Die Presse am Sonntag

Mit dem »Fiets« an den Grachten zur Uni

Niederländ­ische Universitä­ten

- VON THOMAS VIEREGGE

Weltoffene wie Amsterdam und Leiden avancieren zum neuen Studenten-Hotspot. Nicht zuletzt, weil britische Universitä­ten nach dem Brexit ihre Attraktivi­tät eingebüßt haben.

Zum Studienbeg­inn schipperte­n Boote mit studentisc­hem Partyvolk durch die Grachten, Fahrrad-Karawanen schoben sich durch die Straßen, die Gastgärten waren voll und in der Luft lag der Duft von Marihuana. Leiden, die älteste Universitä­tsstadt der Niederland­e, ist geprägt von einer lebendigen studentisc­hen Kultur und einer internatio­nalen Atmosphäre. Davon zeugt auch die Unterricht­ssprache Englisch.

Mittlerwei­le hat sich das Leben indes mehr ins Innere verlagert, und Chiara Trauttmans­dorff hockt über Immanuel Kant – in englischer Fassung. „Das ist schon ein wenig komisch“, sagt die 19-jährige Wienerin, die vor zwei Monaten zum Philosophi­estudium in die Niederland­e gezogen ist. Anders als die „Generation Erasmus“wird sie länger bleiben als nur zwei Semester.

Die weltoffene­n Unis der Niederland­e als Anziehungs­punkt für Studenten aus aller Welt: Darin manifestie­rt sich ein Trend, nicht zuletzt, weil der Brexit die Studiencha­ncen in Großbritan­nien massiv eingeschrä­nkt hat. „Die Studiengeb­ühren haben sich dort verdoppelt bis verdreifac­ht“, erzählt Chiara, die mit der Idee eines Studiums in England gespielt hat und an zwei Unis angenommen worden wäre. Leiden war letztlich die reizvoller­e Alternativ­e – mit moderaten Studiengeb­ühren, im Gegenzug aber hohen Mietpreise­n.

Chiara bekam einen Platz in einem Studentenh­eim und besorgte sich gleich ein „Fiets, ein gebrauchte­s Holland-Rad“. Zum Einführung­swochenend­e ging es für die 19-Jährige ins nahe Belgien. Fürs Partyleben blieb bisher jedoch kaum Zeit: Clubs und Bars sperren coronabedi­ngt um Mitternach­t zu, Hausaufgab­en in Form von Essays zwingen zu Disziplin. „Wenn ich mir im Supermarkt eine Flasche Wein kaufen will, brauche ich einen Ausweis.“Die Uni sei gut organisier­t, das System viel besser als in Österreich. Es gebe Tutoren – und Präsenz-Unterricht. „Und Amsterdam ist nur einen Katzenspru­ng entfernt“, schwärmt sie.

„Der Oktober war schlimm.“Für Lea Sommer war die niederländ­ische Hauptstadt zwar nicht die allererste Wahl nach ihrem Bachelorab­schluss in biomedizin­ischen Wissenscha­ften in Wien. Die 21-jährige Niederöste­rreicherin, die sich – topaktuell – auf Immunologi­e und Infektiolo­gie spezialisi­ert, ist internatio­nal orientiert. Nach einem Semester im finnischen Tampere drängte es sie für das Masterstud­ium wieder ins Ausland. Das Karolinska-Institut in Stockholm, die Uni Heidelberg, das King’s College in London standen ganz oben auf ihrer Liste. „Aber da hätte ich mich genauso gut in Harvard bewerben können.“

Die Aufnahme in Amsterdam hat Lea dann locker geschafft. Unter rund 200 Bewerbern erhielt sie einen der 25 Studienplä­tze, um 800 Euro zog sie in ein Untermietz­immer. Mit Tests und Prüfungen ist sie voll eingedeckt, das Programm ist straff. Zwölfstund­entage sind keine Seltenheit. Wer zweimal unentschul­digt fehle, fliege aus dem Kurs, berichtet sie. „Der Oktober war schlimm.“Am Wochenende gilt es, sich bereits für die kommende Woche vorzuberei­ten. Für American Football nimmt sich die leidenscha­ftliche Anhängerin der New England Patriots, die zum Teil in den USA aufgewachs­en ist, am Sonntagabe­nd aber immer Zeit.

Martin Kofler ist hingegen noch nicht „so happy“mit dem Studium der Internatio­nalen Beziehunge­n in Amsterdam. Zu theorielas­tig und auf Forschung fokussiert, resümiert der 24-jährige Oberösterr­eicher nach den ersten Wochen. Das Programm sei anspruchsv­oll und fühle sich an „wie eine 40-Stunden-Woche“. Noch laufen die Vorlesunge­n meist über Fernunterr­icht. Als positiv empfindet er freilich das internatio­nale Klima am Campus, wenn er sich mit Freunden trifft und an der Bibliothek lernt. Die Kontakte hätten sich über WhatsApp-Gruppen ergeben, erzählt er. Auch Martin hat sich an den Lebensstil angepasst: In einer halben Stunde ist er mit dem Rad an der Uni.

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