»Eine Kirche lebt vom Tun«
Der Vorarlberger Pfarrer Roland Trentinaglia spart nie mit Kritik an der Kirche und widersetzt sich oft. Die Segnung und Trauung homosexueller Paare, Priesterinnen – alles werde kommen.
Herr Trentinaglia, Sie gelten als ein unkonventioneller Pfarrer . . .
Roland Trentinaglia: Das stimmt. Man hat mich schon in frühen Jahren als bunten Vogel bezeichnet.
Sie sind einverstanden mit dieser Bezeichnung?
Ja, sofort. Weil ich mich nicht gern in ein Schema pressen lasse. Weder als Person, noch als Seelsorger und Priester.
Hat die katholische Kirche nicht deswegen so lang die Zeit überdauert, weil ihre Schemata den Menschen Orientierung gegeben haben?
Die Kirche lässt sich von gesellschaftlichen Entwicklungen nicht trennen. Zu der Zeit von Kaiserin Maria Theresia galt die Devise: Wir sind ein römischkatholisches Land. So war auch die ganze Lebensweise ausgerichtet, und die galt es zu bewahren. Heute bringt das Leben unheimlich viele Veränderungen
mit sich, sowohl in der Kleinheit des Lebens als auch im Großen. Mittendrin befindet sich die Kirche. Dass sich also die Schemata im Laufe der Zeit ändern können und müssen, das liegt klar auf der Hand. Die Denkweise „Das haben wir immer schon so gemacht“können wir heute vergessen.
Wie kann sich die katholische Kirche öffnen, ohne die eigene Geschichte und Tradition aufzugeben, aber trotzdem nicht in den alten Schemata zu verharren?
Ich sage es jetzt in meiner etwas flapsigen Trenti-Sprache: Die Kirche war es in der Vergangenheit gewohnt, Dinge einfach auszusitzen und zu hoffen, dass es irgendwann so wird, wie wir es gern hätten. Dieses Denken ist völlig falsch. Wir müssen uns zuerst fragen: Was ist das Zielgebiet der Kirche? Sie hat seit jeher die Aufgabe, die Beziehung des Menschen zu Gott und umgekehrt deutlich zu machen. Als die Kirche Staatsreligion wurde, hat sie die
Roland Trentinaglia ist seit mehr als drei Jahrzehnten Pfarrer in der Vorarlberger Region Leiblachtal. Er betreut die
Gemeinden Hörbranz (6600 Einwohner), Hohenweiler
(1300 Einwohner) und Möggers
(520 Einwohner). Der 73-Jährige studierte unter anderem Theologie in Innsbruck und wurde 1975 in Bludenz zum Priester geweiht. Im Ländle ist der Pfarrer dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Macht gespürt, und vieles ist diesem Machtanspruch geopfert worden. Es wurde dabei schlicht und einfach der Mensch vergessen. Bis zum heutigen Tag gibt es innerhalb der Kirche Ausgrenzungen, Tendenzen, die nicht den Menschen als Kind dieses liebenden Gottes wahrnehmen, sondern sie nur dann wahrnehmen, wenn sie den Vorgaben dieser Kirche entsprechen. Dieser Weg führt weg vom Menschen und letztlich weg von Gott.
Zu einer sich öffnenden Kirche gehört dazu, dass sie ihre Vergangenheit aufarbeitet, etwa die Missbrauchsfälle.
Es geht hier nicht nur um den sexuellen Missbrauch, es gibt auch einen spirituellen Missbrauch innerhalb der Kirche. Wenn Menschen Angst gemacht wird vor dem Leben. Wenn Gottesvergiftung betrieben wird, wenn ich also nur vom rächenden und strafenden Gott rede.
Wenn ich den Menschen als
sündhaftes Subjekt darstelle, das auf Gottes Erdboden herumwandert und nicht eine Spur Gutes in sich trägt. Oder wenn ich die Botschaft Jesu zu meinen Gunsten total verdrehe. Diese Dinge sind schrecklich genug, höchste Zeit, dass alles ans Tageslicht kommt. Wenn aus diesen Gründen Menschen reagieren und aus der Institution austreten, wundert mich das nicht. Das ist eine völlig natürliche Reaktion. Ich habe noch nie jemandem, der aus der Kirche ausgetreten ist, seine Gläubigkeit abgesprochen.
Wenn junge Menschen zu Ihnen kommen und sagen: Ich trete aus, die Kirche ist nicht glaubwürdig für mich – wie verteidigen Sie die Institution?
