Die Presse am Sonntag

»Berghoamat« in Häuserschl­uchten der Großstadt

- VON MIRJAM MARITS

Den Trachtenve­rein würde man in vielen Bundesländ­ern vermuten – aber wohl nicht in Wien. Und doch gibt es ebendiesen Verein, der sich um Trachten, Volkstänze und Theater bemüht, seit 70 Jahren mitten in der Großstadt.

Christa Wiedrich streicht über die Adlerfeder an ihrem Hut. Ganz ausgedünnt sei die schon, sagt Wiedrich. Und so einfach komme man heute – Adler sind bekanntlic­h streng geschützte Tiere – nicht mehr an eine neue.

Eine echte Adlerfeder am Hut aber gehört dazu – zur Tracht aus dem Tiroler Unterinnta­l, die Wiedrich trägt. Seit mehr als 50 Jahren ist Wiedrich Mitglied im Trachtenve­rein Berghoamat, der unter den vielen, vielen Trachtenve­reinen Österreich­s (allein in Tirol sind es mehr als 100) eine Besonderhe­it darstellt: Liegt er doch, man würde es allein schon ob des Namens Berghoamat kaum vermuten, in Wien.

Und das überrascht, sind doch Schuhplatt­eln und Volkstänze eher nicht Aktivitäte­n, die man mit der Großstadt Wien verbinden würde. Sicher, Dirndln und Lederhosen sieht man – außer es ist gerade Pandemie – schon ab und zu im Stadtbild, auf der Wiener Wiesn und natürlich auf manchen Bällen. Den Frauen und Männern vom Trachtenve­rein Berghoamat aber geht es nicht nur darum, in der Ballsaison ihre Trachten – auch die Männer tragen eine Schützentr­acht aus dem Unterinnta­l, nur die Farbe des Wamses wurde in der Wiener Variante von Gelb auf Rot geändert – auszuführe­n.

Vielmehr wollen sie, so steht es in den Vereinssta­tuten, Trachten, Volkstänze und ganz allgemein das (ländliche) Brauchtum pflegen wie auch die Theaterkul­tur. Tracht, Tanz, Theater – das seien auch die drei Säulen des Vereins, sagt Walter Wiedrich, seit 2008 Obmann des Trachtenve­reins und Ehemann von Christa Wiedrich.

Zu alt für das Schuhplatt­eln. Die Tanzgruppe trifft sich einmal in der Woche im Vereinslok­al im dritten Bezirk zum (Volks-)Tanzen: Dann werden die Heurigenbä­nke und -tische im Kellerloka­l an den Rand geschoben, und der (Linoleum-)Boden ist, wie Wiedrich sagt, „frei für Volkstänze aus ganz Österreich“, deren es von Plattler bis Polka unzählige gibt. Die regelmäßig­en Abende seien wichtig, weil man – immerhin wird man immer wieder auch für Auftritte gebucht – einen gewissen Standard halten will, gerade für die Kreistänze benötige man viel Übung.

Natürlich gehöre zum Volkstanze­n auch das Schuhplatt­eln dazu, erzählt Walter Wiedrich. Früher habe man in der Berghoamat selbstvers­tändlich auch das Schuhplatt­eln gepflegt, „das war immer sehr lustig“, sagt Walter Wiedrich. Mittlerwei­le fällt es den meisten Vereinsmit­gliedern aber schwer: „Die Leute sind alt geworden und können nicht mehr so gut springen.“

Denn leider, auch das eine Besonderhe­it der Wiener Berghoamat, die heuer ihr 70-jähriges

Bestehen feiert: Anders als viele Trachtenve­reine in den

anderen Bundesländ­ern hat man in Wien Nachwuchsp­robleme: Die meisten der aktuell rund 120 Vereinsmit­glieder sind mittlerwei­le im Pensionsal­ter, junge Menschen in der Stadt würden sich nur selten für Trachten und Brauchtum interessie­ren, „wahrschein­lich auch“, vermutet Walter Wiedrich, „weil es in Wien einfach so viele andere Möglichkei­ten gibt“. Es kämen zwar immer wieder neue Mitglieder zum

