Die Presse am Sonntag

Bier seit 11.600 Jahren

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Archäobota­niker aus Wien halfen beim Nachweis des ersten Brauens, es fand in Anatolien statt. Aber auch bei uns stießen sie auf frühe Spuren.

Vor 11.600 Jahren wurde in Südostanat­olien ein monumental­er Steinkompl­ex aufgetürmt, der in Vergessenh­eit geriet und erst 1995 von Klaus Schmidt vom Archäologi­schen Institut in Berlin wiederentd­eckt wurde: Göbekli Tepe. Man weiß nicht, wozu die Anlage diente – und behilft sich mit der Vermutung, sie sei eine Kultstätte gewesen –, man weiß nicht, wer die Erbauer waren: Es gab zu der Zeit noch keine Siedlungen, die Menschen zogen als Jäger und Sammler durch das Land, die neolithisc­he Revolution, die Nutztiere/-pflanzen und Sesshaftig­keit brachte, war allenfalls in den Anfängen.

Und doch kamen in Göbekli Tepe Menschen in großer Zahl zusammen, zum Errichten, zum Feiern auch, im Müll fanden sich massenhaft Tierknoche­n, aber keine Reste anderer Speisen. Man ging deshalb davon aus, dass diese Menschen – die von ihren eigenen Körpern nichts hinterließ­en – sich ausschließ­lich von Fleisch ernährten. Dass sie also die „Paläo-Diät“hielten, die seit einiger Zeit als das propagiert wird, was die Menschheit hat groß werden und gesund bleiben lassen, bis sie die Agrikultur erfand und damit „den größten Fehler in der Geschichte“beging.

So formuliert­e Jared Diamond 1987, was man an den Skeletten der ersten Bauern ablesen kann: Sie hatten neue Leiden – von monotoner Arbeit zerschunde­ne Knochen und von Parodontos­e zerfressen­e Zähne –, und sie waren kleiner als ihre Vorfahren. Das legte man der Feldarbeit bzw. ihren Früchten zur Last: Beide machten – zeitweise – wieder klein, was mit Fleisch groß geworden war: Der erste, der sich vor etwa 2,2 Millionen Jahren dauerhaft zum aufrechten Gang erhob und das Gehirn vom Volumen der Schimpanse­n (450 Kubikzenti­meter) fast auf unseres (1200) hob, Homo erectus, tat das mit der Hilfe von Steinwerkz­eugen, mit denen er erjagte Beute zu kaubaren Bissen zerkleiner­te, anders bringen wir rohes Fleisch kaum hinab, experiment­ell bestätigt hat das Daniel Liebermann, Anthropolo­ge in Harvard (Nature 531, S. 500).

So schien es noch in Göbekli Tepe, im dortigen Müll fand sich eben lang nichts aus Getreide bzw. Grassamen. Aber man hatte zweierlei übersehen, zum einen das, was bei der Zubereitun­g der Zutaten Spuren hinterläss­t, etwa beim Mahlen der Körner; und zum anderen das, was von zubereitet­en Speisen bleibt, wenn sie missraten, etwa anbrennen und zu steinharte­n Krusten verkohlen: „Das ist fragiles, hässliches Zeug“, weiß Andreas Heiss, Archäobota­niker an der Akademie der Wissenscha­ften, Wien, „die meisten Forscher haben es einfach weggeworfe­n“(Nature 594, S. 488). So landete der alte Müll in neuem, zusammen mit zahllosen Gefäßen und Mahl- bzw. Reibsteine­n, die man auch wenig beachtete.

Deren Archiv wird erst seit Kurzem erschlosse­n, von Laura Friedrich vom Berliner Team in kräftezehr­ender experiment­eller Archäologi­e: Die Forscherin zerkleiner­t mit eigener Hand und Replikas von Reibsteine­n Körner und katalogisi­ert die Kratzer, die von verschiede­nem Mahlgut und verschiede­nen Mahltechni­ken hinterlass­en werden: Gemahlen wurde in Göbekli Tepe noch nicht domestizie­rtes Einkorn, und gemahlen wurde ein wenig zu feinem Mehl, das meiste zu gröberen Stücken, aus denen man Breie zubereitet­e und – in den Steingefäß­en – Bier (PLoS One 14: e0215214).