Muss ich sie verteidigen? Ich darf auch offen und ehrlich sagen, dass ich mit manchen Dingen in unserer Institution nicht einverstanden bin. Aber: Mit Abhauen wird keine Welt besser. Ich kann nur dann etwas ändern, wenn ich willens und bereit bin, mich selbst mit meinen Ideen und Vorstellungen einzubringen. Aber wenn jemand zu mir kommt und sagt: „Du, Trenti, ich trete aus“, dann sage ich: „Wenn du zu dieser Kenntnis gekommen bist, dann musst du das tun, um dir treu zu bleiben.“Meine zweite Antwort ist: „Wenn du etwas brauchst, komm bitte ohne Scheu und Angst.“Grundsätzlich wird niemand von mir als Vertreter des Bodenpersonals des lieben Gottes abgeschrieben. Das darf ich mir nicht leisten.
Es heißt ja, dass die Menschen sich nicht vom Glauben entfernen, sondern von der Institution.
Aus der Kirche treten vor allem jene Leute aus, die nicht unbedingt in der eigenen Pfarrgemeinde beheimatet sind. Sie waren bei der Erstkommunion und der Firmung, und das war’s. Sie haben keine Beziehung zur Ortskirche, dabei erfahre ich Kirche zuallererst dort, wo ich glauben, lieben, hoffen, das Leben teilen kann. Die Kirche ist an vielen Stellen zu einem Dienstleistungsgewerbe verkommen: Ich brauche eine Institution, die für mich ein Ritual erledigt – da geht es nicht mehr um den Glauben an sich. Doch die Kirche ist größer als das Ritual.
Zwischen einer Pfarrgemeinde und Rom liegen oft nicht nur viele Kilometer. Was passiert in einer Gemeinde wie Hörbranz, was Rom eigentlich nicht vorgesehen hat?
Als ich 1985 nach Hörbranz gekommen bin, war ich zielsicher. Hörbranz war 1992 die allererste Pfarrgemeinde in Vorarlberg, in der Wortgottesdienste an Sonntagen von Frauen geleitet wurden. Wir haben seit jeher Ministrantinnen. Meinen Bischof habe ich vorher nicht gefragt. Über die Reaktionen, die ich von oben bekommen habe, will ich gar nicht reden. Aber ich habe gesagt: Wir machen das hier, wir handeln, egal, wie das Feldkirch oder Rom passt. Die Kirche erlaubt ja immer gern . . . im Nachhinein. Aber eine Kirche lebt vom Tun. Es gibt dieses alte Zitat: Extra ecclesiam nulla salus – außerhalb der Kirche kein Heil. Ich drehe das um: Überall dort, wo Heil ist, ist Kirche.
Sie segnen homosexuelle Paare. Natürlich.
Die vatikanische Glaubenskongregation hat heuer die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare eigentlich untersagt, Kritik daran kam unter anderem aus einigen Vorarlberger Gemeinden. Aber selbst innerhalb „liberaler“Kreise ist der Zugang zu homosexuellen Menschen oftmals von Mitleid und Gönnerhaftigkeit geprägt.
Gott will von uns als Kirche und als Menschen, dass wir von Herzen das Leben gönnen – alles, was mit dir und deinem Leben im positiven Sinn zu tun hat. Das Gönnerhafte – ich erlaube es dir, weil du nicht anders kannst, weil du bemitleidenswert bist –, das hat auf Dauer keinen Boden. Darum kann es in der Kirche nicht gehen. Man muss immer wieder den Menschen in seiner Lebenssituation ernst nehmen, wahrnehmen und annehmen.
Wahrnehmen und annehmen hieße auch, homosexuelle Paare zu trauen?
Für mich würde neben Segnung auch die Trauung von homosexuellen Paaren
passen, und ich denke, das wird in Zukunft auch kommen. Genauso wie das Frauenpriestertum kommen wird, oder verheiratete Priester. Alles braucht seine Zeit.
Hat die katholische Kirche diese Zeit noch? Sie wird sie haben müssen.
Kritik am Vatikan kam auch vom Feldkircher Bischof, Benno Elbs, als es um die Segnung homosexueller Paare ging. Weht in den Vorarlberger Gemeinden ein anderer Wind? In Vorarlberg gibt die Kirche vor allem in der Pfarrarbeit ein sehr buntes Bild ab. Das ist ein sogenanntes Erfolgsrezept: offen, den Menschen sehend, in seinem Suchen, bei seinen Fragen. Hier finden Sie keinen eintönigen Einheitsbrei. Wenn die Kirche so unterwegs ist, hat sie durchaus Chancen – auch innerhalb einer jungen Gesellschaft.
Natürlich gibt es auch Gegenwind. Gegenwind heißt nicht automatisch, dass etwas falsch ist. Gegenwind bedeutet: Da habe ich jemanden an einem wunden Punkt getroffen. Vielleicht führt der Gegenwind zu einem durchaus fruchtbaren und notwendigen Dialog.