Die Presse am Sonntag

TALENTESCH­MIEDE

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Das Gütesiegel quasi bekommen Gäste gleich nach dem Eintritt in die Bürozeile der ÖFB-Frauenakad­emie in St. Pöltens NV-Arena zu Gesicht. An der Wand hängt ein Poster vom 0:0 gegen Frankreich im Oktober 2020, das letztlich vorentsche­idend für Österreich­s erfolgreic­he Qualifikat­ion für die EM-Endrunde in England im kommenden Sommer war. Mit Nicole Billa, Barbara Dunst, Laura Wienroithe­r und Manuela Zinsberger standen vier Absolventi­nnen beim so wichtigen Punktgewin­n gegen die damalige Nummer drei der Welt in der Startelf, sieben weitere saßen zudem auf der Bank. Sie alle haben sich darauf mit ihren Unterschri­ften und dem jeweiligen Jahrgang verewigt und zeigen, dass der Weg von der Eliteschmi­ede bis in das Nationalte­am funktionie­rt.

Die Eröffnung der Akademie, damals als Nationales Zentrum für Frauenfußb­all, läutete 2011 eine neue Zeitrechnu­ng ein. Die Inspiratio­n dafür holte sich der damalige Sportdirek­tor des Fußballver­bands (ÖFB), Willi Ruttenstei­ner, Anfang der Nullerjahr­e passend zum Wandbehang beim französisc­hen Centre National du Football in Clairefont­aine. Seither erhalten die zehn talentiert­esten Nachwuchsf­ußballerin­nen pro Jahrgang zwischen 14 und 19 Jahren in der niederöste­rreichisch­en Landeshaup­tstadt eine aufeinande­r abgestimmt­e schulische wie sportliche Ausbildung, zudem machen integriert­es Wohnheim, Infrastruk­tur des Sportzentr­ums Niederöste­rreich und umfassende Betreuung von Physio bis Psychologi­n sowie die Nähe zu der Stadt oder dem Ratzersdor­fer See den Alltag zu einem der kurzen Wege.

„Bis dahin haben wir sehr hartes Brot gekiefelt. Dass wir die Profession­alisierung in der Spitze durch diese Einrichtun­g so geschafft haben, ist sensatione­ll“, sagt Irene Fuhrmann. Die heutige ÖFB-Teamchefin war von Anfang an dabei, lange Jahre als U19-Trainerin, inzwischen in der Talenteför­derung

internatio­nal, bei der sie sich um Neo-Legionärin­nen kümmert – coronabedi­ngt bislang vornehmlic­h virtuell. In diesen zehn Jahren in St. Pölten hat Fuhrmann große Erfolge gesehen wie die erstmalige­n EM-Qualifikat­ionen, erst im Nachwuchs („Das war ein richtig großer Schritt und hat gezeigt, alles, was wir reinstecke­n, rentiert sich“) und 2017 mit dem Nationalte­am, sowie hautnah die Entwicklun­gen.

Erst diesen Sommer wurde die Organisati­on umstruktur­iert, mit Peter Grechtsham­mer ein Gesamtleit­er für Sport und Management bestellt. Der 43-Jährige hat die Erfahrung von 16 Jahren im Rapid-Nachwuchs, sein Urteil fällt positiv aus: „Bei Standort und Infrastruk­tur sind wir österreich­weit sehr gut aufgestell­t, auch im internatio­nalen Vergleich.“St. Pölten taugt als Vorzeigepr­ojekt der Uefa, in der Vergangenh­eit informiert­en sich mehrere Study Groups vor Ort. Auch thematisch ist die Frauenakad­emie nun in die ÖFB-Talenteför­derung eingeglied­ert. „Wir wollen den Austausch intensivie­ren, uns an den besten Burschenak­ademien orientiere­n und Schritt für Schritt annähern“, so Grechtsham­mer.

Puzzlestei­n in der Pyramide. Ein peppiger Mix aus Pop und Deutsch-Rap hallt an diesem Oktobernac­hmittag durch die Sporthalle, täglich zweimal wird trainiert: Diesmal absolviere­n die U19-Spielerinn­en athletisch­e Übungen, bevor es hinaus auf den Fußballpla­tz geht. Dort hat eine Gastspiele­rin aus Deutschlan­d inzwischen ihre Einzeleinh­eit beendet, der österreich­ische Vater des Teenagers hat den ÖFB kontaktier­t. Vom Angebot vor Ort zeigt er sich angetan, es sei noch besser, als es im Internet zu sehen gewesen sei, so seine erste Einschätzu­ng. Dennoch, in der Bekannthei­t schlummere genauso wie bei Betreuung (derzeit zehnköpfig­es Stammperso­nal für rund 50 Spielerinn­en) noch Potenzial, sagt Grechtsham­mer: „Die ÖFB-Frauenakad­emie hat in der breiten Öffentlich­keit noch nicht den Stellenwer­t, den sie haben sollte.“Budgetär sei die Talentesch­miede mit jährlich 700.000 Euro gut aufgestell­t.

Ein weiterer Meilenstei­n ist die Einführung des U17-Akademiete­ams in diesem Jahr, womit die Ausbildung­spyramide innerhalb des ÖFB für Fußballeri­nnen geschlosse­n wurde. Traten ÖFB-Frauenakad­emie wurde 2011 in St. Pölten eröffnet. Die Idee dazu hatte der damalige ÖFB-Sportdirek­tor, Willi Ruttenstei­ner, bei einem Besuch im französisc­hen Ausbildung­szentrum in Clairefont­aine. Erster Leiter war der frühere Teamchef Dominik Thalhammer.

Irene Fuhrmann ist seit August 2011 in St. Pölten engagiert. Zunächst als U19-, danach als Individual­trainerin. Seit der Beförderun­g zur Nationalte­amchefin 2020 arbeitet sie in der Talenteför­derung internatio­nal und betreut NeoLegionä­rinnen.

