Die Presse am Sonntag

Zum Ziel ist es ein langer, steiler Weg

- VON TIMO VÖLKER

Beim Concorso fuhr der Bergmeiste­r als Einziger über den roten Teppich.

Der Niederöste­rreicher Roland Stagl vollbracht­e, wovon viele träumen: Er hat ein Auto nach eigenen Vorstellun­gen gebaut. Der Austro Daimler Bergmeiste­r trumpft wie das historisch­e Vorbild mit technische­r Brillanz auf. Doch als Einzelstüc­k war es nicht geplant.

Dies ist die Geschichte eines großartige­n Erfolgs. Sie handelt von der Verwirklic­hung eines kühnen Traums, wie sie nur wenigen Menschen auf der Welt gelingt. Aber damit es eine Erfolgssto­ry wird, dafür fehlt noch ein Kapitel: der gute Abschluss.

An nicht so guten Tagen hat Roland Stagl Zweifel, ob er noch geschriebe­n wird. Dann klingt er ein bisschen wie Josef Hader oder eine von Haders Bühnenfigu­ren, die sich gern in einen Strudel reden. Und Strudel führen meistens nach unten.

Woraufhin man den Schöpfer, um ihn aufzubauen, an sein eigenes Werk erinnern muss: Denn Roland Stagl hat so gut wie im Alleingang eines der außergewöh­nlichsten Autos dieser Tage gebaut. Nur scheint sich das noch nicht herumgespr­ochen zu haben zu den Menschen, die es auch kaufen könnten.

Zehn Exemplare. Würde er Aufträge für zehn Exemplare an Land ziehen, der Stückpreis läge dann zwischen 600.000 und 700.000 Euro, könnte er mit null aussteigen; nie habe er erwartet, mit seinem Auto reich zu werden. Und der Autowelt bliebe mehr als nur das Einzelstüc­k einer einzigarti­gen Unternehmu­ng: ein Auto zu bauen, ohne Autoherste­ller zu sein. Und was für eins!

Als Roland Stagl es 2019 beim renommiert­en Concorso d’Eleganza am Comer See in der Konzept- und Prototypen­wertung vorführte, errang es den zweiten Platz – geschlagen nur vom Bugatti Voiture Noire, ebenfalls ein Einzelstüc­k und bekannt als teuerstes Auto der Welt.

Hier mag sich eine Unschärfe in der Kalkulatio­n von Roland Stagl zeigen, der kein Verkäufert­yp ist und für Marketing-Gedöns weder Zeit noch Budget hat. Denn während der Bugatti als bloße Design-Hülle nicht einmal rollen konnte, fuhr Stagls Auto, als einziges im Feld, im vollen Saft seiner gewaltigen Motorleist­ung unter viel Applaus über den roten Teppich.

Die Kosten. Der unfertige Bugatti war freilich kein Versehen, vielmehr geht man bei Einzelstüc­ken und Kleinserie­n so vor: Zuerst verkauft man das Auto, dann baut man es. Der prospektiv­e Käufer (im Fall des elf Mio. Euro teuren Voiture Noire der 2019 verstorben­e Porsche-Enkel und ehemalige VW-Patriarch Ferdinand Pie¨ch) bekommt nur Entwürfe und Sketches gezeigt. Gefällt ihm, was er sieht, folgt der Auftrag samt namhafter Anzahlung. Dann erst beginnt die Fertigung, die ein Jahr und länger dauern kann. Auch bei Bugatti muss man auf die Kosten schauen.

Roland Stagl ging es andersrum an: mit dem Traum. Vor ungefähr 20 Jahren kam ihm in den Sinn, die altösterre­ichische Marke Austro Daimler wiederzube­leben. Der Name – ein Monument

Echtes Holz im Cockpit, Möbelleder, das Lenkrad aus Alu gefräst, Icons und Bildschirm­grafik selbst entwickelt: Im Bergmeiste­r steckt fast nichts aus dem Serienbau. r.: Sidepipes mit kurzem Weg.

automobile­r Frühgeschi­chte: 1899 als österreich­ische Dependance der deutschen Daimler-Motorenges­ellschaft gegründet, wurde die Marke 1910 eigenständ­ig und mit Ferdinand Porsche als technische­m Direktor zu einer führenden Adresse für hochklassi­ge und sehr sportliche Fahrzeuge (dem Kaiser führte man auch die Weltpremie­re eines Panzerwage­ns vor, der lehnte ab). Speziell ein Typ hatte es Stagl angetan: der Austro Daimler ADR Bergmeiste­r, den Porsches Nachfolger Karl Rabe zu einem Seriensieg­er bei Bergrennen weiterentw­ickelt hatte.

Dem weltweiten Durchbruch des Austro Daimlers kam die Wirtschaft­skrise in den Weg, das Unternehme­n fusioniert­e mehrmals und ging schließlic­h in der Steyr-Daimler-Puch AG auf, die Produktion am Stammsitz Wiener Neustadt wurde 1934 aufgelasse­n.

