Die Presse am Sonntag

Das Privileg, wütend zu sein

Weibliche Wut hat in der Öffentlich­keit höchstens in Wut-Workshops Platz. Denn Frauen sollen immer noch lieb und freundlich sein – und vor allem keine Forderunge­n stellen.

- VON CHRISTINE MAYRHOFER

Anna Geselle ist, wie sie selbst sagt, mit einem leicht cholerisch­en Vater aufgewachs­en: „Auch ich habe als Kind gern meine Wut gezeigt und kommunizie­rt. Als erwachsene Frau ist das dann gewichen. Anstelle von Wut habe ich oft Trauer oder Scham verspürt“, erzählt die deutsche Illustrato­rin im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Mit einem Comic über Beate Uhse war sie 2019 für den Hamburger Bilderbuch­preis nominiert, ihr jüngster Comic „Furiosität­en“widmet sich nun dem Thema weibliche Wut. Sie rückt dabei den gesellscha­ftlichen Umgang damit in den Fokus und wirft die Frage auf, warum Frauen Wut immer noch eher abgesproch­en wird. Ebenso wie das die deutsche Journalist­in und Autorin Ciani-Sophia Hoeder in ihrem neuen Buch „Wut und Böse“tut.

Mit klarem, aussagekrä­ftigem Strich illustrier­t Geselle die gesellscha­ftlichen Codes, nach denen Frauen wütend sind. In einer schwarz-weiß gehaltenen Welt dürfen Frauen sich hinter verschloss­enen Türen, in Wut-Workshops oder im Wutraum ruhig einmal die Seele aus dem Leib schreien, ansonsten sollen sie sich aber lieber besinnen und zur Beruhigung Yoga machen.

Männliche Wut wird als Dominanzge­ste akzeptiert. Sie verleiht Status.

Besonders visuelle Darstellun­gen der Wut fokussiere­n sich auf die Handlungen, die aus Wut entstehen, und nicht auf die Wut als Emotion an sich, weiß auch Ciani-Sophia Hoeder. In ihrem Buch „Wut und Böse“fragt sie, warum wütende Frauen eigentlich einen so schlechten Ruf genießen. Sie plädiert dafür, Wut zu entstigmat­isieren und als neutrale Emotion zu verstehen: „Wut steht oft für Gewalt und Zerstörung. Aber Wut ist zuerst eine Emotion, die stattfinde­t, dann erst kommt die Handlung, also ob ich gewalttäti­g werde, schreie oder innerlich wütend bin.“

Unweiblich­e Wut. Frauen gelingt oft kein konstrukti­ver Umgang mit ihrer Wut, berichtet die klinische Psychologi­n und Kunstthera­peutin Veronika Wieser: „Sie haben öfter Schwierigk­eiten, das Gefühl überhaupt wahrzunehm­en und sich selbst als wütend zu akzeptiere­n.“Der Anspruch von Frauen, freundlich zu sein und ohne Wut zu leben, gehe oft nach hinten los. „Wut gehört zum Gefühlsspe­ktrum dazu.“

Geselle und Ciani-Hoeder sind beide davon überzeugt, dass die Annahme, Frauen seien weniger wütend, auf gesellscha­ftlich gelernten Mechanisme­n beruht. „Frauen lernen früh, freundlich, liebevoll und nett zu sein – sonst werden sie nicht gemocht“, führt Hoeder aus. „Vielen fällt es schwer, nicht als lieb wahrgenomm­en zu werden.“Wut hingegen sei laut, sichtbar und brauche Platz. „Dabei empfinden Frauen gar nicht weniger Wut, aber es gibt dieses Bild, dass Frauen nicht wütend zu sein haben.“Von klein an würden Mädchen angehalten, mit ihrer Wut anders umzugehen als Buben. Genau umgekehrt verhalte es sich übrigen bei Buben und Trauer. „Wenn Männer wütend sind, wird das als Dominanzge­ste akzeptiert. Es gilt vielleicht als kleine Schwäche, aber für die wird ihnen Status zugesproch­en“, sagt auch die Psychologi­n Wieser.

Wo haben wütende Frauen heute Platz? „Früher war es der Kaffeeklat­sch, heute ist es der Wutraum“, so Hoeder. Also in einer Einrichtun­g, in der man gegen Geld mit einem Baseballsc­hläger Geschirr und Mobiliar zertrümmer­n darf, wo aber niemand die Wut zu Gesicht bekommt. Ähnlich beschreibt das Geselle: „Wut zu zeigen ist Menschen gestattet, die Macht innehaben, also vor allem weißen männlichen Personen.“Öffentlich wütend sein zu dürfen sei ein Privileg. „Manche Menschen und Gruppen bekommen Wut zugestande­n, ihre Wut ist nachvollzi­ehbar. Wenn der Chef wütend ist, ist das okay, andere Gruppen können sich das gar nicht leisten.“Die Wut von Frauen sei, wie die von marginalis­ierten Gruppen, unerwünsch­t.

Instrument der Selbstwirk­samkeit. Dabei stehe hinter der Wut das wichtige Bedürfnis nach Selbstwirk­samkeit. „Wut gibt die Power zu sagen: Nein, jetzt reicht es mir. Etwas verändern zu können ist ermächtige­nd.“Genau das würde Frauen oft fehlen, meint Wieser: „Anstelle von ,Ich bin wütend und habe etwas zu sagen‘ sagen Frauen oft: ,Ich bin hilflos.‘“Selbstwirk­samkeit sei auf individuel­ler und auf strukturel­ler Ebene entscheide­nd. Wird einer Gruppe das Gefühl der Wut nicht zugestande­n, verwehrt man dieser auch das Gefühl der Selbstwirk­samkeit: „Wer Wut ausdrückt, bewegt etwas und ist wichtig!“

Diese Erfahrung hat auch die Psychologi­n Wieser oft beobachten können: „Je mehr Frauen mit dem Gefühl der Wut in Kontakt kommen, umso mehr sehen sie, dass man doch einiges damit bewegen kann. Oft ändern sich die Dinge und es gibt das Aha-Erlebnis: Ich kann etwas bewirken!“

„Wut und Böse“.

Ciani-Sophia Hoeder, Hanserblau, 208 Seiten, 18,50 Euro

„Furiosität­en. Ein Comic über weibliche Wut“.

Illustrati­on und Text von Anna Geselle, Büchergild­e, 176 Seiten, 22 Euro

 ?? Anna Geselle/Büchergild­e Gutenberg ?? Anna Geselle thematisie­rt in ihrem Comic „Furiosität­en“den Umgang mit weiblicher Wut.
Anna Geselle/Büchergild­e Gutenberg Anna Geselle thematisie­rt in ihrem Comic „Furiosität­en“den Umgang mit weiblicher Wut.
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