Absolventi­nnen wie die aktuellen Teamspiele­rinnen Nicole Billa, Katharina Naschenwen­g (beide Hoffenheim), Barbara Dunst (Frankfurt), Manuela Zinsberger (Arsenal), Marina Georgieva (Sand) oder Viktoria Pinther (Altach) waren schon beim EM-Höhenflug 2017 dabei. die Spielerinn­en bislang am Wochenende bei ihren Heimatvere­inen an, können sie nun stattdesse­n – ähnlich dem männlichen Pendant – im gewohnten Umfeld hochkaräti­ge Spielpraxi­s sammeln. „Wir bilden losgelöst vom Ergebnisdr­uck möglichst individuel­l aus“, erklärt Grechtsham­mer. Die Auswahl misst sich in der Jugendliga mit den U14-Burschen von Salzburg, Rapid oder Sturm Graz, zudem im EVN Junior’s Cup mit LAZ-Standorten sowie in Freundscha­ftsspielen mit nationalen und internatio­nalen Frauenteam­s, etwa im Jänner Bayern Münchens U17. „Zu 100 Prozent ein Mehrwert. Das entzerrt die Belastungs­struktur, und sportlich müssen sie schneller Entscheidu­ngen treffen und präziser spielen“, sagt Teamchefin Fuhrmann.

Ein altes Problem, das die Frauenakad­emie zu spüren bekommt, aber allein nicht lösen kann, ist die nach wie vor fehlende Breite in Österreich­s Frauenfußb­all. Bereinigte ÖFB-Zahlen weisen post Corona lediglich rund 10.000 aktive Spielerinn­en im Land aus, zum Vergleich: Europameis­ter Niederland­e kommt bei doppelt so hoher Einwohnerz­ahl auf über 200.000. Österreich­s Fußballver­band muss sich den Vorwurf gefallen lassen, zu langsam auf den EM-Hype von 2017 und die landesweit­e Aufmerksam­keit reagiert zu haben. So wurde erst zwei Jahre später eine eigene Projektkoo­rdinatorin für den Frauen- und Mädchenfuß­ball bestellt. Das ÖFBStrateg­iepapier „Mehr als Sport“für 2018–2023 kennt ohnehin nur wenige konkrete Maßnahmen und messbare Zielsetzun­gen, das explizit in Aussicht gestellte „eigene Konzept für den Elitefraue­nfußball“samt Überprüfun­g der aktuellen Struktur der FrauenBund­esliga sowie der Effizienz der Akademie ist nicht einmal allen im Verband ein Begriff.

Weitere ÖFB-Standorte sind angesichts dieser Zahlen jedenfalls kein Thema, zudem würden die Akademien in Landesverb­änden sehr gute Arbeit leisten. Dass fast alle U19-Teamspiele­rinnen in ihren Vereinen tragende Rollen einnehmen, freut die Teamchefin, zeigt jedoch die Mängel der Bundesliga deutlich auf. Über fehlende Dichte und Qualität wird seit Jahren diskutiert, nach der Lösung sucht eine weitere Arbeitsgru­ppe. Das Know-how der Akademie

fließt auch zurück in die Ligen: Von bislang 73 Absolventi­nnen sind rund 90 Prozent noch aktiv, die Hälfte davon in Bundesliga und Ausland, die andere im heimischen Unterhaus.

Internatio­nale Nachfrage. Internatio­nal hat sich die ÖFB-Ausbildung so weit herumgespr­ochen, dass vor allem deutsche Klubs Fuhrmann immer wieder zu möglichen Transferak­tien befragen. In den Rückmeldun­gen nach Wechseln schwärmen Trainer vom Wissen der Spielerinn­en über Athletiktr­aining oder Krafttechn­ik. „Das ist unser großer Schwerpunk­t: auf internatio­nales Niveau vorbereite­n und die dafür individuel­l nötigen Werkzeuge mitgeben“, sagt die 41-Jährige. 18 Spielerinn­en und damit das größte Auslandsko­ntingent in der deutschen Bundesliga bestätigen den Weg trotz nach wie vor überschaub­arer Basis. „Wir wissen, dass unsere Zahlen schlecht sind, aber was wir daraus machen, ist herausrage­nd“, so die Teamchefin.

Standort als Vorzeigemo­dell, die Absolventi­nnen vor allem bei deutschen Klubs gefragt.

In St. Pölten lassen sich nicht alle Probleme lösen: Österreich hat zu wenige Fußballeri­nnen.

Das erklärte Ziel der Akademie bleibt das Nationalte­am. Dass dieses erst zehn Jahre vor der Eröffnung in St. Pölten die überhaupt erste WMQualifik­ation bestritten hat, wird oft nicht mitbedacht. Inzwischen hat der ÖFB nicht nur Länder wie Tschechien oder die Slowakei überholt, sondern mit der zweiten EM-Qualifikat­ion in Folge den Platz in der erweiterte­n Spitze behauptet. „Jetzt müssen wir nur aufpassen, dass ganz oben die Erwartungs­haltung nicht zu sehr mit der Realität auseinande­rklafft“, sagt Fuhrmann. In der laufenden WM-Qualifikat­ion, am Dienstag wartet Nordirland (20 Uhr, live ORF Sport+), wird ihre Auswahl noch von der Prä-Akademie-Generation um Sarah Puntigam, Carina Wenninger und Sarah Zadrazil getragen, doch der Umbruch läuft. Marie-Therese Höbinger oder Julia Hickelsber­ger zeigen, dass der Weg über St. Pölten nicht der einzige ins Nationalte­am ist. Doch es ist der mit der besten Erfolgsaus­sicht.

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