Routine und Reiz treffen Chinas Schnee
Skifahrer Markus Salcher führt Österreichs Team bei den Paralympics an, seine Medaillenmission sollen weder künstliches Weiß noch extremes Wetter beirren. Als Vorbild und Sprachrohr bezeichnet sich der Kärntner, er will etwas bewirken.
Bei den olympischen Alpinskibewerben hat Markus Salcher in den vergangenen Wochen vor dem Fernseher ganz genau hingeschaut, wenn auch nicht immer live. Schließlich wird er am kommenden Wochenende bei den Paralympics auf denselben Pisten in Yanqing in seinen Paradedisziplinen Abfahrt und Super-G um Medaillen fahren. „Teilweise liegen mir die Kurven, der eine oder andere Linksschwung, meine schwache Seite, wird aber zur Herausforderung werden“, so das TV-Fazit des 30-Jährigen. Die extremen Wetterverhältnisse, tiefe Temperaturen und starker Wind, mit denen viele Olympia-Teilnehmer in China zu kämpfen hatten, lassen ihn hingegen noch relativ kalt. „Ich mag es, wenn es kühler ist. Es ist Wintersport, da darf man nichts gegen große Kälte haben“, meint er lachend.
Es ist die Erfahrung von drei Paralympics, die Salcher auch das ungewöhnliche Abenteuer in Peking in Ruhe antreten lässt. „Natürlich wären mir Spiele in Europa, besonders in der Corona-Zeit, lieber gewesen, aber wir Sportler können uns die Großveranstaltungen nicht aussuchen. Wir müssen das hinnehmen, denn es geht um unsere Karriereschritte“, sagt der Kärntner zum umstrittenen Gastgeber. Immerhin, die Organisation sei hochprofessionell, habe er gehört, und die Freundlichkeit der Volunteers hervorzuheben. Bei der Abreise am Freitag fanden sich dann der Talisman vom Großvater, aber keine heimischen Spezialitäten in seinem Gepäck, „ich vertraue ganz den Köchen im olympischen Dorf“. Die Kärntner Kasnudeln von seiner Freundin – sie ist Köchin – müssen bis zur Rückkehr warten.
Die großen Unbekannten. Salcher führt das 16-köpfige ÖPC-Team nicht nur als Routiniertester an, sondern hat als halbseitig Gelähmter in der stehenden Klasse auch schon zwei Mal Gold in Abfahrt bzw. Super-G 2014 sowie drei Mal Bronze (2014, 2018) vorzuweisen. Nach China reist er zudem als frisch gekrönter Doppel-Weltmeister, erst Mitte Jänner
gewann er bei den Para-Titelkämpfen in Lillehammer das Speed-Double, seine WM-Titel Nummer fünf und sechs. Die Trainingssteuerung für zwei Highlights innerhalb so kurzer Zeit sei eine neue Herausforderung gewesen, er ist nach dem Training in Saalbach aber zuversichtlich. „Übergänge, Kuppen und Sprünge waren dort recht ähnlich. Ich glaube, die Trainer haben ein gutes Rezept gefunden.“
Für die Materialabstimmung auf dem ungewohnten chinesischen Kunstschnee könnte der gute Austausch innerhalb des ÖSV womöglich am Ende wortwörtlich Gold wert sein. Zwei Pool-Serviceleute sind bei den Paralympics mit vor Ort, vorab lieferte ihnen jener von Katharina Liensberger, Raphael Hudler, einen Bericht zu der ganz eigenen Konsistenz und Beschaffenheit in Yanqing. „Ich persönlich erleben. Immer besser zu werden, das ist es, was mich jeden Tag anspornt“, erklärt Salcher. Seiner Vorbildrolle ist sich der Routinier bewusst und stolz darauf. „Ich bin in einer Führungsposition und möchte den Jungen etwas mitgeben“, so der 30-Jährige. Sein Rat: Eindrücke bei den Paralympics wie ein Schwamm aufzusaugen. „Es ist ganz wichtig, sich nicht unter Druck zu setzen, sondern zu genießen.“
»Paralympics sind Leistungssport, mit dem entsprechenden Aufwand.«
Die nächsten Meilensteine. Im Gegensatz zur kritisierten Entwicklung Olympias sieht Salcher die paralympische Bewegung noch auf dem richtigen Weg. Die fortschreitende Professionalisierung sei unübersehbar, die mediale Aufmerksamkeit würde stetig wachsen. Dank der Integration in den ÖSV zählt der heimische Para-Skisport zu den führenden Nationen, obgleich in Sachen Öffentlichkeitsarbeit oder Sponsoring für Salcher noch Potenzial liege. Nächster Meilenstein ist die Eingliederung in den internationalen Skiverband (FIS), die schon im Rahmen der Paralympics offiziell werden könnte. Nur die Monetarisierung, die könne mit der sportlichen Entwicklung noch nicht Schritt halten. „Paralympics sind Leistungssport, mit dem entsprechenden Aufwand“, betont der Sportsoldat (Zoll), dass inzwischen kaum noch Berufstätige „nebenbei“antreten.
Eine Herzensangelegenheit ist es Salcher, wie mit dem Projekt „Schneetiger“behinderte Kinder zum Sport zu bringen. Viel zu oft würden diese im Turnunterricht vergessen oder freigestellt, weil das Lehrpersonal nicht über entsprechendes Wissen verfüge. „Sport ist für die soziale Integration irrsinnig wichtig. Da geht es nicht um Spitzensport, sondern die Freude an der Bewegung“, sagt er. Als zweiter von drei Söhnen mit einem Skilehrer als Vater sei das in seiner Familie selbstverständlich gewesen. Dass daraus eine höchst erfolgreiche Profi-Karriere wurde, nimmt der Absolvent eines Medienkommunikation-Studiums als Motivation, um den Behindertensport stärker in die Mitte der Gesellschaft zu rücken, irgendwann vielleicht auch in einer Verbandsfunktion. Bis zu den Paralympics 2026 in Mailand/Cortina will er auf Ski vorangehen. „Ich bin auch ein Sprachrohr der Öffentlichkeit gegenüber. Ich kann etwas bewirken.“