Die Presse am Sonntag

Über die Studienzei­t in der Fremde

- VON CHRISTOPH ZOTTER

Sie sind gegangen, um im Studium ihre Perspektiv­en zu erweitern. Junge Österreich­er erzählen über ihre Auslandser­fahrung an internatio­nalen Unis in Berlin, Amsterdam, Leiden, London und New York – und wie ihr Heimatland dort gesehen wird.

Als Patrick Krennmair seinen ersten Berliner Döner bestellte, wurde er auf Englisch bedient. Sein oberösterr­eichischer Einschlag war eine Spur zu viel für die norddeutsc­hen Ohren. Heute spricht der 27-Jährige an seinem Studienort durchgehen­d Hochdeutsc­h – er klingt dabei nicht wie ein Deutscher, aber auch nicht wie ein Oberösterr­eicher. „Es geht darum, dass man verständli­ch bleibt“, sagt er.

Krennmair wuchs in der Nähe des oberösterr­eichischen Thermenort­s Bad Schallerba­ch auf, studierte in Wien Volkswirts­chaft und internatio­nale Entwicklun­g. Mit 25 bekam er eine Doktoratss­telle an der Freien Universitä­t Berlin. „Ich habe mir damals gesagt: Wenn ich im akademisch­en Bereich bleibe, will ich einen örtlichen und fachlichen Bruch.“Er habe sich auf Anhieb mit seinem jetzigen Doktorvate­r verstanden. „Wir haben relativ schnell dieselbe Sprache gesprochen“, sagt Krennmair. Heißt: Zahlen, Forschungs­ansätze, Datenlagen. In Berlin beschäftig­t sich Krennmair mit Armutsindi­katoren und Armutsfors­chung, möchte statistisc­he Methoden entwickeln und auch anwenden.

Berlin kannte er zuvor nur von Urlauben mit Freunden – damals ging es mehr ums Feiern. Als er dann umzog, wurde Krennmair schnell mit dem Berliner Dauerthema konfrontie­rt: der Wohnungssu­che. „Ich habe sicher mehr als ein Jahr gebraucht, bis ich eine leistbare, schöne Wohnung mit einer angemessen­en Strecke zur Arbeit gefunden habe.“Er lebte einen Monat in der einen, drei in der anderen WG. Heute wohnt er im Bezirk Charlotten­burg, gibt ungefähr ein Drittel seines Gehaltes für die Miete aus.

Berliner und Wiener Grant. Seit seiner Ankunft hat sich Krennmair zumindest in kleinen Schritten auf Berlin eingestell­t: Er trägt die hier übliche Uniform der Kreativen: schwarzes T-Shirt, schwarzer Pulli. Außerdem isst er weniger Fleisch und fährt mehr Fahrrad. Auch das „berlineris­ch Schroffe“wurde ihm näher, die Studienjah­re in Wien seien dabei eine gute Übung gewesen. „Die Mentalität ist gar nicht so unterschie­dlich zum Wiener Grant“, sagt er. „Sie äußert sich anders, ist aber vom Prinzip ähnlich und wirkt sympathisc­h, wenn man sie einordnen kann.“

Das Bild, das sich seine deutschen Freunde von Österreich gemacht haben, ist oft sanft gezeichnet. Viele würden das Land aus dem Urlaub kennen. „Warum zieht man von Wien nach Berlin?“, sei eine Frage, die ihm öfter gestellt wurde. Wo die Österreich­er den Deutschen nach Krennmairs Erfahrunge­n oftmals reserviert gegenübers­tehen, herrscht in Berlin oft Interesse.

Das wuchs vor allem in den vergangene­n Wochen. Österreich­ische Skandale von Ibiza bis zur Inseratenk­orruptions­affäre

sorgten auch in Berlin für Schlagzeil­en. „In Deutschlan­d gibt’s eine andere Erwartung an Politiker in hohen Ämtern und eine andere Rücktritts­kultur“, sagt Krennmair. „Hier waren viele Kollegen schockiert. Mit solchen Aktionen wird die Relevanz verspielt, die Österreich als kleines Land auf europäisch­er Ebene haben könnte.“

Wenn die Eltern auf Besuch kommen, wechselt Patrick Krennmair wieder ins Oberösterr­eichische. „Mit der Familie redet man mehr im Dialekt, weil das auch ein Gefühl von Heimat ist.“Wenn sie wieder gefahren ist, braucht er ein paar Tage, bis er wieder ganz auf Hochdeutsc­h spricht.

 ?? Christoph Zotter ?? Patrick Krennmair, 27, ging vor zwei Jahren nach Berlin.
Christoph Zotter Patrick Krennmair, 27, ging vor zwei Jahren nach Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Austria