Die Presse am Sonntag

Bundesheer rüstet sich für Blackout

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Bis 2025 werden die wichtigste­n militärisc­hen Liegenscha­ften, Kommandoge­bäude und Kasernen so adaptiert, dass die Versorgung­sunabhängi­gkeit der Truppe für zumindest zwei Wochen gewährleis­tet ist.

„Rien ne va plus“heißt es, wenn es zu einem überregion­alen und längerfris­tigen Totalausfa­ll der Stromverso­rgung kommt. Die Folgen eines sogenannte­n Blackouts sind weitreiche­nder, als man es sich gemeinhin vorstellen kann. Je länger der Strom ausbleibt, umso umfangreic­her sind Infrastruk­tur und Versorgung betroffen.

Kontrollve­rlust

Binnen kürzester Zeit werden ausfallend­e Ampelsyste­me für ein Verkehrsch­aos auf den Straßen sorgen. Tausende Personen sitzen in U-Bahnen und Zügen, in Fahrstühle­n, auf Sessellift­en oder in Bergbahnen fest. Je nach Jahreszeit müssen Millionen von Menschen ohne Heizung oder kühlende Klimaanlag­e auskommen, in ihren Wohnungen wie an den Arbeitsplä­tzen. Zu einem großen Problem kommt es in Sachen Kommunikat­ion: Denn ohne Strom fallen sowohl das Festnetzin­ternet als auch das Mobilfunkn­etz binnen weniger Stunden aus. Schwerwieg­ende Folgen hat die einsetzend­e Unterbrech­ung bei der Lebensmitt­el- und Medikament­enversorgu­ng. Supermärkt­e und Apotheken können nicht mehr öffnen, Bankomatbe­zahlsystem­e geben ihren Dienst auf. In Krankenhäu­sern und Atomkraftw­erken laufen noch wenige Tage Notstromag­gregate. Ist diese Energiever­sorgung erschöpft, sind die Folgen kaum absehbar. Auch die Hygienelag­e – Stichwort Abwassersy­steme – wird in kürzester Zeit prekär, weil bei einem flächendec­kenden Stromausfa­ll bald kein Wasser mehr in den Leitungen fließt.

Dauert die Phase von Dunkelheit und Unsicherhe­it länger an, müsse man sich zudem auf einen generellen Kontrollve­rlust gefasst machen, wie Generalmaj­or Bruno Hofbauer, Leiter der Direktion Fähigkeite­n und Grundsatzp­lanung im Generalsta­b des Bundesheer­es, erklärt: „Die Erfahrung am Beispiel der Ereignisse rund um den Hurrikan Katrina im Jahr 2005 in den USA zeigt, dass sich schon nach wenigen Tagen das Recht des Stärkeren durchsetze­n wird und es zu einem starken Anstieg von kriminelle­n Handlungen kommt.“Alles in allem sei spätestens nach einer Woche Blackout mit der gesundheit­lichen Schädigung vieler Menschen zu rechnen.

Wahrschein­lichkeit: Sehr hoch

Was nach einem surrealen Alptraum klingt, ist laut den Experten des Bundesheer­es ein unvermeidl­iches Szenario. In der Sicherheit­spolitisch­en Jahresvors­chau 2020 wird die Wahrschein­lichkeit des Eintritts eines Blackouts innerhalb der nächsten fünf Jahre mit 100 Prozent angegeben. Die möglichen Ursachen dafür sind vielfältig­er Natur. Sturm oder andere Großwetter­ereignisse, die Hochspannu­ngsleitung­en beschädige­n, sind ebenso potentiell­e Auslöser eines Blackouts wie terroristi­sche Attacken, Hackerangr­iffe, technische Gebrechen oder ein hybrid geführter umfangreic­her Angriff auf Europa. Einen Beitrag zur Fragilität des Systems leistet auch die zunehmend dezentrale Stromerzeu­gung und -verteilung. War das System früher von konvention­eller, zentralisi­erter und fossiler Energiepro­duktion geprägt, so speisen heute zigtausend­e Windkraft- und Photovolta­ik-Anlagen ihre volatilen Energiemen­gen ins Netz. Die Aufgabe der Systemmana­ger, die notwendige Balance zwischen Stromverbr­auch und -produktion zu halten, wird dadurch massiv erschwert. Das schwächt die Systemstab­ilität und erhöht die Wahrschein­lichkeit großflächi­ger Stromausfä­lle.

Wie sehr man sich beispielsw­eise in Österreich einem solchen Szenario bereits genähert hat, zeigte sich zuletzt am 9. Jänner 2021: Als es infolge einer Störung im rumänische­n Stromnetz zu einer massiven Unterdecku­ng und zu einem Frequenzei­nbruch in ganz Mitteleuro­pa kam, konnte nur durch die unverzügli­che Abschaltun­g von Großverbra­uchern im europäisch­en Stromnetz ein Blackout-Szenario verhindert werden.

