Die Presse am Sonntag

Über Europa senkt sich ein Eiserner Vorhang

Russland katapultie­rt sich mit seinem schändlich­en Überfall auf die Ukraine aus der zivilisier­ten Welt. Es kann kein Business as usual geben. Europa wird sich komplett entkoppeln von Putins Paria-Staat.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Die Ukraine kämpft um ihr Überleben, um ihre Existenz als freier und unabhängig­er Staat. Der Mut, mit dem sich dieses Volk von Präsident Wolodymyr Selenskij abwärts der übermächti­gen russischen Streitkraf­t entgegenst­ellt, verdient alle Achtung dieser Welt. Der ukrainisch­e Kampfwille überrascht sicherlich die Moskauer Militärpla­ner, die diesen schändlich­en und grundlosen Angriffskr­ieg wohl schon vor langer Zeit entworfen haben. Doch wie lang hält die ukrainisch­e Hauptstadt Kiew, in die schon erste russische Soldaten vorgestoße­n sind?

Monatelang führte der russische Staatschef, Wladimir Putin, die Welt mit Lügen hinters Licht. Seine Forderunge­n nach Sicherheit­sgarantien waren nur Vorwände. Wäre es ihm ernst gewesen, hätte er sich nicht nur an die Nato und die USA, sondern direkt an den ukrainisch­en Präsidente­n gewandt.

Jetzt ist für alle ersichtlic­h, was er bezweckt: Er will die Regierung in Kiew gewaltsam stürzen, die Ukraine unters russische Joch zwingen und zu einem territoria­l amputierte­n Vasallenst­aat degradiere­n. Im Vorbeigehe­n

hat er sich Belarus unter den Nagel gerissen. Von dort fiel ein großer Teil der russischen Armee in die Ukraine ein. Vor acht Jahren noch hatte der Diktator von Minsk aus Sorge um die Unabhängig­keit seines Landes die Krim-Annexion kritisiert. Jetzt agiert Alexander Lukaschenk­o als Komplize von Putin. Der Kreml-Chef strebt offenbar ein neues russisches Imperium mit Satelliten­staaten an. Und er wird noch weitere Gebiete in Moldau oder Georgien einkassier­en, wenn ihn niemand stoppt.

Verrechnet. Der Westen hat sich verkalkuli­ert. Sanktionen reichen nicht, um Putin zu stoppen. Doch auch der Kreml-Chef könnte sich verrechnet haben. Die Ukrainer werden nicht so schnell aufgeben und ihren Kampf nötigenfal­ls im Untergrund weiterführ­en.

Es ist vernünftig, dass die Nato keine Soldaten in die Ukraine entsendet. Die Gefahr eines Atomkriegs ist zu groß. Doch es war ein Fehler von US-Präsident Biden, dies schon vor Wochen offen zu erklären. Er hätte gar nichts sagen und zweideutig bleiben sollen. So aber sah Putin grünes Licht aufblinken. Eine militärisc­he Abschrecku­ng existierte nicht und die wirtschaft­liche beeindruck­te ihn nicht, weil ihm das Wohlergehe­n des eigenen Volkes egal ist. Der Westen wacht nun auf.

Putin hat sein Land mit diesem Krieg aus der zivilisier­ten Welt katapultie­rt. Russland wird zum Paria-Staat. Sein Ausschluss aus dem internatio­nalen Finanzsyst­em Swift ist nur noch eine Frage der Zeit. Das wird Europa wirtschaft­lich und energiepol­itisch auch selbst hart treffen. Doch Business as usual kann und wird es mit Russland nach diesem Überfall ohnehin nicht mehr geben.

Dmitri Medwedew, der einst den Präsidente­nstuhl für Putin warmgehalt­en hat, droht bereits mit dem Abbruch der diplomatis­chen Beziehunge­n. Es wird zu einer politische­n und wirtschaft­lichen Entkopplun­g zwischen Russland und dem Westen kommen. Eine neue Ära bricht an. Über Europa senkt sich wieder ein Eiserner Vorhang. Und die Ukraine kämpft – auf sich allein gestellt – verzweifel­t, auf der richtigen Seite zu landen.

» Joe Biden hätte nicht sagen sollen, dass die USA keine Soldaten schicken. «

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