»Es ist grausam, jeder hat
Der Krieg in der Ukraine erschüttert die ganze Welt. Wie geht es den Ukrainerinnen und Ukrainern, die in Österreich leben? Es sind angstvolle, verzweifelte und schlaflose Tage.
Der Schlafentzug steht der jungen Ukrainerin ins Gesicht geschrieben. „Obwohl ich total fertig bin, kann ich nicht schlafen“, sagt Anna Pattermann, „ich kann hier nicht in Sicherheit sitzen, sondern muss arbeiten und versuchen, etwas dagegen zu unternehmen.“Pattermann sitzt völlig übermüdet an einem Tisch im Haus des Vereins zur Förderung der Demokratisierung Unlimited Democracy. Die 25-Jährige hat den Verein Ende 2019 gegründet und ist Vereinsvorsitzende.
Sie ist auch die Hauptorganisatorin der Kundgebung, die am Samstagnachmittag auf dem Wiener Platz der Menschenrechte neben dem Museumsquartier stattgefunden hat. Nach Polizeiangaben nahmen an der friedlichen Demo 3000 bis 4000 Menschen teil – deutlich mehr als erwartet.
Pattermann – sie wohnt seit acht Jahren in Wien und ist für ihr Studium hergezogen – ist eine von 12.668 Ukrainerinnen und Ukrainern, die in Österreich leben. Die Community ist angesichts der russischen Angriffe alarmiert und schockiert, sie hat bereits mehrere Solidaritätskundgebungen organisiert und wird das auch weiterhin tun.
Kriegsbeginn. Mit ihren Verwandten und Freunden, die alle in der Ukraine leben, ist Anna Pattermann ständig in Kontakt. „Wenn meine Mutter länger als eine Stunde nicht ans Telefon geht, gerate ich in Panik“, erzählt sie.
Am Donnerstag habe sie um sechs Uhr einen Anruf von ihrer jüngeren Schwester erhalten. „Ich war noch im Halbschlaf, und sie hat mir gesagt: ,Anna, wir wurden bombardiert.‘ Das konnte ich zuerst gar nicht richtig zuordnen. Dann hab ich die Nachrichten angeschaut und es mit eigenen Augen gesehen“, sagt Pattermann. „Ich glaube, dass ich ein paar graue Haare bekommen habe, seit der Krieg ausgebrochen ist.“Pattermanns Mutter und Schwester leben in Khmelnitskyi, der Vater in Borispil, rund 30 Kilometer südöstlich von Kiew.
Vier Tage zuvor habe sie ihrer Familie gesagt, sie solle sich Notfalltaschen packen, damit sie im Ernstfall fliehen könne. „Meine Mutter hat sich dort 20 Jahre lang etwas aufgebaut und wollte nicht. Ich habe sie dann gefragt: ,Wann wollt ihr fahren? Wenn die Panzer vor euren Fenstern stehen?‘“Jetzt sei geplant, dass ihre 21-jährige Schwester nach Wien kommt. Aber ob das möglich ist? Zumindest habe Anna
Pattermann bereits Anrufe von Menschen aus Kiew bekommen, die nun versuchen, in den Westen zu flüchten, und bei ihr übernachten wollen. „Heute haben wir acht Leute aufgenommen. Es ist grausam, jeder hat Angst.“
Nicht nur Pattermanns Mutter habe ihre Heimat nicht verlassen wollen. Viele Menschen hätten auch ältere Verwandte, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen – und die sie deshalb nicht allein lassen oder mitnehmen könnten.
Tränen. Als plötzlich ihr Telefon während des Gesprächs läutet, wird die junge Frau nervös, entschuldigt sich und hebt ab. Unmittelbar nach dem