Wort der Woche
Blasen, Schaum und Gele: Weiche Materie hat schwer fassbare Eigenschaften – die für die Technik aber hochinteressant sind.
Materie tritt in drei Aggregatzuständen auf: fest, flüssig, gasförmig. So lernt man es in der Schule. Wie so häufig bei Schulwissen, ist das aber nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn es gibt auch viele andere Erscheinungsformen von Materie. Einmal abgesehen von exotischen, nur bei Extrembedingungen auftretenden Zuständen wie Plasma, Suprafluid oder Bose-Einstein-Kondensat sind das zum einen Mischungen – z. B. Rauch (feste Teilchen in einem Gas), Nebel (flüssige Teilchen in einem Gas), Suspensionen (feste Teilchen in einer Flüssigkeit) oder Schaum (Gasbläschen in einer Flüssigkeit). Zum anderen handelt es sich um Zustände, die irgendwo zwischen fest und flüssig anzusiedeln sind – etwa Flüssigkristalle, Kolloide oder Gele. Unser Körper besteht zu einem großen Teil aus solcher „weichen Materie“– z. B. aus gallertartigen Geweben (Bandscheiben), kolloidalen Suspensionen (Blut) oder zweidimensionalen Flüssigkristallen (Biomembranen).
Diese Aggregatzustände stellen die Materialforschung und die Technologie vor große Herausforderungen. So ist das Verhalten von Schäumen, die etwa in der Lebensmittel-, Kosmetik- oder Pharmaindustrie eine große Rolle spielen, nur schwer berechenbar – zum einen wegen deren Fragilität, zum anderen wegen der Vielzahl an individuellen Bläschen, die betrachtet werden müssen. Daher darf es nicht verwundern, dass ein neues, rascheres Simulationsverfahren eines Teams um Petros Koumoutsakos (Harvard University) kürzlich als Durchbruch gefeiert wurde (Science Advances, 2. 2.).
Apropos Bläschen: Aufsehen erregte jüngst auch Michael Baudoin (Universite´ Lille), dessen Team eine Seifenblase fabrizierte, die erst nach 465 Tagen (!) platzte. Gelungen ist das durch den Zusatz von Glycerin, das ein Verdunsten des Wassers aus der Blasenhülle verhindert, und von Mikroplastik-Partikeln, die ein Abfließen nach unten unterbinden (Physical Review Fluids 7, L011601).
So sonderbar die Eigenschaften von „weicher Materie“auch sind – sie ermöglichen interessante Anwendungen: Ingenieure um David Hardman (University of Cambridge) haben ein Gel entwickelt, das zum einen Belastung, Temperatur und Feuchtigkeit misst und zum anderen Schäden (durch zu große Belastung) selbsttätig bei Raumtemperatur wieder ausbessert (NPG Asia Materials 14:11). Solche selbstheilenden Materialien, die noch dazu billig und biokompatibel sind, ermöglichen den Bau von „sanften“Robotern und eine neue Art von Mensch-Maschine-Schnittstellen.
Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.
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