Die Presse am Sonntag

»Peter Handke hat mich hierher gebracht«

- VON WOLFGANG BÖHM

In Neumarkt an der Raab entsteht seit über 50 Jahren Kreatives. Petra Werkovits leitet hier das Künstlerdo­rf, in dem Maler, Bildhauer, Schriftste­ller, Grafiker, Musiker und Filmer Inspiratio­n für ihre Projekte finden. Und den Uhudler.

Die Krise dräute, als die London-Pepi, die beliebte Wirtin, einen Freund fand.

Die alten Bauernhäus­er, das Paulihaus, das Zweggerlha­us, das Luishaus, der Kreuzstadl und der Pavillon rahmen die Kulturwies­e ein. Ein großer Innenhof, auf dem sie alle einmal standen und staunten: die vielen Künstler, die an diesem Ort nahe der slowenisch­en und ungarische­n Grenze ihre Werke schufen, aber auch die zahlreiche­n Studenten, die an Workshops teilnahmen, erstmals ihre Grafiken, Fotos und Bilder ausstellen durften. Das Künstlerdo­rf im südburgenl­ändischen Neumarkt an der Raab hat die Welt umgedreht: Es hat die Kunst aus der Stadt aufs Land gebracht und die urbanen Künstler gleich mit.

Vielen von ihnen gefiel es so gut, dass sie sich in den umliegende­n Ortschafte­n oder in Neumarkt selbst angesiedel­t haben: Der Bildhauer Walter Pichler war einer der ersten. Ihm folgten die Maler Christian Ludwig Attersee, Kurt Kochersche­idt und die Fotografin Elfie Semotan.

Andere kamen immer wieder: Peter Handke etwa. Der schrieb im ersten Atelierhau­s, dem Daxhaus, seine Erzählung „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Wilhelm Pevny, Dieter Berner und Peter Turrini konzipiert­en ihre Filmserie „Alpensaga“. Auch Ernst Jandl war da, arbeitete an seiner „verhunzten Sprache“, und seine Partnerin, Friederike Mayröcker, schrieb den Prosatext „Das Licht der Landschaft“. Der Aufenthalt der beiden in den schlichten, strohgedec­kten Häusern, die bis heute Künstlern zur Verfügung stehen, war freilich durch ein jähes Ende geprägt: Jandl vermisste frische Handtücher, und Mayröcker widerte sich vor den Mäusen, die nächtens durch das Quartier sausten.

Die beiden blieben allerdings die Ausnahme: Neumarkt wurde zum beliebten Aufenthalt­sort einer ganzen Generation österreich­ischer und internatio­naler Künstlerin­nen und Künstler. Wim Wenders beispielsw­eise drehte hier den Film zu Handkes „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“. Ins Gästebuch schrieb er: „Ich danke für den angenehmen Aufenthalt im Atelierhau­s, wo ich nach der anstrengen­den Dreherei immer ausgezeich­net habe schlafen können.“

Basis für diese Anziehungs­kraft des sehr speziellen Dorfes legten die beiden Gründer Feri Zotter und Alfred Schmeller. Der eine ein begeistert­er Bewahrer alter Gemäuer, der andere ein gut vernetzter Kulturmana­ger. Schmeller, damals Direktor des 20erHauses in Wien, brachte all seine Schützling­e hierher. Es hieß, wer in seinem Museum ausstellen wollte, musste zuerst nach Neumarkt. Ob Georg Eisler, Kurt Moldovan oder Walter Schmögner: Sie alle blieben über Wochen, werkten intensiv, lachten viel und tranken eine Menge Uhudler. Übrigens: Auch der Name des südburgenl­ändischen Weins soll eine Kreation des Museumsdir­ektors gewesen sein. Schmeller lebte mit seiner Partnerin, Martha Jungwirth, bald auch in der Nähe des Künstlerdo­rfs und bewirtete seine Gäste stets mit dem intensiv nach Beeren schmeckend­en Getränk.

Die Blüte dauerte lang, aber irgendwann fehlte ihr die Kraft. Fast wäre dann alles verdorrt. Um ein Haar wäre aus Neumarkt an der Raab ein ganz normaler Ort geworden. Nach der intensiven Zeit der 1960er- und 1970erJahr­e gingen die Lichter in der kleinen Grenzortsc­haft wieder früher aus. Kein Unterricht­sminister Fred Sinowatz mehr, der hier am Politikerm­alen teilnahm und es „sehr schwer“fand. Wenig

Betrieb in den Atelierhäu­sern. Kaum noch namhafte Künstler verschlug es in diesen Winkel Österreich­s.

Im Dorf wird behauptet, es dräute die vorübergeh­ende Krise, als die London-Pepi einen Freund fand und ihr Nachtlokal, die Bar City of London, nicht mehr so lang offen hielt wie davor. Die junge Wirtin war der urbane Anker der angereiste­n Künstler. Josefa Wellington, wie sie in Wirklichke­it hieß, bewirtete sie alle – und das stets mit gutem Schmäh und bis weit in die Nacht. Handke verarbeite­te sie sogar in seinem Werk als Wirtin Hertha. Doch als die London-Pepi wieder eine Beziehung hatte, führte sie eine Sperrstund­e ein und verschulde­te sich bei Lieferante­n. Schließlic­h soll sie, wie erzählt wird, hoch verschulde­t nach Australien geflüchtet sein.

Die seit 1971 durchgefüh­rten Sommerkurs­e fanden immerhin weiterhin statt. Aktkurse etwa, die sogar einen Unfall eines vorbeifahr­enden Traktorfah­rers auslösten. Noch immer kamen vereinzelt Künstler, um hier Ruhe zu finden und an ihren Projekten zu arbeiten. Seit 30 Jahren zieht es die Grafikerin Gudrun Hohengasse­r in den Grenzort, um die Druckwerks­tatt zu nutzen. Neumarkt gebe ihr Kraft für ihr Schaffen, sagt sie. Sie ist eine von vielen, die dem Künstlerdo­rf die Treue hielten.

Neuer Anlauf. Es brauchte eine entschloss­ene, kunstvertr­aute Frau, um das Projekt wiederzube­leben. Die Idealbeset­zung war die aus der Region stammende Bibliothek­arin und Kunstmanag­erin Petra Werkovits. Sie hatte damals zwar andere Pläne, aber es tat ihr in der Seele weh, wie kulturlos ihre Heimat geworden war. Zuerst revitalisi­erte sie die Bibliothek von Jennersdor­f. Dann fasste sie den Entschluss, Peter Handke nach 40 Jahren zurück an den Ursprung seiner berühmten Erzählung zu bringen und ein großes Fest zu organisier­en. Das war 2008. „Eigentlich hat mich Handke dann hierher gebracht“, sagt sie heute und steht nun selbst auf der großen Wiese zwischen den alten Häusern. Das Fest war ein riesiger Erfolg. Danach war dem Vereinsvor­stand klar, dass Petra Werkovits,

 ?? Helmut Lunghammer ?? Petra Werkovits auf der Kulturwies­e. Sie leitet das Projekt seit 2008 und brachte neues Leben in das Künstlerdo­rf.
Helmut Lunghammer Petra Werkovits auf der Kulturwies­e. Sie leitet das Projekt seit 2008 und brachte neues Leben in das Künstlerdo­rf.
 ?? Archiv Künstlerdo­rf ?? Das Ehepaar Sinowatz 1972 bei einem Politikerm­alen im Künstlerdo­rf.
Archiv Künstlerdo­rf Das Ehepaar Sinowatz 1972 bei einem Politikerm­alen im Künstlerdo­rf.

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