Mit dem »Fiets« an den Grachten zur Uni
Niederländische Universitäten
Weltoffene wie Amsterdam und Leiden avancieren zum neuen Studenten-Hotspot. Nicht zuletzt, weil britische Universitäten nach dem Brexit ihre Attraktivität eingebüßt haben.
Zum Studienbeginn schipperten Boote mit studentischem Partyvolk durch die Grachten, Fahrrad-Karawanen schoben sich durch die Straßen, die Gastgärten waren voll und in der Luft lag der Duft von Marihuana. Leiden, die älteste Universitätsstadt der Niederlande, ist geprägt von einer lebendigen studentischen Kultur und einer internationalen Atmosphäre. Davon zeugt auch die Unterrichtssprache Englisch.
Mittlerweile hat sich das Leben indes mehr ins Innere verlagert, und Chiara Trauttmansdorff hockt über Immanuel Kant – in englischer Fassung. „Das ist schon ein wenig komisch“, sagt die 19-jährige Wienerin, die vor zwei Monaten zum Philosophiestudium in die Niederlande gezogen ist. Anders als die „Generation Erasmus“wird sie länger bleiben als nur zwei Semester.
Die weltoffenen Unis der Niederlande als Anziehungspunkt für Studenten aus aller Welt: Darin manifestiert sich ein Trend, nicht zuletzt, weil der Brexit die Studienchancen in Großbritannien massiv eingeschränkt hat. „Die Studiengebühren haben sich dort verdoppelt bis verdreifacht“, erzählt Chiara, die mit der Idee eines Studiums in England gespielt hat und an zwei Unis angenommen worden wäre. Leiden war letztlich die reizvollere Alternative – mit moderaten Studiengebühren, im Gegenzug aber hohen Mietpreisen.
Chiara bekam einen Platz in einem Studentenheim und besorgte sich gleich ein „Fiets, ein gebrauchtes Holland-Rad“. Zum Einführungswochenende ging es für die 19-Jährige ins nahe Belgien. Fürs Partyleben blieb bisher jedoch kaum Zeit: Clubs und Bars sperren coronabedingt um Mitternacht zu, Hausaufgaben in Form von Essays zwingen zu Disziplin. „Wenn ich mir im Supermarkt eine Flasche Wein kaufen will, brauche ich einen Ausweis.“Die Uni sei gut organisiert, das System viel besser als in Österreich. Es gebe Tutoren – und Präsenz-Unterricht. „Und Amsterdam ist nur einen Katzensprung entfernt“, schwärmt sie.
„Der Oktober war schlimm.“Für Lea Sommer war die niederländische Hauptstadt zwar nicht die allererste Wahl nach ihrem Bachelorabschluss in biomedizinischen Wissenschaften in Wien. Die 21-jährige Niederösterreicherin, die sich – topaktuell – auf Immunologie und Infektiologie spezialisiert, ist international orientiert. Nach einem Semester im finnischen Tampere drängte es sie für das Masterstudium wieder ins Ausland. Das Karolinska-Institut in Stockholm, die Uni Heidelberg, das King’s College in London standen ganz oben auf ihrer Liste. „Aber da hätte ich mich genauso gut in Harvard bewerben können.“
Die Aufnahme in Amsterdam hat Lea dann locker geschafft. Unter rund 200 Bewerbern erhielt sie einen der 25 Studienplätze, um 800 Euro zog sie in ein Untermietzimmer. Mit Tests und Prüfungen ist sie voll eingedeckt, das Programm ist straff. Zwölfstundentage sind keine Seltenheit. Wer zweimal unentschuldigt fehle, fliege aus dem Kurs, berichtet sie. „Der Oktober war schlimm.“Am Wochenende gilt es, sich bereits für die kommende Woche vorzubereiten. Für American Football nimmt sich die leidenschaftliche Anhängerin der New England Patriots, die zum Teil in den USA aufgewachsen ist, am Sonntagabend aber immer Zeit.
Martin Kofler ist hingegen noch nicht „so happy“mit dem Studium der Internationalen Beziehungen in Amsterdam. Zu theorielastig und auf Forschung fokussiert, resümiert der 24-jährige Oberösterreicher nach den ersten Wochen. Das Programm sei anspruchsvoll und fühle sich an „wie eine 40-Stunden-Woche“. Noch laufen die Vorlesungen meist über Fernunterricht. Als positiv empfindet er freilich das internationale Klima am Campus, wenn er sich mit Freunden trifft und an der Bibliothek lernt. Die Kontakte hätten sich über WhatsApp-Gruppen ergeben, erzählt er. Auch Martin hat sich an den Lebensstil angepasst: In einer halben Stunde ist er mit dem Rad an der Uni.