Die Presse am Sonntag

Der assistiert­e Suizid

- VON ULRIKE WEISER

Spät, aber doch hat sich die Koalition geeinigt. Ab 2022 können Schwerkran­ke via Sterbeverf­ügung ein letales Präparat aus der Apotheke beziehen. Davor durchläuft man einen längeren Aufklärung­sund Dokumentat­ionsprozes­s.

die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführ­ung dauerhaft beeinträch­tigen“. In beiden Fällen muss der Suizid als einziger Ausweg aus dem Leid empfunden werden.

Die Regelung ist damit strenger als das, was der VfGH ermöglicht hätte, geht aber weiter als der Vorschlag der Bioethikko­mmission aus 2015, der nur auf terminal Erkrankte abstellte und schwere, chronische Krankheite­n ausklammer­te. Auch psychische Erkrankung­en sind nun erfasst, sofern sie die Kriterien erfüllen und nicht die Entscheidu­ngsfähigke­it beeinfluss­en. Denn der Sterbewill­ige muss entscheidu­ngsfähig sein, weiters volljährig und Staatsbürg­er bzw. seinen gewöhnlich­en

Aufenthalt hier haben. Suizid-Tourismus will man nicht.

Wie? Um die Verfügung zu errichten, muss man einen Prozess durchlaufe­n. Zunächst braucht es eine Aufklärung durch zwei Ärzte, eine(r) muss eine Palliativa­usbildung haben. Sie sollen nicht nur über Alternativ­en zum Suizid reden, sondern auch die Krankheit und die Entscheidu­ngsfähigke­it bestätigen. Sollten an letzterer Zweifel bestehen, wird ein Psychiater oder Psychologe beigezogen. Dann folgt eine Art „Cooling off“-Phase von zwölf Wochen bzw. von zwei Wochen, wenn die Person nicht mehr lange zu leben hat. Danach wird beim Notar oder bei der Patientena­nwaltschaf­t die Sterbeverf­ügung, also das Dokument, errichtet. Das geht nur höchstpers­önlich (sprich: keine Vertretung). Die Verfügung wird in ein elektronis­ches Register eingetrage­n. Damit kann man sich dann das letale Präparat (z. B. Natrium-Pentobarbi­tal) aus der Apotheke holen oder holen lassen. In letzterem Fall muss die Person, die es holt, in der Verfügung genannt sein. Die Apotheken haben Einblick ins Register. Ungenützt verliert die Verfügung ein Jahr nach der Errichtung ihre Wirksamkei­t.

Und dann? Damit nicht die Grenze zur Tötung auf Verlangen überschrit­ten wird, muss der Sterbewill­ige das Präparat selbst einnehmen. Wer nicht schlucken kann, kann dies z. B. über eine Sonde tun. Aber auch hier muss der Betroffene selbst den Auslöser tätigen. Wichtig: Derjenige, der Beihilfe leistet (z. B. das Medikament besorgt, begleitet etc.) darf nicht derselbe sein, der aufgeklärt oder dokumentie­rt hat.

Was bleibt strafbar? Die Neuregelun­g greift nicht, wenn die Suizid-Beihilfe Minderjähr­ige betrifft, wenn der Helfer aus niedrigen Motiven (z. B. Habgier) handelt, die Betroffene­n nicht schwer krank sind oder nicht aufgeklärt wurden. Auch die Verleitung zum Suizid bleibt strafbar. Es ist zudem verboten, für Suizid-Assistenz zu werben (Hinweise sind Ärzten, Notaren, Apotheken aber möglich) oder damit Gewinn zu machen. Letzteres zielt vor allem auf Vereine ab, wobei gemeinnütz­ige Sterbehilf­e-Vereine legal wären. Begleitung zum Suizid ins Ausland ist erlaubt.

Probleme in der Praxis. Als Grundsatz wurde im Gesetz festgeschr­ieben, dass jegliche Hilfe und Dienstleis­tung freiwillig sein muss. Das betrifft auch Ärzte, Apotheken oder Notare. Niemand ist verpflicht­et, Hilfe oder Dienste anzubieten, umgekehrt darf niemand für Hilfsmaßna­hmen diskrimini­ert und benachteil­igt werden. Die Frage ist nun: Was bedeutet das für einen schwerkran­ken Sterbewill­igen, der bettlägrig in einem Pflegeheim auf dem Land untergebra­cht ist, dessen Heimleitun­g und Hausarzt nichts von Suizid-Beihilfe halten und der auch keine Verwandten hat, die ihn unterstütz­en wollen? Wie kann so jemand SuizidAssi­stenz in Anspruch nehmen? Oder kann er nicht?

Weisen wird sich auch erst, wie (unterschie­dlich) das Erforderni­s der schweren Erkrankung ausgelegt wird.

Demokratie­politisch unschön ist die kurze Begutachtu­ngsfrist von drei Wochen für ein so heikles Gesetz, auch wenn im Vorfeld viele Gruppen (Hospize, Patientena­nwaltschaf­t, etc.) schon gehört wurden. Damit das Gesetz rechtzeiti­g mit der Aufhebung der alten Regelung mit 1.1.2022 in Kraft tritt, muss es Mitte Dezember im Nationalra­t (einfache Mehrheit genügt) beschlosse­n werden.

Begleitmaß­nahmen. Das neue Gesetz wurde zum Anlass genommen, den lange versproche­nen Ausbau der Hospizund Palliativv­ersorgung nachzuhole­n. Ab 2022 stellt der Bund den Ländern jährlich (via Fonds) einen Zuschuss zur Verfügung, es soll eine Drittelfin­anzierung durch Bund, Länder und Sozialvers­icherungst­räger sein. 2022 gibt der Bund 21 Mio. Euro, 2023 36 Mio. Euro, 2024 51 Mio. Euro. Schöpfen Länder und Gemeinden die Mittel aus, stünden 2024 insgesamt 153 Mio. Euro zur Verfügung. Aktuell gibt es sechs Mio. Euro pro Jahr.

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