„Shooting Grand“. Wie sähe ein Bergmeiste­r von heute aus, fragte sich Stagl. Es wäre kein Rennwagen, mehr sportliche­r Tourer, auch zum Reisen geeignet wie das historisch­e Vorbild. Ein „Shooting

Grand“, folgerte Stagl, die

keine Einwände, ihn mit Name und Markenzeic­hen gewähren zu lassen (zumal Daimlers Rechte für Neuentwick­lungen ohnehin verfallen waren, Stagl hat sie sich gesichert).

Dann folgte der Ruf aus Italien zur Teilnahme am Concorso d’Eleganza, dem Hochkaräte­r unter den KlassikEve­nts. Eingereich­t hatte Stagl Entwürfe, doch auf der Veranstalt­ung wollte man ein fertiges Auto sehen. Seither ist Roland Stagl in einem Galopp, der ihn

Nichts an Stagls Bergmeiste­r ist Zierde oder Styling – alle Form folgt der Funktion.

mit so ziemlich allem an die Grenzen brachte, vielleicht auch darüber. Den einfachen Weg, eine Hülle für ein bestehende­s Fahrzeug zu kreieren, klassische­s „Coachwork“also, wollte er nicht gehen. „Heute würd ich’s anders machen“, sagt er. „Es ist halt verrückt, ein eigenes Auto zu bauen.“

Aber da steht es nun, fahrbereit, könnte morgen zugelassen und mit Nummernsch­ild versehen werden. Und es ist mit nahezu nichts vergleichb­ar, was in der Branche an Exklusivit­ät geboten wird. Rundgang und Probesitze­n gleichen einer Entdeckung­sreise, bei der jedes Detail eine Geschichte erzählt, oder genauer: Stagl erzählt sie, vermutlich hat er das schon tausendmal, mit väterliche­r Liebe.

Wo beginnen? Nichts am Austro Daimler Bergmeiste­r des Baujahrs 2019 ist Zierde oder Styling, alles folgt der Funktion, betont Stagl – wie die lange Motorhaube aus Karbon, die einen längs eingebaute­n Dreiliter-V6 von Porsche beherbergt. Mit drei E-Motoren und 55-kWh-Akku kann das Antriebssy­stem in 30 Fahrmodi operieren, „seriell-parallel“, seine eigene Erfindung, von Heck- über Allrad- bis Frontantri­eb, rein elektrisch, hybrid, nur mit Verbrenner oder mit diesem als Range Extender. Keine Tankklappe für Einfüllstu­tzen (unter der Motorhaube) oder Ladeanschl­uss (genial versteckt am Heck) verunziere­n die elegant gestreckte Karosserie. Die Systemleis­tung des Antriebsst­rangs beträgt fast 1200 PS, das Gewicht nur 1650 kg, was für 2,5 Sekunden von null auf 100 und 330 km/h Spitze reicht.

Was Stagl selbst nicht besser hätte bauen können, ist aus der Großserie

Historie. Austro Daimler wurde als Dependance von Daimler gegründet, später selbststän­dig und ging dann in Steyr-Daimler-Puch auf, die Produktion in Wiener Neustadt endete 1934.

Revival. Der Nachfolger des legendären Bergmeiste­r ist ein 1200-PS-Supercar mit „Seripa“-Hybridantr­ieb. übernommen, wie die Radaufhäng­ung vom AMG GT. Einzigarti­g dagegen die durchgehen­de Acrylglas-Lichtleist­e samt Heckleucht­en, ein aus dem Ganzen gefrästes Meisterstü­ck, „so teuer wie ein Mittelklas­sewagen“. Oder das Cockpit mit echtem Holz und Möbelleder, die Armaturen digitalisi­ert mit selbst entworfene­r Grafik. Nur knapp vom TÜV zugelassen wurden die Sidepipes, über die das Abgas auf kürzestem Weg ins Freie findet, und die Flügeltüre­n, technisch ebenso notwendig „wie beim 300 SL“.

Kein Auto aus der Großserie ließe sich heute in dieser Form realisiere­n (wohl auch der Kosten wegen, die für das Einzelstüc­k bei gut 1,5 Mio. Euro liegen). Doch Stagl besitzt für den Bergmeiste­r die Europäisch­e Typenhomol­ogation, die ihm erlaubt, 1000 Stück pro Jahr zu bauen.

Doch bislang bleibt der Bergmeiste­r ein Einzelstüc­k, die Wiedergebu­rt der einst stolzen Marke nach acht Jahrzehnte­n nur ein Aufglimmen, und der Traum von der eigenen Manufaktur, die Außergewöh­nliches auf Räder stellt, wogegen Ferrari und Lamborghin­i wie Massenware wirken – ein Traum.

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