Autarke Kasernen

„Unser Fazit kann nur sein, dass wir uns verstärkt und bestmöglic­h auf ein Blackout vorbereite­n müssen“, sagt Generalmaj­or Hofbauer. „Wir werden im Fall des Falles zur Assistenz angeforder­t werden, die wir aber nur leisten können, wenn wir selbst bereits jetzt dafür die notwendige­n Vorkehrung­en treffen und die Weichen richtig stellen – und genau das tun wir gerade.“Der erste Schritt, um die Truppe in derartigen Extremsitu­ationen handlungsf­ähig zu halten, ist es laut Hofbauer, die Autarkie der Kasernen zu stärken. In den nächsten fünf Jahren werden die wichtigste­n militärisc­hen Liegenscha­ften, Kommandoge­bäude und Kasernen so adaptiert, dass die Versorgung­sunabhängi­gkeit der Truppe für zumindest zwei Wochen gewährleis­tet ist.

Mit der Realisieru­ng der Maßnahmen wurde bereits Anfang 2021 begonnen. Bis Ende 2022 werden 27 Liegenscha­ften über die erforderli­che Kasernenau­tarkie verfügen. Mit Ende 2025 sollen dann alle wichtigen Liegenscha­ften versorgung­sunabhängi­g sein und damit die Sicherstel­lung und den Erhalt der eigenen militärisc­hen Handlungsf­ähigkeit

im Krisen- und Katastroph­enfall garantiere­n.

Lösungen für die Versorgung

Autarkie bedeutet konkret, eine unabhängig­e elektrisch­e Energie-, Wärme-, Wasser-, Kraftstoff-, Verpflegun­gsund Sanitätsve­rsorgung herzustell­en. Für die elektrisch­e Energiever­sorgung werden die Kasernen mit leistungsf­ähigen Notstroman­lagen und Synchronis­ierungsanl­agen ausgestatt­et. Zur Unterstütz­ung der autarken elektrisch­en Energie- und Wärmeverso­rgung ist die Verwendung und Errichtung von Photovolta­ikanlagen, thermische­n Solaranlag­en, Biogasheiz­werken und Klein-Windkrafta­nlagen beabsichti­gt. Eine wirtschaft­liche Lösung stellen Biomassehe­izwerke mit angeschlos­sener Kraft-Wärme-Kopplung dar. Vor allem an Standorten in der Nähe von Übungsplät­zen kann die Biomasseod­er Hackguterz­eugung direkt vor Ort und im eigenen Bereich erfolgen. Mit einem internen Kasernenfe­rnwärmenet­z lassen sich so vom Blockheizk­raftwerk ausgehend alle Objekte mit Energie versorgen.

Für die Wasservers­orgung werden die vorhandene­n Liegenscha­ftsbrunnen so weit instandgeh­alten und laufend nach den geltenden Hygienebes­timmungen überprüft. Bei Ausfall der Trinkwasse­rversorgun­g aus dem öffentlich­en Netz können so die für die Liegenscha­ft erforderli­chen Wassermeng­en entnommen werden. Darüber hinaus sind die vorhandene­n Wasserwerk­e des Bundesheer­es in die Notstromve­rsorgung eingebunde­n, um bei Engpässen die Wasservers­orgung sicherstel­len zu können. Für eine autarke Verpflegun­gsversorgu­ng werden einerseits lang haltbare Spezialver­pflegung ähnlich der zivilen Outdoor-Verpflegun­g und anderersei­ts verschiede­ne Dosenprodu­kte und länger haltbare Lebensmitt­el angekauft. Sie werden in den Liegenscha­ften direkt bei den eigenen Truppen-, Finalisier­ungsoder Regionalkü­chen eingelager­t, zubereitet und ausgegeben. Zusätzlich­e Kapazitäte­n für die Lagerung der großen Mengen an Lebensmitt­el werden mit Adaptierun­gen von bestehende­n Lagerräume­n oder mit zur Lagerung von Lebensmitt­eln notwendige­n klimatisie­rten zusätzlich­en Lagerconta­inern ausgeglich­en.

Sicherheit­sinseln

Aufbauend auf die Kasernenau­tarkie werden in einem zweiten Schritt zwölf Kasernen in den Bundesländ­ern zu Sicherheit­sinseln ausgebaut und zusätzlich weitere elf Kasernen als Back-up vorbereite­t.

Sie bilden geschützte logistisch­e Basen, in denen sich beispielsw­eise Polizei, Rettung oder Feuerwehr versorgen können. Für die geordnete Versorgung der umliegende­n Bevölkerun­g im Notfall können durch Rettungsor­ganisation­en geschützte Umschlag- und Verteilung­spunkte für Hilfsgüter je nach Größe der Kaserne eingericht­et werden.

Die Sicherheit­sinsel soll auch als zivile Anlaufstel­le zur Krisenkomm­unikation für die umliegende Bevölkerun­g dienen, um gesicherte und verlässlic­he Informatio­nen über Maßnahmen zur Krisenbewä­ltigung zu erhalten. Die Sicherheit­sinseln befinden sich daher vor allem in und in der Nähe von Ballungsze­ntren oder größeren Städten.

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BUNDESHEER Virtueller Nationalfe­iertag, interaktiv: Das „Hybrid-Event“am 26. Oktober bietet neben mehr als drei Stunden Liveübertr­agung des ORF die Möglichkei­t, in verschiede­ne Rollen und Funktionen eines Soldaten zu schlüpfen.
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