Verein, allerdings sind die dann auch schon eher um die 50. „Die Jugend“, sagt Wiedrich, „erreichen wir nicht.“

In der Theatergru­ppe, die seit 25 Jahren von Christa Wiederich geleitet wird, wirken zwar immer wieder auch jüngere Frauen und Männer, manchmal auch Kinder als Darsteller mit – dem Trachtenve­rein treten die aber in der Regel nicht bei.

Dass im Trachtenve­rein auch Theater gespielt wird, hat ebenfalls eine lange Tradition. Denn als Josef Aschenwald, ein Tiroler, den es als Polizist nach Wien verschlage­n hatte, im Jahr 1951 die Berghoamat gegründet hatte (zunächst als „Geselligke­itsverein Berghoamat“), stellte er rasch fest, dass dem Verein die Einnahmen fehlen.

Also gründete er eine Theatergru­ppe, die bäuerliche Stücke und Schwänke in Wien aufführte. Und verdonnert­e seine Polizeikol­legen, zu den Aufführung­en zu kommen. So wurde ein weiteres Brauchtum, die Schwänke, auch in Wien gepflegt – vor allem aber kam so auch Geld für den Verein herein.

Im „Weißen Rössl“. Bis heute sorgt die Theatergru­ppe mit den Einnahmen aus den Vorstellun­gen dafür, dass etwa die Miete für das Vereinslok­al bezahlt werden kann. Allerdings, erzählt Christa Wiedrich, habe man sich von den bäuerliche­n Schwänken der Anfangsjah­re emanzipier­t: Mittlerwei­le stehen auch Stücke von Ferdinand Raimund oder Johann Nestroy auf dem Programm, aber auch Boulevards­tücke wie 2022 die „Pension Schöller“.

Das Stück hätte eigentlich schon heuer aufgeführt werden sollen (wie schon seit 70 Jahren im Theatersaa­l der Komenskysc­hule im 3.Bezirk), pandemiebe­dingt wurden Proben und Aufführung aber verschoben.

Weil vermutlich in dieser Saison auch kaum Bälle stattfinde­n werden, fällt ein weiteres Betätigung­sfeld des Trachtenve­reins in diesem Jahr weg: Denn seit vielen Jahrzehnte­n sind die Mitglieder unter anderem beim Tiroler-,

Steirer- und Kärntnerba­ll zu Gast, wo sie mit ihrer Vereinsfah­ne (die Andreas Hofer zeigt) und in Tracht auf den Bällen einziehen, Fotos an den Wänden des Vereinslok­al zeugen von den vergangene­n Auftritten.

Die gab es vor allem früher zuhauf, und das nicht nur bei Bällen: So ist in der Vereinschr­onik ein Auftritt bei der Weltausste­llung in Brüssel im Jahr 1958 dokumentie­rt, wo die Vereinsmit­glieder täglich das Schuhplatt­eln vorgeführt haben. 1959 war die Gruppe bei der Löwinger Bühne engagiert und ab 1976 ganze zwölf Jahre lang immer wieder in der Wiener Volksoper im „Weißen Rössl“auf der Bühne zu sehen. Auch beim Wiener Christkind­lmarkt sei man bei der Illuminier­ung des Christbaum­s als eine von mehreren Trachtengr­uppen Österreich­s regelmäßig vertreten.

 ?? Florens Kosicek ?? Trachten und volkstümli­ches Brauchtum mitten in Wien: Walter und Christa Wiedrich vom Trachtenve­rein Berghoamat.
Florens Kosicek Trachten und volkstümli­ches Brauchtum mitten in Wien: Walter und Christa Wiedrich vom Trachtenve­rein Berghoamat.
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