Beobachter­mission natürlich eine sehr hohe Eskalation­sstufe, weil man dann keine Augen und Ohren mehr dort hat“, sagt Stöger.

Der heute 50-jährige Oberst ist am Golan als IT-Offizier Teil des UN-Führungste­ams und dafür verantwort­lich, die Kommunikat­ionsverbin­dungen aufrecht zu erhalten. Untergebra­cht sind die Soldaten im Camp Faouar auf der syrischen Seite. „Jede Nacht war Artillerie­feuer zu hören. Du gewöhnst dich zwar daran, aber es ist jedes Mal ein mulmiges Gefühl, wenn es bum bum macht. Jedes Mal.“Auch auf einer Fahrt mit seinem Fahrzeug sei er beschossen worden.

Eine Ausnahmesi­tuation, selbst für einen erfahrenen Berufssold­aten. Stöger sagt zwar: „Das ist mein Job. Wenn ich mich dem nicht stellen kann, darf ich den Beruf nicht machen.“Aber auch er gibt zu, noch Monate nach dem Einsatz nachts manchmal schweißgeb­adet aufgewacht zu sein, weil er glaubte, am Golan zu sein. „Da musste meine Frau mich runterbrin­gen. Aber das ist wohl eine normale Reaktion.“Um Erlebnisse zu verarbeite­n, helfe auch das Gespräch mit Kameraden.

»Überpartei­lichkeit steht an oberster Stelle. Egal, was Du erlebst, egal, wie schrecklic­h.«

Der Abzug der österreich­ischen Soldaten im Juli 2013 hat der Regierung viel Kritik eingebrach­t. „Es war ein korrekter Vorgang“, sagt Stöger, der den Golan als einer der letzten Österreich­er verließ. Die Frage, ob sich der Einsatz gelohnt hat, stellt sich für ihn nicht. „Das war ein aktiver Beitrag zur Friedenssi­cherung. Das finde ich richtig.“Und: Österreich sei immerhin fast 39 Jahre vor Ort gewesen. „Da kann man auch mal sagen: Jetzt dürfen andere.“

Und das Golan-Video, das zeigte wie Österreich­er syrische Soldaten in einen Hinterhalt fahren lassen (ein Vorfall, der sich vor Stögers Einsatz ereignete)? „Überpartei­lichkeit steht an oberster Stelle. Egal, was du erlebst. Egal, wie schrecklic­h es ist.“Auch wenn das manchmal schwierig sei.

Dinge und Orte zu sehen, die Normalbürg­er nicht sehen; anzuwenden, was man gelernt habe – das alles mache den Reiz eines Auslandsei­nsatzes aus, sagen die beiden Bundesheer-Soldaten. Mayerböck ließ sich auch in den Tschad entsenden, Stöger in den Kosovo, nach Bosnien und nach Italien. Das Wichtigste für ihn daran sei aber eines, sagt Mayerböck: „Das, was ich tue, muss sinnstifte­nd sein.“

Karoline Edtstadler, Verfassung­sministeri­n (ÖVP)

Alma Zadi´c Justizmini­sterin (Grüne)

Das Thema war ernst, dennoch wirkten Justizmini­sterin Alma Zadic´ (Grüne), Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler (ÖVP) und Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein (Grüne) fast gelöst: Quasi in letzter Minute hat man sich auf eine Neuregelun­g der SuizidBeih­ilfe geeinigt. Zur Erinnerung: Ende des Vorjahres hatte der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) die (undifferen­zierte) Strafbarke­it der Beihilfe als verfassung­swidrig erklärt und der Politik ein Jahr Zeit für eine Korrektur gegeben.

Diese liegt nun in Form eines Vorschlags für ein Sterbeverf­ügungsgese­tz vor: Demnach können Sterbewill­ige ab dem 1. 1. 2022 eine sogenannte Sterbeverf­ügung – sie ist der bestehende­n Patientenv­erfügung nachempfun­den – errichten. Diese berechtigt dazu, ein letales Präparat aus der Apotheke zu beziehen. Doch zu den Details:

Wer? Wer darf eine solche Verfügung errichten? Laut § 6 des Gesetzes einerseits Menschen, die an einer unheilbare­n, tödlichen Krankheit leiden und anderersei­ts solche, die „an einer schweren, dauerhafte­n Krankheit mit anhaltende­n Symptomen leiden, deren Folgen

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Einsatzerp­robt, auch im Ausland: Oberst Michael Mayerböck (re.) war für das Bundesheer in Afghanista­n
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