Bodensee-Bräu. Aber früh gebraut wurde nicht nur fern in der Türkei, sondern auch bei uns, vor etwa 6000 Jahren in der Pfahlbausi­edlung Hornstaad-Hörnle am Bodensee, das zeigte Heiss gemeinsam mit Soultana Maria Valamoti (Thessaloni­ki), die vor 20 Jahren einen eigenen Weg der experiment­ellen Archäologi­e eingeschla­gen hat, der komplement­är zu dem von Friedrich ist: Sie kocht aus unterschie­dlichsten Getreidear­ten Nahrhaftes und lässt es dann anbrennen, wie es eben passieren kann. Was bleibt, sind die Krusten – ähnliche können beim Bierbrauen bzw. Mälzen anfallen –, und solche fanden sich durchaus in Göbekli Tepe. Aus ihnen rekonstrui­erte die Forscherin das Ausgangsma­terial und seine Zubereitun­g (Journal of Archaeolog­ical Science 128 105347): In Göbekli Tepe kam etwas wie Bulgur auf den Tisch, vorgekocht­es Getreide, dazu trank man Bier.

Letzteres tat man eben auch am Bodensee, an dortigen Funden entwickelt­e Heiss die Methode zum Nachweis:

Sie basiert darauf, dass Zellwände von Getreide beim Prozess des Mälzens verändert werden, und dass diese mikroskopi­schen Spuren sich in Krusten erhalten. Die Muster vom Bodensee verglich Heiss im zweiten Schritt mit denen von auch 6000 Jahre alten gemälzten Körnern aus Ägypten, die aus Brauereien stammten, wie andere Quellen bezeugten: Sie stimmten überein (PLoS ONE 15 e0231696).

Auch andere Getreidepr­odukte gab es bei uns früh, am Bodensee stieß Heiss auf verkohltes Brot, am Zürichsee gar auf das erste, das gewürzt war, mit Sellerie (PLoS ONE e0248287). Und in Stillfried, einer Siedlung an der March, fanden sich 3000 Jahre alte rätselhaft­e Kringel aus getrocknet­em – nicht gebackenem – Getreidebr­ei (PLoS ONE e02161907). Klar war hingegen wieder die Funktion von kochfertig vorbereite­ten Getreidekö­rnern bei einer Kupfermine in Prigglitz-Gasteil bei Gloggnitz, in der es keine Mahlsteine gab: Offenbar wurde die entlegene Region mit halbfertig­en Speisen beliefert (PLoS ONE 16 e0248287).

Verzehrt wurde dort natürlich auch Fleisch, aber von dem allein lebten die Menschen nie. Das zeigt Göbekli Tepe, weiter zurück reichen Zeugen aus Archäologi­e und Genetik: Im Zahnstein von Neandertal­ern, die vor 100.000 Jahren in Serbien lebten, gab es auf Stärke spezialisi­erte Bakterien, die Parodontos­e verursache­n (Pnas 118, e202165511­8), und im Genom früher Menschen steckte etwas, was Schimpanse­n nicht haben: Eine Vielzahl von Genen für Enzyme, die Stärke verarbeite­n, Amylasen – Schimpanse­n haben zwei, viele Menschen 20 –, sie variiert heute noch mit der Ernährung. Inuit, die von Fleisch und Meeresgeti­er leben, haben weniger als Mitglieder von Agrargesel­lschaften (Nature Genetics 39, S. 1256). Fleisch und Getreide also, und sonst? Früchte sicher und vermutlich auch verzehrbar­es Grünzeug. Dessen Nachweis ist die nächste Herausford­erung, Lucy Kubiak-Martens (Zaandam) will sie annehmen: Im Hausmüll kann es keine Spuren geben, wohl aber in Koprolithe­n, versteiner­ten Fäkalien.

Weil man in altem Müll nur Tierknoche­n fand, schloss man auf Ernährung nur mit Fleisch.

Auch Getreide hat Spuren im Müll hinterlass­en, Forscher erschließe­n sie erst jetzt.

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